Freitag, 14. September 2012

Moskau, Moskau

Moskau, Moskau
wirf die Gläser an die Wand
Russland ist ein schönes Land
HaHaHaHaHa 
Dschingis Khan 

Im März fing ich an bei unseren Programm Manager, der für Russland zuständig ist, zu quengeln. Ich wusste, dass ein russisches Institut eine Konferenz für Studenten veranstaltet und es schien mir ein passender Grund zu sein, mal wieder nach Moskau zu kommen. Nach ein paar Telefonaten und Emails wurden dann der Rahmen der Vorträge abgesteckt, ein Vortrag hiess "Science Fiction von gestern, Realität heute" und handelt von den neusten Technologien in Mikroelektronik, die ich mir in mühevoller Arbeit zusammengeklautgestellt habe. Etwas zittern musste ich wegen dem Visum, trotz diverser Bescheinigungen meiner Firma, dass ich bei ihnen arbeite, musste ich meine Verdienstbescheinigung schicken, etwas, was nicht mal meine Kollegen zu Gesicht bekommen und es war nicht klar, ob ich ein Jahresvisum bekomme, ging aber ganz gut. Normalerweise versuche ich im Anschluss an die Arbeitswoche noch ein Wochenende dranzuhängen, aber diesmal bin ich am Freitag losgeflogen.

Tag 1: Ich habe versprochen 20 Werberücksäcke mitzunehmen, also nehme ich meinen größten Koffer und habe Schiss wegen Übergewicht. Also packe ich so viel wie möglich in die Computertasche und ziehe zwei Jacketts übereinander an. Der Koffer hat immer noch Übergewicht, aber beim Check-In drückt man beide Augen zu und ich darf durch.

Aeroflot-Flugzeuge haben keine Tapeten mehr im Flugzeug, die Uniformen der Saftschubsen sind im richtig schicken Rot. Wir erreichen Scheremetjevo, ich stelle mich geistig darauf ein Migrationsformular auszufüllen, mich in eine ellenlange Schlange hinzustellen und dann noch lange aufs Gepäck zu warten. Nach einer Viertelstunde bin ich draussen und erwehre mich von den Taxifahrern, die für 100$ mich in die Stadt bringen wollen. Migrationsformular wird automatisch bei der Passkontrolle erzeugt, Gepäck ist sofort da, super!

Ich steige wieder in meinem Lieblingshotel in Izmailovo ab. Vom Sowjetcharme wird immer weniger und weniger übrig, die neuste Errungenschaft sind Schwarze in Paradeuniformen an den Eingangstüren. Ich bekomme eine Suite in Japan-Stil. Schaue noch ein bisschen den Zeichentrickkanal für Erwachsene 2x2 und schlafe ein.

Tag 2: Ich gehe zum Frühstück, bei dem man immer noch auf Wunsch Pizza, Nudeln und sonstige eher schwere Kost bekommt (was Leichtes natürlich auch). Auf dem Weg fällt mir ein Schild mit der Überschrift "Forum der linken Kräfte Russlands" auf. Als ehemaliger Sowjetpionier und einer von dem Freunde sagen, dass auf einer Anarchoparty niemand linker sein kann, bin ich natürlich hellauf begeistert, besonders als ich erfahre, dass ich mich nur zu registrieren brauche und keine Einladung brauche. Also gehe ich in den Konferenzsaal aus dem laute Punk-Musik schallt. Der Saal ist nicht sehr gross, für 300 Menschen vielleicht, neben mir stehen Journalisten, die über ihre ersten Einsätze erzählen, die alle auf Gay-demos stattfanden. Das linke Volk trudelt langsam ein, die meisten sind weit über 50, nur wenige alternativ-ausschauende Jugendliche sitzen hinten und zeigen wenig Aktivität.

Ein älterer Mann entrollt ein rotes Transparent auf dem steht "Russland ohne Burgua", wie in guten alten Zeiten vor 100 Jahren.

Journalisten tuscheln, dass Limonov und Udalzov kommen werden. Limonov! Der Mann ist legendär, war Emigrant, Schriftsteller, schrieb über Paris und Amerika, die Bücher lösten einen mittelschweren Skandal aus, besonders die Stelle, wo er beschreibt wie er von fetten Niggern in New York vergewaltigt wurde. Danach ging er nach Balkan, wo er mit Serben zusammen kämpfte, in den 90ern Jahren kam er dann wieder nach Russland und gründete die Nationalbolschewistische Partei, die bei radikaler Jugend gut ankam, bei den Regierenden weniger, recht viele Mitglieder fanden sich nach öffentlich-wirksamen Abseilaktionen mit Transparenten hinter Gittern wieder.

Was Udalzov angeht, so heisst es, wenn er nicht demonstriert, dann sitzt er schon wieder ein wegen Teilnahme an Demonstrationen.

Limonov mit Bodyguards huscht an mir vorbei, murmelt "Schwach" (er meint die Größe der Veranstaltung) und begibt sich aufs Podium. Udalzov hält eine kämpferische Rede, die auf einer Oppositionsdemo sehr gut angekommen wäre. Den Namen Putin nimmt er kein einziges Mal in den Mund, es wird nur von Samozvanez gesprochen, also jemand der sich selbst zum Zaren ernannte. Süffisant bemerkt er, dass selbst Putins Frau offenbar nicht mit ihrem Mann zusammensein möchte. Allerdings ist das hier keine Demo und im Saal sitzen Hardcore-Marxisten, die in nachfolgenden Reden anmerken, dass es sie nicht die Bohne interessiert, was Putin mit seiner Frau so treibt. Limonov erzählt über Verrat an Revolution seitens der liberalen Opposition, wenn er das Sagen hätte, hätte man bei der letzten grossen Demo das Gebäude der Wahlkommission stürmen sollen. Viele Reden, viele Meinungen, ob man mit den Liberalen arbeiten soll, das Vorbild ist dabei 1917, als zuerst die Liberalen den Zaren stürzten und danach selbst von Kommunisten gestürzt wurden. Was überhaupt nicht zur Sprache kommt sind die klassischen Themen der West-Linken, also Feminismus, Antifaschismus, Antirassismus und andere Anti-ismen. Begriff Pussy Riot fällt kein einziges Mal, obwohl sie diese ganzen Themen vertreten. Ich schleiche mich raus und fahre in die Stadt.

Ich treffe mich mit meiner Internet-Freundin Rita und wir gehen in Beverly Hills Restaurant essen. Das Lokal ist auf amerikanisches Style getrimmt, in der Mitte stehen 3 zersägte Amikarren in die Tische eingebaut sind.

Irgendwann ertönt laute Musik, die Bedienung greift nach Puscheln wie Cheerleader und tanzen durch die Gänge. Auf dem Tisch steht ein Gerät mit 2 Knöpfen, damit kann man die Bedienung rufen, oder Rechnung verlangen, sehr praktisch. Rita erzählt mir fast heulend, dass man in ihrer Strasse alte Bäume gefällt hat, um aus 16 Meter breitem Fussgängerweg 1,5 Meter breites zu machen, dafür wird die Strasse vor ihrem Fenster 6-spurig. Ausserdem will man den Izmailovo-Park, die grüne Lunge Moskaus teilweise abholzen und bebauen. Geld regiert die Welt und ganz besonders Moskau. Danach gehen wir auf einen Absacker in Chinesischer Pilot Jao Da, ein bekannter Club in dem Musiker auftreten, die irgendwann auf einer CD von Kaminer landen. Die Gruppe, die gerade spielt ist nicht so toll, da gehen wir dann nach Hause.

Tag 2: Kurzer Durchlauf durch den Izmailov Markt mit Touristenkrempel, wo ich ein paar Tscheburaschkas für alle in diesem Jahr Geborenen kaufe. Ich beschliesse nach Zelinograd zu fahren, um einen Ex-Kollegen zu besuchen. Die russischen Elektrozüge Elektritschka ist ideal, um seine Mitfahrer vollzulabern, auch laufen ständig Verkäufer durch die Gänge und versuchen alles mögliche an den Mann/Frau zu bringen. Blöd ist, dass sie halbe Stunde Aufenthalt hat, um die neuen Schnellzüge Sapsan vorbeizulassen für die keine Extragleise gebaut wurden. In Zelinograd werde ich abgeholt, der Kollege, der im 21-sten Stock wohnt, füttert mich mit selbstgesammelten und marinierten Pilzen, dazu eine Flasche Wodka. Danach gehen wir mit seinen Kids spazieren und ich fahre wieder zurück.

Tag 3: Ich fahre mit vollgestopften Metro ins Firmenoffice, treffe auf Kollegen, mit denen ich sonst nur per Email kommuniziere, halte als Generalprobe meinen Science-Fiction Vortrag, alle sind zufrieden. In der Metro fahren nur noch wenige Wahnsinnsfrauen mit meterhohen Stöckelschuhen, aber überall wird mit iPhones und iPads rumgedaddelt, früher wurde viel gelesen. Angeblich wird in den russischen Dörfern auch nicht mehr gesoffen, sondern mit dem Computer gezockt, ist auf jeden Fall gesünder.

Tag 4: Der erste Tag der Konferenz, die in dem Institut für Atomwissenschaften stattfindet. Da dort auch ein Atomreaktor steht, sind die Sicherheitsvorkehrungen entsprechend hoch, am Einlass sitzen Soldaten und überprüfen akribisch die Bescheinigungen. Heute sind die russischen Vortragende dran, ich treffe einen deutschen Professor aus Darmstadt, der dort einen Beschleuniger baut, der ähnliche Komplexität wie CERN, aber bei weitem nicht ähnliche Berühmtheit hat. Er gesteht, dass es Darmstädter waren, die die Gerüchte über entstehende Schwarze Löcher im CERN mit ihren Formeln in Lauf setzten. Zu Mittag essen wir in der Professorenkantine und kippen gleich mal zwei Flaschen Wein runter.

Abends treffe ich meinen Freund Anton, der bei der bekannten Zeitung Izvestija als Redakteur arbeitet. Als Gadget-Fanatiker steht im ein schwerer Tag bevor, denn der iPhone 5 wird vorgestellt, also muss die ganze Nacht gearbeitet werden. Wir treffen uns in einem ukrainischen Lokal, mit dabei ist noch Jason ein Amerikaner, der in Freiburg wohnt und seine Dissertation über deutsche Städte-Festungen schreibt, die im Zweiten Weltkrieg auf den Befehl von Hitler auf keinen Fall aufgegeben werden durften. Deswegen forscht er im russischen Militärarchiv, denn die Russen haben viele Dokumente nach dem Krieg mitgenommen.

Tag 5: Mein Präsentationstag bei der Konferenz. Ich schnappe mir das Mikro und erzähle auf Russisch über 5 Stunden was ich so alles treibe. Die Zuhörer sind höflich interessiert, manche schlafen auch ein, aber das Thema ist auch etwas trocken. Aber zumindest sind sie heilfroh, dass die Vorträge auf Russisch sind und sie alles verstehen. Mein Nachfolger wird es schwer haben, denn sonst haben wir keine russisch-sprachigen Mitarbeiter, die stundenlang über Mikroelektronik-Themen erzählen können und Englisch ist nun mal ein Problem. Der zuhörende Kollege meint, dass er mir durchaus eine Vorlesungsreihe an der Uni organisieren könnte, als ich mich bereit erkläre das für Umme zu machen, wenn sie mir die Flüge zahlen, rudert er schnell zurück.

Abends treffe ich mich mit Rita und ihrem Bekannten Andrej, der dieses Jahr schon in Iran, Spanien, Deutschland war und viele lustige Sachen erzählt. Wir gehen in Club "16 Tonnen" (warum der so heisst, habe ich keine Ahnung), um der russischen Jazz-Band Jazz Band Orchestra zu lauschen.

Die sind richtig gut, unterhalten das Publikum, interpretieren bekannte West- und Ostlieder im Jazz-Stil neu, wir tanzen in der ersten Reihe. Das Publikum ist wie in jeder Grossstadt etwas schnippisch, richtig warm wird sie zum Ende des Konzerts. Es wird nicht "Zugabe" wie in Deutschland, sondern "Molodzy" gerufen, das bedeutet "Ihr seit super!" Andrej hat aus Deutschland Kräuterlikör "Wurzelpeter" mitgebracht, also bestellen wir erstmal ein Kräuterlikör vom Club und giessen immer wieder unter dem Tisch nach. Obwohl mich alle diese Kräuterliköre an Hustensaft meiner Kindheit erinnern, kann ich den Wurzelpeter empfehlen, sehr weich im Geschmack.

Tag 6: Mit unserem Sales fahre ich nach Zelinograd, dem Zentrum der russischen Mikroelektronik. Dort besuchen wir einen Kunden bei dem ich schon mal ein Training gegeben habe, also sehe ich bekannte Gesichter und halte aus dem Stegreif einen Vortrag. Danach gehen wir mit dem Direktor der Firma essen.

Hier zeigt es sich wie die Beziehungspflege auf Russisch funktioniert. Wir gehen in ein Restaurant, der aus mehreren Häuschen besteht, wir haben ein Häuschen für uns und bestellen ein 4-Gänge Menü. Wir sind proppenvoll und ich trinke einen Schnaps, der Chrenovka heisst und stark nach Meerrettich schmeckt. Direktor zahlt alles. Danach vertreiben wir uns die Zeit im Office und fahren zurück nach Moskau. Die Autobahn nach Leningrad ist chronisch verstopft, deswegen hat der russische Google-Konkurrent Yandex ein Programm entwickelt, das Staus anzeigt und zwar sendet das Programm die Durchschnittsgeschwindigkeit von Autos in denen das Programm aufgerufen wurde an den Server und der berechnet dann stets aktuell die Verkehrslage, Schwarmsensorik at its best.

Es ist mein letzter Abend und unser Plan mit Anton sich als riesige Kakerlaken zu verkleiden und auf den GusGus-Konzert zu gehen hat sich leider zerschlagen, denn nach dem iPhone-Tag Anton erstmal krank wurde. Deswegen beschliesse ich meinen letzten Abend im Nachtclub Admiral im Hotel zu besuchen. Dort angekommen bestelle ich erstmal einen White Russian. Mein Sofanachbar labert mich an, er ist Sergej vom Baikalsee, macht irgendwas mit Wald und tritt auf russischen Kampfsportmeisterschaften auf. Er schaut meinen White Russian verächtlich an, von Big Lebovski hat er noch nie was gehört und giesst mir erstmal aus seiner Flasche Wodka ein. Wir trinken, er schüttelt mit dem Kopf, als er von meinem Alter und meinem Familienstand erfährt, wir trinken weiter.

Irgendwann ist die Flasche leer und Sergej verzieht sich, obwohl ich noch eine Flasche als Gegenleistung kaufe. Also wende ich mich mit der Bitte um Hilfe an meine anderen Nachbarn, drei ältere Männer aus Tschetschenien. Sie sind hellauf begeistert, dass ich aus Deutschland komme und Wodka mit ihnen teile.

Tag 7: Ich mache die Augen auf und stelle fest, dass ich angezogen im Bett liege. Die Versuche zu rekapitulieren, wie ich dorthin kam scheitern komplett. Ich habe totalen Gedächtnisverlust, weiss nicht, wie ich bezahlt habe, wie ich aufs Zimmer kam, was aus den Tschetschenen wurde. Die Etagendame hat keine Nachtschicht gehabt, konnte mir also nicht weiterhelfen. Aber ich habe keine Kopfschmerzen (sie kamen erst später) und fühle mich fit genug ins Institut zu fahren.

Dort angekommen stelle ich fest, dass auch ohne mich alles wunderbar funktioniert. Ich löse paar Problemchen, nehme viel Papierkram mit und verabschiede mich. Über Umwege, um die Staus zu vermeiden, fahren wir zum Flughafen und ich fliege nach München zurück.

Sonntag, 26. August 2012

Zürich Open Air 2012

Frage an einen Schweizer: 
Beschreiben Sie Ihre Beziehung zum Meer? 
Antwort: 
Wir sind eine Insel 

Die Welt mag uns! 
Nein, sie haben uns wieder mit Schweden verwechselt.

"Du, da ist ein Festival in der Schweiz", meint mein Freund Krumi nebenbei, "ich habe eine Mail bekommen, da vertickt eine Agentur Freikarten. Es kommen The Prodigy, Chemical Brothers, Skrillex, Lykke Li. Vielleicht wäre das was für Dich. Ich leite Dir die Mail weiter." Ich hole tief Luft, Chemical Brothers und Prodigy auf einem Festival, das ist wie Weihnachten und Ostern an einem Tag! Und Skrillex! Ich schicke sofort eine Mail an die Agentur und bekomme per Mail Tickets zum Selbstausdrucken zugeschickt.

Tag 1:

Trotz Werbens auf Facebook will niemand von meinen Freunden mit, die Schweizer Urlaubsbekanntschaft kommentiert mit: "Ich komme aus Bern, deswegen weiss ich nicht, was für ein Festival in Züri ist", also packe ich mein Riesenzelt und mein Rücksack und fahre mit dem Zug nach Zürich.

Am Festivalgelände angekommen stelle ich fest, dass es recht übersichtlich ist.

Für einen Festival solcher Größe, so eine LineUp zusammenzustellen kann man entweder weil Zürich als die teuerste Stadt der Welt sich so was einfach leisten kann, oder das wird das letzte Zürich Open Air Festival werden. Das Gelände ist direkt neben dem Flughafen, in Minutentakt kann man beobachten wie Jets knapp über unseren Köpfen vorbeifliegen, sieht eindrucksvoll aus.

Ein Festival in der Schweiz ist für mich Premiere, obwohl ich in meinem Leben schon auf allen möglichen Festivals war: Rock am Ring, Southside, Strange Noise, Rock am See, Bizarre. Alle waren recht ähnlich: verdreckt, anarchisch, Band-T-Shirt-tragende Leute mit Saufspielen beschäftigt, Duschen ist Luxus, Toiletten schon am ersten Tag ekelerregend. Ich komme am Festivalgelände an und erlebe einen Kulturschock.


Es gibt warme Duschen. So sieht eine Festivaltoilette am dritten Tag aus.

Die Leute sind normal gekleidet, aber die Mädels für die Züricher Verhältnisse recht offenherzig, wie ein Schweizer es anmerkt. Band-T-Shirts sind eher die Ausnahme, Saufspiele gibt es gar nicht, denn es sind nur drei Liter Flüssigkeiten pro Nase auf dem Zeltplatz erlaubt. Auf dem Festivalgelände muss man mit Jetons zahlen, die man vorher an Tauschstationen gegen Geld bekommt. Hat seine Vor- und Nachteile.

Ich stelle mein Zelt auf, unter mir wohnen wohl irgendwelche Tiere, das Zeltboden wölbt sich hin- und wieder, wenn wieder ein Tierchen auf die Oberfläche will. Ich schwelge im Luxus, so viel Platz habe ich noch nie gehabt. Ausserdem ist das Zelt dicht gegen Regen, was sich im Festivalverlauf als entscheidender Vorteil erweist.

Bevor ich zu den Konzerten gehe, muss ich Geld und nach der alten Tradition Dosenbier besorgen. Direkt gegenüber ist die UBS, also schlappe ich in meiner Festivalkleidung der alten Gewohnheit nach in den Eingang wo Wealth Management geschrieben steht. Die rausgehenden Leute weichen mir entsetzt aus, der Portier begrüßt mich mit "Grüezi", aber als ich meine Bitte vortrage, schaut er mich entgeistert an und langsam dämmert es mir, dass ich nicht in die UBS-Filiale, sondern in die UBS-Zentrale gelangt bin. Und der Chef der UBS, Herr Ermotti wird definitiv nicht meine 70 EUR wechseln. Also werde ich freundlich aber bestimmt rauskomplimentiert, mit dem Hinweis, dass in der Nähe eine UBS-Filiale gibt, die ich dann auch bald finde. Mit dem Geld gehe ich zum Kiosk und bestelle ein Sixpack. "Zwazwangig,fufachtzig" sagt die Verkäuferin. "Wieviel?" - "Zweiundzwanzig…" Die Verkäuferin merkt an meinen konvulsiven Zuckungen, dass ich eine Nahtoderfahrung durchlebe. "Na gut, dann machen wir es zwanzig Franken". Ich schlucke tief und kaufe den teuersten Sixpack meines Lebens.

Auf dem Weg sehe ich folgendes Poster, ich komme nicht umhin es nicht zu fotografieren. Es heisst "Was sich die Schweiz wünscht".

Zurück am Festival geht es endlich zu den Konzerten. Absolut zufällig treffe ich Salvatore, der für einen guten Kunden von mir arbeitet. Das tolle an meinem Job ist, dass ich bald wie Bon Scott von ACDC in jeder Stadt einen Bekannten haben werde. Salvatore kennt mich nicht direkt, aber wir haben gemeinsame Bekannte. Er erzählt mir, dass alle Schweizer Zürich und Genf hassen, weil da so viele Ausländer mit Geld sich einquartiert haben und das Leben so teuer machen. Ausserdem ist das grüne Image von der Schweiz reine Augenwischerei, es gibt keinen Äquivalent zum deutschen Gelben Sack, deswegen werden die Tetrapacks gar nicht fachgerecht entsorgt.

Bandimpressionen:

Lykke Li: Die Stimme von Lykke Li habe ich auf einem Nachtflug kennen- und liebengelernt, deswegen war ich auf den Auftritt sehr gespannt. Kommentar Salvatore: "Ach sie kommt aus Schweden, deswegen hat sie so einen IKEA-Namen, könnte auch ein Bücherregal sein". Lykke Li in schwarzen Klamotten, schwarze Stoffballen hängen von der Decke herunter, alles recht düster, ein Song erinnert sehr an Type O Negative, die meisten anderen Lieder kenne ich. Leider hat Lykke Li kaum Erfahrung wie man das Publikum auf einem Festival mitnimmt, keine Interaktion, kein "Hallo", keine Bandvorstellung. Entsprechend kühl reagiert das Publikum, keine Aufrufe für die Zugabe, schnell abgehackt.

The Killers: Offenbar Lieblings-Indie-Band der Bayern 3 Redaktion. Habe die Band nie bewusst wahrgenommen, kannte aber einige Lieder aus dem Radio. Stellten einige existenzielle Fragen wie: "Are we humans, or are we dancers?" Solide Performance, aber nicht besonders bemerkenswert, das Publikum ist trotzdem gut begeistert, ruft nach Zugabe und kriegt sie auch.

Skrillex: Jedes Mal, wenn ich bei Youtube nach The Prodigy suche, bekomme ich als Tipp Skrillex angezeigt, allerdings in so vielen Mix-Versionen, dass ich gar nicht weiss, was nun das Original ist. Allerdings die meisten Mixe klingen geil und die Tatsache, dass Korn mit Skrillex zusammengearbeitet hat, verspricht einiges. Der Bühnenaufbau sieht aus wie eine SR-71 Blackbird. Herr Skrillex lässt auf sich warten, das Schweizer Publikum zeigt Zähne und entfacht ein Pfeifkonzert. Endlich erscheint ein Counter, der 5 Min lang runterzählt und der 1,60m grosser Skrillex erscheint oben in Cockpit, die Die Musik ist wie meine Oma sagt "Die Geräusche, damit der Computer besser funktioniert", aber von diesem Planeten sind sie schon mal nicht. Die Lightshow ist fantastisch, die Menge geht ab. Nach eineinhalb Stunden wird Skrillex als one-trick-pony enttarnt, es wird immer ein bekanntes Sample gespielt, danach wahlweise Dampfturbinen oder Flammenwerfern abgefeuert und dann geht der Drecksaubass los und das Sample wird zerfleddert und weggeworfen. Funktioniert sehr gut, nur nach einer gewissen Zeit vorhersagbar. Aber die Show ist umwerfend, habe sowas noch nie gesehen.

Tag 2:

Der Tag fängt mit einem Schweizer Frühstück an. Für 10 Franken wird folgendes geboten:

Da mache ich sogar eine Ausnahme und fange den Tag nicht mit einer Dose Bier an, wie sonst üblich.

Ich beschliesse nach Zürich zu fahren und mir die Stadt anzusehen. Hat wegen dem See eine Ähnlichkeit mit Genf, selbst der Seespringbrunnen ist da, wenn auch nicht so hoch. Am Tag zuvor gab es ein Massenschwimmen quer durch den See. Es sieht nicht so weit aus, und wenn ich Badesachen dabei hätte, würde ich es auch riskieren rüberzuschwimmen, so beschränke ich mich auf spazierengehen.


In dieser Stadt weiss man immer wie spät es ist

In der Shoppingmeile sehe ich den Schweizer Kommentar zu Pussy Riot. Wer es weniger kommerziell mag, der geht auf The Voice Project und vervollständigt seine Garderobe.

Im Landesmuseum ist Postmodernismusausstellung mit der Unterstützung von meinem Lieblingsmuseum Victoria+Albert in London. Die Ausstellung ist interessant, habe mich nie bewusst mit Postmodernismus auseinandergesetzt, stelle aber fest, dass ich schon einiges von postmodernen Künstlern wie Grace Jones, Boy George oder The New Order gesehen und gehört habe. Der Rest des Museums ist eine Rumpelkammer ein buntes Potpourri an verschiedenen Möbeln, Waffen und Ausstellungen zur Geschichte der Schweiz. Aber vorbildlich ist alles in vier Sprachen beschrieben, da kann sich Genf eine Scheibe von abschneiden. Natürlich konnte man es nicht lassen ein paar hämische Kommentare Richtung Nachbarn zu machen:


Die Streikhäufigkeit von 1850 bis jetzt. Von oben nach unten Schweiz, Frankreich, Italien, Deutschland


Geldentwertung von 1874-1999


Regierungsbildung von 1850-1999

Ich esse das beste und teuerste Schoko-Eis (Kugel mit Waffel 4,50 Franken) meines Lebens und fahre zum Festival zurück.

Bandimpressionen:

Soulwax: Eine sehr coole belgische Band, alle in Smoking mit Fliegen, machen zwar elektronische Musik, aber mit viel Schlagzeug, Gitarre und Analogsynties. Klingt ein bisschen nach Air, aber mit erheblich mehr Feuer unter dem Hintern.

Maxïmo Park: Ist wohl keine Lieblingsband der Bayern 3 Indie-Redaktion. Habe kein einziges Lied gekannt, aber der Sänger war charismatisch, gab sich sichtlich Mühe, der Keyboarder machte Anstalten auf das Keyboard zu klettern. Gefiel mir ganz gut.

Um die Zeit bis zu Prodigy zu überbrücken, gehe ich zum Red Bull Tent, um mir den Münchener DJ Tom Novy anzuschauen. Mit Tom Novy verbinde ich Münchener House im positiven Sinne dieses Wortes, vielleicht kennen ein paar Leute noch "Superstar" oder "Now or Never". Tom scheint die ganze Münchener Bussy-Gesellschaft mitgebracht zu haben, er knutscht mit einer heissen Blondine rum, anstatt an der Reglern zu stehen. Die Musik hat sich verändert, er ist wohl erwachsener geworden, jetzt singt eher eine traurige männliche Stimme und die Musik ist langsamer.

Es schüttet was das Zeug hält. Ich erinnere mich an Costa Rica, entweder man vermummt sich und wird trotzdem irgendwann nass, oder man zieht sich aus, so hat man auch keine nasse Klamotten. Ich bin der einzige, der das zweite wählt und bin 3/4 Stunde vor der Bühne, wo The Prodigy auftreten wird, um mir den besten Platz zu sichern. Vorne sammelt sich ein buntes Grüppchen. Kevin und Rachel aus Schottland, Kevin ist als Flughörnchen, Rachel als Frosch verkleidet (merken, wichtig für später). Ein Glatzkopf flippt schon vorher aus, ist higher als die Sonne, versucht sich dreimal einen Joint zu bauen und scheitert im Regen. Lakonischer Kommentar von Kevin: You either do speed or slow. Ich unterhalte mich mit einem Schweizer, der schon 1991 auf dem Prodigy Konzert war und seitdem noch 18 Mal. Er versucht mich zu überzeugen, dass das beste was The Prodigy jemals gemacht hat die B-Side-Single von One Love ist, ich protestiere. Andere schauen uns wie vollendete Freaks an.

Endlich geht Konzert von Prodigy los. Wie beschreibt man das:

Nackte und bekleidete nasse Körper stossen aufeinander… Grosshirn schaltet sich ab, der Kleinhirn übernimmt… Gleichgewicht bewahren…, nicht fallen…, freien Raum einnehmen…, nicht zurückfallen…, Springen…, Schreie, kein Mitsingen oder Mitbrüllen… einfach nur Urschreie… Kontrollverlust…, Blitze in den Augen…, Maxim schreit: "MY WARRIORS!!!" Das sind wir Krieger, bereit Maxim, Keith und Liam in jede Schlacht zu folgen…

Auf dem Video ist das Flughörnchen Kevin zu sehen, also bin ich auch in der Nähe.

Als Zugabe kommt noch "Fuck them and their law", für mich so eine Art Hymne auf Pussy Riot, die nichts anderes taten, als was The Prodigy 2006 auf dem Roten Platz gebrüllt haben.

Am Ende umarmen wir uns alle, auch die nackten Männer, die ihre Männlichkeit bewiesen haben und kein Problem mehr damit haben von anderen nackten Männern umarmt zu werden.


Meine Klamotten nach The Prodigy Konzert


Vielleicht waren die Stoffwege keine so gute Idee

Ich habe einen Stand mit schweizerischer Küche entdeckt und esse Specknudeln mit Apfelmus als Beilage. Wilde Kombination, schmeckt aber nicht schlecht. Stelle fest, dass Italienerinnen selbst in größten Matsche noch elegant aussehen können.

Es stehen noch die Chemical Brothers auf dem Programm, aber als DJ-Set, das heisst sie spielen gar nicht ihre Songs. Ich schleppe mich hin, halte 15 min durch und gehe ins Zeltlager. Es gibt eine Sache auf der Welt, sie ist wirklich unbezahlbar, nach einem Prodigy-Konzert im Regen und Schlamm warme Dusche haben zu können. Danke, danke an die Organisatoren!!!

Tag 3:

Ich versuche mein Handy aufzuladen und gehe zum Eintrittsbereich. Der Mitarbeiter ist so nett, steckt das Handy irgendwo ein, daraufhin bricht die gesamte Eintrittskontrolle zusammen, weil das Handy an 400V Steckdose hängt. Es hat aber geladen.

Ich vertreibe mir die Zeit, kaufe T-Shirts, mache bei Gewinnspielen mit, die alle darauf abzielen möglichst viele Facebook-Likes und Shares zu bekommen. Trinke vier Dosen meinen 20 Franken Biers. Unterhalte mich mit den Schweizern, die die Organisation für katastrophal halten. Ausserdem sind auf dem Zeltplatz so viele Ausländer, alle sprechen nur französisch oder italienisch. Ich weiss echt nicht, auf welchen Planeten die Leute leben und beginne zu ahnen, dass die Schweizer Multikulturalität auch Augenwischerei ist, in Wahrheit können sich die drei Sprachträgergruppen gar nicht ausstehen.

Bandimpressionen:

Aus Langeweile latsche ich aufs Konzertgelände und sehe eine Band mit recht wilden Frisuren und Gesichtsbemalungen, die Indie mit Folkeinflüssen spielt. Es ist noch früh, es ist heiss, die Band ist komplett unbekannt, die Zuschauer sind öde. Ich beschliesse die Stimmung bisschen aufzuheizen und hample vor der Bühne rum. Sofort habe ich die Aufmerksamkeit der Band auf mich gelenkt, es wird sich bedankt, ich bekomme vom Schlagzeuger ein Papierflugzeug zugeworfen, es ist die Setlist. Die Sängerin wirft mir die "hell-lot-expensive 6 pound water-bottle" zu. Nach dem Konzert schaue ich nach, wie die Band heisst, es sind die "Beth Jeans Houghton & The Hooves of Destiny".

Tocotronic: Ich gebe zu, ich habe vergessen, wie grossartig Tocotronic sind. Nach dem Konzert weiss ich es wieder. Alleine die Songtitel wie "Pure Vernunft darf niemals siegen", "Aber hier leben, nein danke", "Die Kapitulation", "Sag alles ab, mach die Maschine aus", "Im Zweifel für den Zweifel"; "Die Ruine" wurde der europäischen EURO-Politik gewidmet. Die Gruppe sieht immer noch aus wie Blur, aber der Sänger Jan hat schon recht viele graue Haare. Die theoretischen Grundlagen für den Widerstand wie auch immer geartet, werden von dieser Band erarbeitet. Punk für Intellektuelle sozusagen.

Boy: Habe ich schon auf dem Southside gesehen, aber es ist immer schön schönen Frauen zuzuschauen, wie sie sich freuen und das tun Valeska und Sonja von Boy immer noch. Vor dem Konzert dreht die LBGT-Community fleissig Joints, das wird der drogengeschwängertste Konzert des Festivals. Valeska ist sexy wenn sie singt und lacht, aber da sie gebürtige Züricherin ist, erzählt sie irgendwas im breitesten Switzerdytsch. Also neben Sächsisch ist Switzerdytsch der wohl unsexieste deutsche Dialekt. Bitte Valeska, sprich Hochdeutsch mit uns.

Mogwai: Progressive Rock oder psychodelic something aus Schottland. War mir zu laut und den Vergleich mit Tool verlieren sie haushoch. Ausserdem fängt es zu regnen an, ich ziehe mich ins warme, kuschelige Zelt zurück.

Ich will Bloc Party sehen, also quäle ich mich aus dem Zelt und treffe auf Kevin und Rachel. Kevin ist immer noch im Flughörnchen-Anzug unterwegs, Rachel jedoch ohne Frosch-Anzug. Beide erzählen, dass sie gerade auf Koks sind (Schotten, wie wir sie seit Trainspotting kennen und lieben) und bieten mir eine halbe XTC an. Ich sage nicht nein, ich gebe zu das war meine erste überhaupt. Nach einigem hin- und her meint Rachel, dass ich mir das Froschanzug überstülpen könnte. Auch da sage ich nicht nein, deswegen alle weiteren Berichte sind aus der Sicht einen zugeknallten Frosches. An alle, die ähnliche Ideen haben, euer Tieranzug sollte einen Schwanz haben, die Frauen waren ganz wild auf das Schwanz des Flughörnchens, aber Kiss-The-Frog Nummer ging auch ganz gut. Unzählige Gruppenphotos später verpassen wir Bloc Party und schauen uns Orbital an. Orbital gibt es schon lange, sie sind schon auf den Pi, Spawn und The Saint Soundtracks aus den frühen 90ern vertreten. Drum'n'Bass trifft auf Techno trifft auf Rock. Die Lichtshow besteht hauptsächlich daraus Warnzeichen für Radioaktivität und Seuchen in verschiedenen Größen und Farben einzublenden. Flughörnchen und der Frosch sind zu abgelenkt durch partywütigen Frauen, um sich näher mit der Band auseinanderzusetzen.

Kraftwerk sind eine Legende, da erzähle ich nichts Neues. Das Neue ist, dass man für ihre Konzerte 3D-Brillen braucht, weil die Show 3D-Effekte hat. Frog und Squirrel setzen sich 3D-Brillen auf und sind dadurch endgültig abgespaced. Entweder die XTC beginnt zu wirken oder ich bin durch den Froschanzug high oder durch den vielen Wein besoffen, ich mache meine gelernten Taekwondo-Moves kombiniert mit Roboter Breakdance was zu "Wir sind die Roboter, ya tvoj sluga, ya tvoj rabotnik" natürlich wunderbar passt (zumindest denke ich in diesem Moment so). An Kraftwerk ist der ganze postmodernistische Scheiss unberührt vorbeigegangen, sie klingen immer noch wie die Zukunft und berühren mein deutsches Ingenieurherz. Wobei die Statements, die sie setzen, sind immer noch aktuell, der Track Radioaktivität ist nach Tschernobyl mit Fukushima ergänzt werden. Die 3D-Show ist ganz gut, damit sind sie technologisch immer noch vorne. Und es ist schon erschreckend wieviele Samples einem bekannt vorkommen, weil sie in aktuelleren Hits vorkommen, z.B. in der Saufhymne des Jahres, als da Computerliebe von Kraftwerk zur Verwendung kam.

Keine Ahnung womit wir uns die Zeit vertreiben, bis endlich um 2:30 die Bloody Beetroots kommen, die aktuellen Liebling-DJs von Rachel. Wüstes Gemisch aus Rockgitarrenriffs, Breakbeat, Techno, Elektro und was auch immer, der Frosch hüpft durch die Gegend als wäre er auf einer Mensaparty mit 20.

Nach den Bloody Beetroots bin ich an meinem Todpunkt angelangt, ich ziehe den Froschanzug aus und wanke ins Zelt.

Tag 4:

Ich stelle fest, dass einige Sachen bei mir im Zelt fehlen, die Zahnpasta, die Zahnbürste, Duschzeug, Schweizer Frühstück und 2 Dosen 20-Franken Biers. Die gähnende Leere in meiner Brieftasche ist eher durch die Sauforgie den Tag zuvor zu erklären. Verlust ist verschmerzbar, Gott sei dank habe ich trotz Jettons mein Geldbeutel immer bei mir. Ich packe das Zelt zusammen und verabschiede mich von Zürich.

Fazit: Eines der bestorganisiertesten Festivals mit Hammer LineUp und vielen großartigen Erinnerungen. Mal sehen, ob es wieder stattfinden wird, dies war die zweite Ausgabe nach 2010.

Samstag, 11. August 2012

Pura Vida in der grünen Hölle

"Wir fahren nach Costa-Rica", sagte meine Freundin. "Aber das wird ernst, da darf man kein Wasser aus dem Hahn trinken, keine Fingernägel abbeissen, sich immer die Hände abwischen und immer nach dem Essen Zähne putzen. Ausserdem gibt es dort MALARIA und viele Viecher, vor allem SCHLANGEN! Aber es gibt dort aktive Vulkane und dort wachsen Bananen und Ananas, da kannst Du endlich das Ossi-Trauma von Bananenknappheit loswerden." "Aber wir wollten doch nach Guadeloupe" - sagte ich unsicher. "Das können wir immer noch machen, wenn wir Kinder haben", entgegnete sie forsch. "Costa Rica muss man noch ohne Kinder machen, ich habe jetzt schon Angst. Ab zum Arzt, überprüfe Deine Impfungen und hole Malaria Tabletten, wenn Du keine Zeit hast, kaufe ich Dir die Regenhosen".

"Costa Rica, ein wunderschönes Land, die Schweiz Mittelamerikas", erzählt mir mein Arzt verträumt. "Es gibt zwei Meinungen, wie man mit Malaria-Profilaxe umgehen soll. Die WHO sagt, man muss die Malaria-Tabletten vier Wochen vor dem Urlaub und zwei Wochen nach dem Urlaub einnehmen. Das deutsche Institut für Tropenkrankheiten sagt, nehmen Sie eine hohe Dosis ein, wenn Sie die Symptome verspüren. Aber nehmen Sie Klebeband mit, damit können Sie undichte Stellen im Mückennetz abkleben und das Netz darf nicht zu locker hängen, es ist zwar romantisch, aber beim Schlafen rollt man unbeabsichtigt dagegen und die Mücken können einen immer noch durchs Netz stechen. Viel Spass beim Reisen".

"Ich fahre nach Costa Rica in den Urlaub", erzähle ich meinen Arbeitskollegen. "Oh, da war ich schon, aber es hat mir nicht gefallen, Schweiz von Mittelamerika, viel zu zivilisiert. Aber wenn Du in den Regenwald gehst, da müsst ihr euch abends ausziehen und gegenseitig entlausen, da gibt es kleine Mistviecher, die in jede Hautfalte reinkriechen, vor allem in die Po-Ritze, das müsst ihr gegenseitig überprüfen", sagt mir der eine Kollege, der normalerweise auf eigene Faust durch Iran und Uzbekistan sich durchschlägt. Ich stelle mir kurz vor meinem innerem Auge vor, wie die Marco Polo Reisende sich gegenseitig in die Po-Ritze reinschauen. "Oh, da war ich vor fünf Wochen, mein Sohn machte dort Schüleraustausch. Wunderschönes Land, die Schweiz Mittelamerikas, so ein bisschen wie ärmere Regionen Spaniens. Aber nimm ja nichts aus Baumwolle mit, das schwitzt Du sofort durch und kriegst es nie wieder trocken", freut sich Kollege Nummer zwei. "Aber ich habe nur T-Shirts aus Baumwolle, was soll ich jetzt machen?" "Am besten Du läufst sofort in den Laden und kaufst kreischbunte Radfahrershirts, die leiten den Schweiss sofort von der Haut." "Viel Spass auf der Insel", wünscht mir der Dritte. "Costa Rica ist keine Insel, es ist ein Land in Mittelamerika, hat die Größe der Schweiz und grenzt an Nicaragua im Norden und Panama in Süden" - ich fühle mich schlau. "Es hat 4,6 Mio. Einwohner, die Hauptstadt heisst San Jose, man fliegt dorthin 15 Stunden mit Zwischenlandung in St.Domenico. Die Haupteinnahmequelle ist Tourismus, danach kommt Mikroelektronik, weil Intel aus irgendwelchen Gründen eine Fabrik in Costa Rica gebaut hat und dann Bananen und Ananasexport, wobei sie da weltführend sind. Ausserdem ist es eins der regenreichsten Ländern auf der Welt". "Oh, toll, Costa Rica. Nimmst Du mich mit?", macht mir schöne Augen eine Kollegin, als sie mich mit Rücksack aus dem Office schlappen sieht.


Fünf Stunden später bin ich in Frankfurt und checke mein Gepäck ein. Wir werden von einem Cyborg begrüßt.

Gewohnheitsmäßig sucht man nach Mitreisenden. "Denn am Marco Polo Badge erkennt man sie" und tatsächlich ist die Gruppe recht schnell beisammen. Wir sind viele, ganze 25 Leute, viele blonde und blondgefärbte Frauen angefangen von Verträumten, die Bücher wie "Der Mädchenfänger" lesen, bis zu Arschgeweihträgerin. Die Lehrerfraktion ist stark vertreten, neu für mich ist die VW-Fraktion, die Werksferien geniesst. Die Schweiz hat zwei entgegengesetzte Charaktere beigesteuert, einen partysüchtigen Eventmanager und eine, die behauptet, noch nie betrunken gewesen zu sein, weil sie keine Kontrolle abgeben möchte. Auch die Österreich-Fraktion war mit drei Leuten gut besetzt. An dieser Stelle noch einen herzlichen Gruss an Vanessa, die für jeden verlausten Strassenköter Costa Ricas eine Portion Streicheleinheiten übrig hatte.

Wir fliegen mit Condor und ich stelle fest, dass ich auf meinen bisherigen Fernreisen verwöhnt worden bin. Der Begriff "Holzklasse" wurde umdefiniert, Entertainment-Anlage in der Rückenlehne ist nicht, kleine Bildschirme für mehrere, wenn man aufsteht, wird man böse angeschaut, weil man die Sicht zum Schirm versperrt. Die Kopfhörer sind richtig übel. Aber immerhin gibt es viel zu trinken und ein Film ist richtig nett. Drei Stunden Zwischenlandung in der DomRep und nach zwei weiteren Stunden Flug ist man endlich angekommen. Vor der Passkontrolle gibt ein Polizist Faltblätter aus, was man in Costa-Rica beachten sollte. Das wäre:
- Dein Pass ist wertvoll. Trage es immer bei Dir
- Nutze nur Geldautomaten, die in gut beleuchteten und öffentlichen Orten stehen
- Nutze nur zertifizierte Taxi-Services, die einen funktionierenden Kilometerzähler haben
- Beim Spazierengehen, versichere Dich nur in gut beleuchteten und gut besuchten Orten unterwegs zu sein
- Sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen ist strafbar
- Die Sachen im Bus können gestohlen werden

Grm, zwischen der Schweiz Mittelamerikas und der europäischen Schweiz gibt es doch gewaltige Unterschiede, in Genf bekomme ich so ein Faltblatt eher nicht.

Tag 1: Die Reiseleiterin Sabine tritt in unser Leben. Sabine lebt seit mind. 14 Jahren in Costa Rica, studierte hier Biologie und ist mit der Natur verheiratet. Sie war das Weibchen von Klammeraffenmännchen, Freundin von Kakadu, rettete Großwildkatzen vor Ameiseninvasion, trifft beim Schiessen immer ins Schwarze, kann schlimme Ereignisse vorhersehen und muss die Telefonnummern von halb Costa-Rica in ihrem Handy gespeichert haben, denn es ist schier unglaublich, was sie organisieren kann. Vortragsstil von Sabine ist der einen mongolischen Reiters: "Was ich gerade sehe, darüber ich jetzt singe", was am Anfang für einige Irritationen sorgte. Dabei unterscheidet Sabine haarscharf zwischen "wir Costa-Ricaner hier" und "ihr Europäer dort". Der erste Hinweis wie ernst der Umweltschutz in Costa-Rica genommen wird, wir bekamen Trinkflaschen aus Plastik, das sich nach 2-3 Jahren zersetzt, uns wurde nahegelegt die Flaschen immer beim Busfahrer nachfüllen zu lassen. Ob genau diese Flaschen Weichmacher in Trinkwasser freisetzen der angeblich krebserregend und impotenzfördernd sind? So genau wollen wir das auch nicht wissen.


Kaffeeplantage


Kaffeebohnen

Wir fahren hoch zum Vulkan Poás. Halt an einer Kaffee-Plantage, wo ich den ersten costa-ricanischen Kaffee zu trinken bekomme. Bin eigentlich kein Kaffee-Trinker, man kann sich aber daran gewöhnen.


Poás ist in der Nebelzone, wir stehen am Kraterrand und versuchen den weissen Adler auf dem weissen Hintergrund den See im Krater zu sehen, der aber komplett von Wolken gefüllt ist. Runtersteigen ist nicht, das ist nur was für erfahrene Vulkanologen. Also spazieren wir durch den Nebelwald und sammeln unsere erste Dschungel-Erfahrung.


Am Ausgangspunkt angelangt, kommt die Nachricht, dass der Krater genau jetzt wolkenfrei ist, also stürmen die fitteren nochmal hinauf und tatsächlich können ein paar Photos vom See geschossen werden.

Abends sind wir wieder in der Hauptstadt und gehen ins Goldmuseum. Das Goldmuseum ist eine in die Erde eingegrabene umgedrehte Pyramide, der Eingang ist mit meterdicken Stahltüren abgesichert.


Drinnen kann eine recht eindrucksvolle Sammlung von Goldgegenständen der Indios besichtigt werden.


Gold war für die Indios nur ein weiteres Metal, um daraus glänzende Schmuckstücke zu fertigen, die eigentliche Währung waren die Kakaobohnen. Die heutige Währung sind übrigens Colones, man kann aber auch überall mit US-Dollar zahlen und bekommt ihn sogar manchmal am Geldautomaten. Vorbild für Griechenland?

Das erste was am San Jose auffällt ist der NATO-Stacheldraht mit dem alle Zäune abgesichert sind, die vergitterten Fenster und die abenteuerlichen Stromleitungen. Laut Sabine ist das Sicherheitsbedürfnis der Ticos (so nennen sich die Costa Ricaner) übersteigert, doch wurde uns von ihr nahegelegt, möglichst vor Einbruch der Dunkelheit, also vor 18 Uhr im Hotel zu sein und ansonsten Taxi zu nehmen, Geld möglichst am Körper tragen und nur so viel nehmen, wie unbedingt notwendig. Wir folgen diesem Rat und machen nur einen kurzen Abstecher in die Fußgängerzone.


Die Stadt ist, wie es sich für eine lateinamerikanische Stadt gehört, laut, chaotisch und stickig, aber recht sauber. Die Laden- und die Strassenverkäufer konkurrieren um die prägnanteste Stimme, die Papageien kreischen, im Verkehr gilt: der Frechere gewinnt.


Nationaltheater, eins der älteren Gebäuden in San Jose


Platz der Unabhängigkeit


Katholische Kirche und der Baum mit lauten Papageien daneben


Eher ungewöhnliche Architektur

Wir besuchen ein paar Kirchen und gehen früh zu Bett. Denn eins gilt in Costa Rica: Es wird sehr früh aufgestanden, denn es wird früh hell und früh dunkel.

Tag 2: Fahrt nach Tortuguero an der atlantischen Küste im Norden des Landes. Unterwegs halten wir für den zweiten Frühstück an. Uns wird die Nationalspeise serviert, die wir fast bis zum Ende der Reise zum Frühstücken, zum Mittagessen und zum Abendessen bekommen werden: Reis & Bohnen. Es ist schwer Gourmet in Costa Rica zu sein, es sei denn man ist R&B-Fetischist, es gibt viele verschiedene Sorten und Zutaten, die beigemischt werden können. Interessanterweise werden Bohnen und Reis in Costa Rica angebaut, sind aber alles andere als einheimisch, die Kartoffel hingegen, die der olle Columbus von hier nach Europa brachte, wird auch angebaut, aber viel seltener als Zutat verwendet. Was die anderen Früchte angeht, die Superbanane habe ich nicht gefunden, schmecken genauso wie hier, die Ananas hat eher noch mehr Fruchtsäure, was in Kombination mit Kaffee Magenübersäuerung mit entsprechenden Folgen verursachen kann, die reife Papaya ist Geschmacksache. Zum Frühstück wird noch gerne Omelett gegessen.


Frisch geschlüpfter Schmetterling






Kurzer Besuch im Schmetterlingsgarten und weiter geht es mit dem Bus an Bananen- und Ananasplantagen vorbei.


LKW auf der Panamericana


Wer mehr über die Geschichte wissen möchte, wie die Plantagen entstanden sind und mit wessen Knochen diese Plantagen gedüngt wurden, dem sei das Buch "Die grüne Hölle" von Carlos Luis Fallas empfohlen.

Ein interessanter Fakt für die heimischen Ananaszüchter ist, dass eine Ananas gestresst werden muss, damit die Frucht überhaupt zu wachsen anfängt. Also besprüht euren Ananasbusch mit CO2, schiebt es in der Wohnung rum, spielt ihm Justice vor, nimmt es zu einem Dortmund-Schalke Fussballspiel.


In den blauen Säcken sind Bananenstauden drin

Tortuguero ist Wetland, also so richtig nass. Kein Auto kommt zu den Dörfern und Hotels durch, also wird das gesamte Proviant und Baumaterial per Boot transportiert.


Wir steigen auch in ein Boot und fahren im braunen Wasser am Regenwald vorbei zu unserem Hotel.




Ein Halt im Dörfchen Tortuguero, das sich komplett auf Tourismus spezialisiert hat.


Die Mode der Saison


Ein typisches Haus in Tortuguero

Unser Hotel liegt an der Karibikküste, doch von der Atmosphäre, wie sie in "Raffaelo ohne Schokolade" verbreitet wird, ist der Strand sehr entfernt.



Eher hat man das Gefühl, das letzte Hurrikan ist vor zwei Stunden vorbeigerauscht. Man kann zwar ins Wasser gehen, aber die Wellen sind hoch und reissen einen mit in den Ozean. Grosse Baumstämme werden ans Ufer gespült, insgesamt recht viel hingespültes Müll an dem wilden Strand. Wir schnappen uns Kanoes und Kajaks und paddeln auf den Kanälen. Für recht viele ist es das erste Mal, also kentert ein Kanoe als alle in dieselbe Richtung schauen, zum Glück ist das Wasser brusttief. Viel schlimmer erwischt es meine Freundin, als sie einem Kaimanen (kleinen) ins Auge blickt und sich nicht mehr am Ende der Nahrungskette fühlt (ich hatte das Gefühl mal als ein kleines Kind, als mich ein Panter im Zoo fressen wollte). Ich paddele auf dem Kajak und versuche irgendwelche Tiere zu erspähen, das einzige was ich zu sehen bekomme, sind Weisskapuzineraffen, die hoch in den Bäumen turnen.

Aber auch ohne die Tiere bekomme ich eine Vorstellung was für ein wahnsinnig vielfältiges Ökosystem der Regenwald und die Wetlands insbesonders darstellen. Die "Rettet den Regenwald"-Aufrufe, die man in Deutschland schon sarkastisch benutzt, bekommen vor Ort eine ganz neue Bedeutung. Was passiert eigentlich mit dem Regenwald, den Kronbacher & Co Meter für Meter, Kasten für Kasten aufkaufen? Nun, diese Gebiete werden zu Naturschutzparks und damit für sie gesorgt werden kann, werden Eintrittspreise von Besuchern verlangt. Laut Sabine ist es in Costa Rica noch nie vorgekommen, dass einmal ausgewiesener Nationalpark wieder in nutzbare Fläche umgewandelt wurde. Die Costa Ricaner selbst sind (inzwischen) sehr stolz auf ihre Natur, ihre Nationalparks, im Fernsehen laufen ständig Tierdokumentationen und Biologie ist ein beliebter Studiengang. Es gibt noch eine Menge zu erforschen, alleine die bekannten Arten werden auf 30.000 geschätzt (in Deutschland ca. 3000) und jährlich kommen neue hinzu.

Tag 3: Wir steigen auf ein motorisiertes Bötchen mit einem Einheimischen als Kapitän und auf den ersten zehn Metern erspäht er mehr Tiere, als ich während der gesamten Kajaktour den Tag zuvor.


Tarnung ist die beste Verteidigung und man muss gleichzeitig nach links, nach rechts, hoch in die Gipfel, rein ins Wasser, in die Nähe und in die Ferne schauen, denn man weiß ja nie, was für ein Tier einen erwartet. Wir schauen alle angestrengt, aber eher nach dem Motto "Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn".


Kleine Echse in der Sonne


Basilisk auf dem Ast


Irgendein seltener Vogel


El Caimano


Leguan


Die hätten wir eigentlich alle sehen sollen (ausser Jaguar vielleicht)

Ein Linguist findet in dem Wort Tortuguero sofort das Wort Tortuga, also Schildkröte. Und zwar eine Meeresschildkröte. Denn hierher kommen nachts die Meeresschildkröten, um ihre Eier abzulegen. Und das kann man beobachten. Der Prozess ist so geregelt, dass die Einheimischen Lizenzen haben, den Touris die eierlegenden Schildkröten zu zeigen, aber nur wenn sie die Erlaubnis von Naturschutzpark-Wächtern dazu bekommen. Jede Gruppe hat einen eigenen Strandsektor und muss warten, bis eine Schildkröte diesen Sektor ansteuert und die Eier zu legen beginnt. Dann darf man möglichst leise sich an die Schildkröte heranschleichen, kein Licht, kein Blitz, kein Photo und beobachten, wie sie die Eier legt. Soweit die Theorie.

Vorhang auf für Ray Brown. Der Einheimische schnappt sich unseren Teil der Gruppe, wir gehen hinter ihm und stehen plötzlich auf einem Flugzeugrollfeld. Ray erzählt auf Englisch, dass er aus Tortuguero stammt und die Meeresschildkröten sein ein und alles ist. Also erzählt er uns über sie. Ein Weibchen paart sich bis zu 28 Stunden mit einem Männchen und sammelt sein Sperma in einem Beutel. Sie hat 12 solche Beutel, paart sich also mit 12 Männchen und wählt dann die besten 3-4 Beutel aus mit denen sie sich befruchtet. Ein Beutel reicht für 130 Eier, die sie pro Landgang legt, also geht sie pro Season 3-4 Mal ans Land. Die restlichen Beutel dienen ihr als Nahrung. Erstmal am Land, fängt die Meeresschildkröte an sich einzugraben, danach gräbt sie ein noch tieferes Loch und beginnt dorthin ihre 130 Eier abzulegen. Währenddessen fällt sie in Trance. Danach wird das Loch zugeschüttet und die Schildkröte wandert ins Meer. Nach 120 Tagen schlüpfen alle kleine Schildkröten aus, krabbeln zum Strand und schwimmen mehrere Tage selbstständig zum Saragossa-Meer. Dort ernähren sie sich und schliessen sich dann dem Rudel an. Mit 30 Jahren sind sie zum ersten Mal geschlechtsreif und finden ihren Weg wieder an denselben Strand. Natürlich ist so ein komplizierter Fortpflanzungsvorgang ein Freudenfest für alle Raubtiere zu See, auf dem Land und in der Luft. Schätzungsweise überlebt nur eine Babyschildkröte von 100 den Weg aus dem Loch zum Saragossa-Meer. Aber auch die weiblichen Schildkröten können Opfer von z.B. Jaguar werden, die den Panzer mit Tatzenschlag knacken können. Aber der größte Feind ist der Mensch. Wegen dem langen Geschlechtsakt glauben die Menschen an potenzsteigernde Wirkung der Eier, das Fleisch ist sehr begehrt, aber der Verzehr ist absolut verboten.

Ray wird von den Ausführungen unterbrochen, weil im Nachbarsektor eine Schildkröte gesichtet wurde, wir rennen entlang dem Rollfeld und durch ein Tor zum Strand. Ich stolpere fast über den riesigen Panzer, die Schildkröte ist gar nicht am Strand, sondern ist viel weiter gekrochen, weil die Flut wohl sehr hoch ist. Jetzt liegt sie im Geäst und versucht ein Loch zu graben. Touristen scharren sich um die Schildkröte, die angestrengt mit den Flossen die Äste und den Sand beiseite schiebt. Ich habe eine Assoziation mit menschlichen Wehen, muss ähnlich anstrengend sein und man will nicht unbedingt, dass man dabei begafft wird. Nach 3-4 Minuten müssen wir raus. Gleich danach kommt die Meldung, dass die Schildkröte ohne die Eier abzulegen wieder ins Wasser zurückgekehrt ist, der Grund war zu astig. Andere Gruppenteilnehmer aus dem anderen Sektor regen sich über die Amis auf, die ihre Kinder nicht unter Kontrolle haben, so dass sie fast auf die Schildkröte zum Reiten aufgesprungen sind. Die fühlte sich natürlich auch gestört und kehrte ins Meer zurück, ohne Eier abzulegen. Etwas fragwürdige Einrichtung ist es schon, wobei früher es wohl noch schlimmer war und die Leute richtige Parties am Strand gefeiert haben.

Tag 4: Wir fahren mit dem Boot zurück zum Bus, da erreicht Sabine die Horrornachricht für jeden Reiseleiter. Eigentlich sollten wir zu den Bribri-Indianern fahren, doch aufgrund der stark gestiegenen Flüsse ist es nicht mehr möglich, also muss schleunigsts was anderes organisiert werden und das an einem Sonntag! Während Sabine hektisch rumtelefoniert, gestehen einige Teilnehmer hinter vorgehaltener Hand, dass es sie nicht sonderlich stört, nicht mit dem Einbaumkanoe durch den Urwald in eine Herberge ohne Strom und warmes Wasser gefahren zu werden, wo der Boden nach Skorpionen und Schlangen abgesucht werden muss. So abenteuerlustig sind sie nun auch wieder nicht. Schliesslich ruft Sabine die Gruppe zusammen und erklärt uns, dass wir die nächsten zwei Tage in einem Yoga-Hotel untergebracht werden. Also fahren wir im strömenden Regen nach Süden und erreichen die hölzernen Bungalows (merke, die meisten Hotels sind aus dem Tropenholz gebaut, das wir in Deutschland meiden sollen) und wunderschönen Garten.


Streichle mich, streichle mich, streichle mich Du Arschloch, streichle mich


Esoterischer Krempel im Yoga-Garten


Götterbaum…


… an dessen Wurzeln man sich anlehnen kann, um die kosmische Energie zu sammeln


Gartenfrosch

Die schweizer Besitzerin Jacqueline mustert uns misstrauisch, wir sehen alles andere aus als Yogis, aber wir sind die einzigen Gäste und Geld stinkt nur dann, wenn es in dem Klima zu faulen anfängt. Ich treffe auf die andere Jacqueline aus Kanada, die mir gleich Yoga-Stunden anbietet sogar für umme. Wir sagen nicht nein und als einziger Mann mit mehreren Frauen stretche ich mich in Positionen wie "Head-Hanging Dog", "Little Cobra" und "Flying Eagle". Besonders ungewohnt ist die Position in der man sich dem Universum öffnet, man liegt auf dem Rücken auf einem rechteckigen Holzklotz, die Arme auseinandergestreckt und die Füße mit angezogenen Knien ebenfalls gestreckt. Erinnert rein äußerlich an die Position der Maya-Opfer, kurz bevor der Priester ihnen das Herz rausschneidet. Aber man fühlt sich gedehnt und kann sich einreden, dass die Sonne nur deswegen rauskam, weil man die Sonnengrußübung gemacht hat.

Am Abend hat Thomas Geburtstag, es werden Kuchen und Luftballons organisiert, am wichtigsten natürlich Rum und Cola. Die gesamten alkoholischen Vorräte der Yogis werden ausgesoffen. Die schweizer Jacqueline beobachtet das Geschehen mit gemischten Gefühlen, die kanadische freut sich, dass hier endlich mal was los ist.

Tag 5: Wir werden von Brüllaffen geweckt. Ein Brüllaffe ist das lauteste Tier auf diesem Planeten (die Wale zählen nicht, weil sie die Geräusche über Wasser weitergeben). Ein Brüllaffe hört sich so an (vorher volle Lautstärke einschalten):

Nach ausgezeichnetem Frühstück ohne R&B, fahren wir zum Cahuita Nationalpark und wandern dort in Strandnähe im Wald.


Schlafende Baumviper


Blattameisen bei der Arbeit


Riesige Grille


Termitennest


Faultier


Brüllaffe


Aufgehende Kokosnuss

Uns wird die Noni-Frucht erklärt und schmackhaft gemacht. Wie alle eklig schmeckenden Früchte ist sie sehr gesund und sorgt für langes Leben.


Die Leute in Cahuita sind Nachfahren von Plantagenarbeitern, die aus Afrika und Karibikinseln geholt wurden, an zahlreichen Rastas sehen wir, dass sie ihre Wurzeln und ihr vereinfachtes Englisch-Creol pflegen.


Nachmittags Ausflug in eine Kakao-Plantage. Es regnet, dabei haben sich zwei Regenschutzstrategien etabliert, entweder man mummt sich ein in Regenhose, Regenjacke und Poncho, oder man ignoriert den Regen und läuft am besten barfuß, wie unser Guide.


Mahlen von Kakaobohnen


Erhitzen und Zusammenmischen


Fertig ist der Schokokuchen

Die Kakaofrucht wird aufgeschlagen, die Kakaobohnen rausgeholt und erstmal getrocknet. Nach einer Woche lässt man sie fermentieren, danach schält man sie und röstet. Hat man erstmal geröstete Bohnen (so wie ich welche mitgebracht habe), dann müssen sie gemahlen werden. Zu der fein gemahlenen Masse gibt man Puderzucker oder Melasse hinzu, Vanilleextrakt, Milchpulver und evtl. etwas Wasser. Durchkneten, auswalzen und fertig ist der Schokokuchen. Der Schokokuchen trieft von Fett, denn Kakaobohne besteht zur Hälfte aus Fett, während in der normalen Schokolade die Kakaobutter durch anderes Fett ersetzt worden ist.


Wenn die Schokolade falsch zubereitet wird, holt Dich der Schokoladenmonster

Abends wieder Partyversuch, Jacquelines verkaufen uns Mojitos mit Pfefferminze aus Teebeuteln. Nachdem die Musik immer lauter wird, platzt der Schweizerin der Kragen, sie beschimpft uns als "Brüllaffen nur lauter" und lässt die Party bald platzen.

Tag 6: Sabine hält in unserem Namen eine Dankesrede für die Gastfreundschaft, die die Besitzerin mit angesäuerter Miene akzeptiert. Wir steigen in den Bus und fahren in Richtung Norden zum Vulkan Arenal. Arenal ist ein recht junger Vulkan, die letzte Eruption fand im Oktober 2010 statt und der Aufstieg zum Krater ist nur für Vulkanologen erlaubt. Also wieder mal kein Lava zu sehen :-(.


Auf diesem Bild sind mind. zwei Leguane versteckt


Arenal in Wolken

Während der Fahrt werden die optionalen Aktivitäten durchgeplant, die man in der Gegend machen kann. Spätestens jetzt stellen wir fest, dass Costa Rica alles andere als günstiges Reiseland ist, sowohl was das Ausgehen als auch sportliche Aktivitäten angeht. Wir schieben es auf die Amerikaner, die mit ihren 10 Tagen Urlaub mehr Geld ausgeben müssen, als wir verwöhnte Europäer mit unseren 30 Tagen. Ausserdem habe ich zum ersten Mal das Gefühl dass das Bedienpersonal auf das Trinkgeld wirklich angewiesen ist und es nicht nur eine nette Geste ist. Wir entscheiden uns fürs Wandern.

Zum ersten Mal gibt es kostenloses Internet, was unsere Facebook-Junkies alles um sich herum vergessen lässt. Wir werden unseren Image als Stinkstiefel bewusst, als wir trotz Gemeinschaftsunterbringung doch zu zweit in einem Dreierzimmer unterkommen. Ausserdem werden wir Mitglieder in einem Lästerschwesterclub, der beim Abendessen über alle Geschehnisse des Tages und vor allem des Vorabends mit breitem Grinsen tuschelt (herzliche Grüße an Michaela und Vanessa ;-).

Tag 7: Auftritt Sergio, unserem Wanderguide. Sergio ist zumindest zur Hälfte ein echter Bribri-Indianer und hat mit Sabine Biologie studiert. Er hat als einziger Aussenstehender eine Lizenz zum Schildkrötenzeigen in Tortuguero, nur lässt er sich dort ungern blicken, seit er ein paar Einheimische verpfiffen hat, dass sie Schildkrötenfleisch essen und sie daraufhin ihre Lizenz verloren. Zur Zeit arbeitet er als Gepäckschlepper in unserem Hotel und sagt, dass er damit mehr verdient, als wenn er an einem biologischen Projekt oder als Reiseleiter arbeiten würde. Das Geld braucht er, um seine fünf Kinder (zwei davon in Deutschland) von vier Frauen zu besuchen. Die Frauen warfen ihm wohl vor, er wäre mit Meeresschildkröten verheiratet und nicht mit ihnen. Also nochmal zur Warnung, heiratet niemals einen Biologen!

Wir steigen mit Sergio zum Krater des benachbarten Vulkans Cerro Chatto. Angeblich wohnt ein Puma in der Gegend, Sabine verspricht uns umzubringen, wenn wir das Puma in freier Wildbahn sehen, sie hatte nämlich noch kein Glück. Unterwegs erklärt uns Sergio Pflanzen und Tiere, die wir sehen. Der Aufstieg ist recht steil, wir keuchen uns hoch. Plötzlich sehe ich eine mäandernde Bewegung, ich habe gerade noch Zeit "Schlange" zu brüllen und hochzuspringen. Vroni folgt meinem Beispiel und unter uns kriecht etwas grün-braunes ins Gebüsch. Sergio springt hinterher und kehrt bald mit einem Meter von Schlange zurück, die er am Kopf und am Schwanz festhält.




Angepisste Schlange in Angriffsstellung

Es stellt sich heraus, dass sie ungiftig ist, doch laut seinem Geständnis wußte er das noch nicht, als er sie packte. Noch zuvor erzählt er uns, dass er möglichst kein zweites Mal gebissen werden möchte, vom letzten Biss und vor allem vom Gegenmittel hat er immer noch Nervenschmerzen. Also nochmal, heiratet keinen Biologen!


Während der Mittagspause sehen wir einen Nasenbären, der zwar unsere Sandwiches möchte, aber sich nicht recht traut.



Kröte


Blindschleiche


Der Weg zum See im Krater wird immer schlammiger, so dass mir immer dieses Video in den Sinn kommt, mit dem man sich pusht, um weiterzukommen:

Wir springen in den kalten See und wandern erfrischt weiter zum Dschungel-Wasserfall in den wir auch noch reinspringen.





Und weil es so schön war, gehen wir abends in die Therme, das bis zu 45 Grad warmes Wasser wird vom Vulkan aufgewärmt, also sehr umweltfreundlich. Grundsätzlich ist Costa Rica aufgrund von Wasserkraft und Geothermie unabhängig bei der Energieerzeugung, nur mit der Energie für Fortbewegung hapert es noch.

Tag 7: Noch eine Wanderung durch Schilf und Lavafelder zum Arenal Stausee.


Wir steigen in den Bus und fahren zum Vulkan Tenorio.


Eine Kirche auf dem Weg zum Tenorio

Dort angekommen, machen wir eine Wanderung, bei der wir mehrere Hängebrücken überqueren müssen. Wackeln ganz schön, aber selbst für Leute mit Höhenangst überwindbar. Ich versuche Tiere mit allen Sinnen zu erspüren, aber keine Chance für eine Stadtratte wie mich.



Tenorio liegt an der Grenze zu Nicaragua. Für die ehemaligen Östlich-des-Eisernen-Vorhangs-Einwohner ist Nicaragua weit bekannter als Costa-Rica. Jeder hat in seiner Schulzeit bunte Stifte in die Schule gebracht, die dann für die armen Kinder von Nicaragua bestimmt waren. So unterstützten wir den Kampf von Sandinisten gegen die bösen Kontras. Nach dem Fall der Mauer wurde Nicaragua komplett vergessen, so dass keiner so genau sagen kann, wie der Konflikt nun ausgegangen ist. Ich vermute, dass das Land einfach ausblutete, keine der Seiten hat gewonnen und jetzt ist Nicaragua eins der ärmsten Länder der Welt. Die Nachbarschaft zum relativ reichen Costa-Rica führt dazu, dass sehr viele legale und illegale Einwanderer aus Nicaragua sich in Costa-Rica aufhalten und zu Dumpinglöhnen auf Bananenplantagen arbeiten. Trotzdem werden sie nicht von der Bevölkerung akzeptiert, obwohl kein Tico diese Arbeit machen möchte. Warum ist nun Costa-Rica reich, Nicaragua aber arm? Laut Sergio ist der Hauptunterschied, dass Costa-Ricaner schon 1949 ihre Armee abgeschafft haben und die freigewordenen Haushaltsmittel in Bildung investieren. Jedes kleine Dorf hat eine Schule, sehr viele junge Leute studieren. Die Regierung ist recht korruptionsarm, viele Skandale kommen durch die freie Presse auf die Oberfläche. Also eine glänzende Bestätigung der Theorie von Autoren von "Why Nations Fail", laut ihnen kommt es nur auf die Effektivität der Verwaltung und Freiheiten der Bürger an, ob eine Nation reich oder arm ist.

Die Übernachtung ist weniger spassig. Fette Spinne wartet auf mich nacht im Bad, eine versteckt sich im Duschkopf. Die Gegend ist reich an Moskitos und anderen Blutsaugern, viele werden zerstochen. Allerdings ist Gras in Costa-Rica nicht nur grüner, sondern auch stärker, was zum breiten Grinsen und Hunger nach Keksen bei einigen Mitreisenden führt. Die Witze erreichen das Niveau von "Woran erkennt man einen kurzsichtigen Gynäkologen?" "An der feuchten Nase".

Tag 8: Mit einem alten Schulbus, der in USA abgeschrieben worden ist und jetzt in Costa Rica seine Dienste tut, fahren wir zu Rio Celeste.


Eine sehr schöne Wanderung entlang des turkisenen Flusses.





Schwefelquelle


Fette Spinne, aber keine Vogelspinne

Die Farbe entsteht aus Schwefelverbindungen, es gibt auch heisse Quellen in denen allerdings die Marco Polo Teilnehmer möglichst nicht baden sollen, die Gefahr von Verbrühungen ist zu hoch. Andere Wanderer sehen das lockerer, latschen mit High Heels durch den Dschungel und springen in die Quellen.


Unterwegs nach Monteverde machen wir halt bei einem Lokal, dessen Besitzer Aras angefüttert hat, so dass sie immer wieder kommen. Wunderschöne Vögel, können sich erlauben alle Regenbogenfarben in ihrem Federnkleid zu haben, natürliche Feinde haben sie kaum. Wir kommen in Monteverde an, wo wir wieder freie Optionen zur Zeitverbringung haben.

Tag 9: Das größte Tier des Dschungels ist der Canopy-Fahrer. Hoch über den Baumgipfeln schwebt er mit lautem Surren in hoher Geschwindigkeit von Plattform zu Plattform und stößt dabei Brunftlaute wie "Geil", "Wow", "Pura Vida" und ähnliches aus. Auf besonders langen Strecken (bis zu einem Kilometer) wurde auch Pärchenbildung beobachtet, der männliche und die weibliche Canopy-Fahrer fahren gemeinsam, eine Fortpflanzung wurde allerdings noch nicht beobachtet. Ernähren tut sich der Canopy-Fahrer von Pommes und Pizza. Ansonsten stellt der Canopy-Fahrer keine Gefahr für andere Tiere oder Pflanzen dar.



Nach Canopy machen wir noch eine Wanderung durch den Urwald mit zahlreichen Hängebrücken. Gigantische Bäume wachsen in den Himmel, laut Sabine ist auf jedem mehr Pflanzen- und Tierarten zu finden, als die gesamte Flora und Fauna in Deutschland hergibt.

Nachmittag habe ich zur freien Verfügung, also mache ich alleine eine Wanderung zu einem Souvenierladen, wo man geröstete Kakaobohnen kaufen kann. Ich laufe eine staubige Piste entlang, schaue mir die einfachen Häuschen und die Leute an und fühle mich endlich in Mittelamerika verortet.

Durch Laufen und meinetwegen Fahrradfahren fühlt man sich viel unmittelbarer als Teil der Landschaft, als durch die Fenster einen vollklimatisierten Busses. Vollgepackt mit Kakaobohnen und anderen Mitbringseln mache ich mich auf den Rückweg und stolpere fast wieder über die Common Road Guard-Schlange, die sich aber schnell ins Gras zurückzieht.

Tag 10: Wieder in den Bus und ab geht's nach Samara, dem Badestrand. Doch zuvor noch ein Besuch bei einer Familie von Kaffeepflanzern.


Mariastatue der schon einige Wunderheilungen nachgesagt werden

Dort bekommen wir bestätigt, dass es für den Konsumenten kein Geschmakunterschied zwischen Bio und normalem Kaffee gibt, allerdings ist es ein riesiger Unterschied beim Aufwand gesunde, gut gedüngte Pflanzen mit oder ohne Chemie aufzuziehen.


Kasten für Düngerherstellung aus Würmerkot für Biokaffee

Biopflanzen müssen viel aufwändiger gedüngt werden, bei Pilzbekämpfung müssen verschiedene pflanzliche Mixturen ausprobiert werden, selbst das Vieh und die Waschmaschine müssen mit chemiefreien Erzeugnissen gefüttert werden, damit das Grundwasser nicht verschmutzt wird. Trotz diesen Aufwandes stellt der Kaffeebauer die Produktion auf Bio um, denn es ist eine Frage der Einstellung und der Liebe zur Natur. Denn der Chemiedünger wird aus dem Boden rausgewaschen, konzentriert sich in den Flüssen, wird ins Meer gespült und sorgt für Algenwachstum, die dann die Strände verschmutzen. Was bei uns für Verwunderung sorgt, dass der Kaffee in Costa-Rica teuerer ist als in Deutschland. Das zeigt die Einkaufsmacht von Tchibo&Co, die die Preise nach Belieben drücken können. Erst in der letzten Zeit gibt es StartUps, die die Einkaufsmacht der grossen Röstereien brechen möchten und eine lückenlose Kette zwischen der Plantage und dem Kaffeegeniesser herstellen.


Zuckerrohrpresse

Wir kommen in Samara an Pazifikküste an und laufen zum Strand. Sieht auf jeden Fall netter aus, als auf der Karibikseite, allerdings wieder hohe Wellen, in die man gut eintauchen kann, für Schwimmer und Massentourismus ist es eher nichts (ist auch besser so).




Strandhaus, flutwellensicher gebaut

Entsprechend ist Samara ein Paradies für Surfboys, die auf den Wellen ihre Kunststücke zeigen. Samara ist voll von deutschen Aussteigern, die Hotels, Restaurants oder sogar Flugschulen eröffnet haben und in der Fremde recht erfolgreich sind. Swiss-organized ist hier ein Gütesiegel.

Tag 11: Während der Rest der Gruppe in zerbrechlichen Nussschalen von einem Boot nach Delfinen Ausschau hält, versuche ich mich an Wellenreiten. Auftritt Didirien von C+C Surfschule. Gebürtiger Costa-Ricaner mit ausgezeichnetem Englisch (was eher eine Seltenheit in Costa-Rica ist, trotz der Menge an amerikanischen Touristen), ist eigentlich ein studierter Ingenieur für Lebensmittel, lebt schon seit fünf Jahren in Samara und surft solange er kann. Geldverdienen kann man später immer noch. Ich überlege kurz, wie man fünf Jahre Surfen in einem deutschen Lebenslauf verstecken kann, alleine mit Sprachschulbesuchen wird es schwierig. Anyway, wir bekommen eine Anleitung, wie man das Brett wachst, dann den Wachs kämmt, um die Oberfläche möglichst rutschfest zu machen, dann auf die Welle wartet, sich aufs Brett legt, mit der Welle zu paddeln beginnt und dann locker-flockig aufsteht und zu surfen anfängt. Klingt doch einfach? Auf einem grossen Brett habe ich es gerade mal geschafft aufzustehen, auf einem kleinen Brett hatte ich keine Chance. Das Brett fliegt weg, man bedeckt den Kopf mit den Händen und hofft, dass das eigene oder das fremde Brett einem nicht im Genick landet. Respekt vor den Surferboys, die scheinbar mühelos im Wellenkanal surfen, wächst minütlich. Immerhin verstehe ich, warum sie alle so knackige Bodies haben, Surfen ist verdammt anstrengend.

Tag 12: Nachdem ich in meiner Jugend viel A-Team angeschaut habe, konnte ich das Angebot nicht ausschlagen in einem ultraleicht Tragschrauber Platz zu nehmen und in die Lüfte zu steigen.



Tragschrauber braucht kurze Rollbahn zum Starten im Unterschied zum Helikopter




Hier kann man Krokodile sichten



Mel Gibsons Anwesen

Aus 300 Meter Höhe überfliegen wir das Anwesen von Mel Gibson, dem es angeblich ziemlich auf den Keks geht, aber er ist wohl gerade nicht da. Seine Zuckerrohrplantage zum Eigenverbrauch von Rum finde ich auch nicht. Wir fliegen ganz tief übers Meer, doch ich sehe die Rochen und Meeresschildkröten, die sich dort tummeln sollen zwar nicht, doch irgendwie geil ist es schon. Abends nochmal baden und ausspannen.


Und noch ein Leguan

Abschiedsessen, wir feiern Geburtstag von Sabine in einer Strandbar. Mit Erstaunen stelle ich fest, dass die Musik, die dort gespielt genau dieselbe ist, wie in der russischen Disco Candy-Shop in München Optimolwerke, selbst die Übergänge sind gleich. Also, wer Sehnsucht nach Costa-Rica verspürt, nichts wie hin.

Tag 13: Jetzt heisst es Abschied nehmen von Samara, dem Ozean, den Wellen. Wieder in den Bus, Sabine legt meine CD von der Band La Solucion ein. Wer moderne Latino-Musik hören möchte, dem empfehle ich die Band Señor Coconut and his Orchestra.

Wir kommen nach San Jose, gehen noch was Essen und dann ins Bett.

Tag 14: Sabine umarmt jeden einzelnen von uns zum Abschied. Vier Schlangen (diesmal menschliche) und $28 Ausreisesteuer später, sind wir wieder in der Condor-Holzklasse. Im Flugzeug klingt "If you like Pina Colada". Als wir 15 Stunden und drei sehr dämliche Filme später in Frankfurt ankommen, ertönt das Lied wieder. "Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt" oder "Welcome into hard life" wäre meines Erachtens passender. Zerstochen, sonnenverbrannt, Hautabschürfungen an den Knien und Bauch vom AufdasBrettKlettern, müde aber glücklich versuche den Rest des Tages nicht einzuschlafen, um den Jet-Lag zu bekämpfen, klappt nur bedingt.

Fazit der Reise: Eigentlich ist es ganz schön bescheuert, mitten in Regenzeit in eins der regenreichsten Länder der Welt zu fahren, aber wir hatten mehr Glück als Verstand. Costa Rica ist ein faszinierendes Land mit wunderschönen, vielfältigen Natur. Herzlichsten Dank an unsere Reiseleiterin Sabine, an unseren etwas stillen Busfahrer und an die Gruppe, die diese Erlebnisse möglich gemacht haben. Hoffe Euch gefällt dieser Bericht.