Sonntag, 22. Mai 2011

Moskau im Frühling 2011

Hatte wiedermal eine Geschäftsreise nach Moskau, diesmal endlich mal im Mai und nicht wie immer im Winter, deswegen ganz andere Eindrücke. Bin wieder übers Wochenende geblieben, um etwas von Moskau mitzunehmen.

Anreise: Im Flugzeug einen Marktforschungstypen kennengelernt, der mir einen Termin mit Vorstand von Metro-Future-Store versprochen hat. Mal sehen, was so ein Versprechen wert ist. Kam sehr spät an und wunderte mich, dass eine Frau als Taxifahrerin mich abholte. Habe nichts gegen Frauen als Taxifahrerinnen, nur muss man seine Koffer dann selbst schleppen. Die erste halbe Fahrtstunde wurde über Russland geschimpft, wie nichts funktioniert, wie die Strafzettel für Geschwindigkeitsüberschreitungen zwar ausgestellt werden, aber der Mechanismus fehlt, um das Geld auch einzusammeln, wie der Techosmotr (AutoTÜV) zwar 20 Jahre alte Zhiguli durchlässt, aber 5 Monate alte in England gebaute KIAs irgendwarum nicht. Nach dem Geschimpfe kam heraus, dass sie Programmiererin ist und vor einiger Zeit nach Florida hätte auswandern können. Doch ist sie sich sicher, dass sie nach einer Woche Heimweh bekommt und wieder nach Moskau will.

1. Tag: Ich wohne in Park Inn SADU in Mitte von Moskau, ein Hotel für ausländische Businessreisende mit Preisen von 200 EUR die Nacht. Für Internet auf dem Zimmer muss man extra zahlen und Frühstück ist zwar OK, aber die Auswahl recht bescheiden. Im Fernsehen gibt es nicht mal meinen Lieblingskanal 2x2 mit Zeichentrickfilmen. Alles in allem langweilig und überteuert, aber zumindest die Lage ist sehr gut mit einer Sicht auf den Denkmal für Peter I, (der neuer Bürgermeister wurde sehr populär, als er versprochen hat, das Denkmal abzureissen, doch er steht immer noch). Das Viertel ist auch sehr schön mit vielen Kirchen, in der Nähe ist die Tretjakowaskaja Galerie (in der ich noch nie war) und auch Office meiner Firma. Abends Spaziergang in Ismaelowskij Park, der mit Recht von sich behauptet der schönste Park in Moskau zu sein. Man ist im Wald, es gibt ein paar Seen, die mit anbrechender Dunkelheit in Nebelschwaden eingehüllt werden, sieht sehr romantisch aus. Meine Begleitung erzählt mir, dass sie jetzt seit 2 Tagen im Ministerium für Sport und Tourismus arbeitet, nicht mehr gefeuert werden kann und auf viele Delegationsreisen ins Ausland hofft.

2. Tag: Besuch bei meinem Freund Anton, einem Journalisten für russische Computerzeitschriften. Pelmeni und Salat eingekauft. Flucht und schimpft auf die Mächtigen, möchte auswandern, wie auch viele besserverdienende Leute, wie er erzählt.

3. Tag: Fahrt mit Auto nach Zelenograd. Stehen zwar ein bisschen im Stau, kommen ansonsten gut durch. Mein Fahrer Anatoli hat das Georg-Bändchen im Auto, also Symbol des Sieges über Nazi-Deutschland. Es gibt viele Leute, die das Bändchen tragen, man kann sie gar nicht einer Gruppe zuordnen. Es soll auch Extrembeispiele geben, die auf ihrem Mercedes G-Klasse einen roten Stern und die Aufschrift "Auf nach Berlin" pinseln. Abends geht es dann in die Oper, die Mainacht von Rimski-Korsakov in Stanislavski-Theater. Wie immer in russischen Opern sehr aufwändige Bühne, die Stimmen von Sängern sind eher mittelmäßig, die etwas dämliche Schwägerin scheint eine Timoschenko-Parodie zu sein. Die Tickets sind übrigens recht billig, 1000 Rubel, also ca. 22 EUR für 6. Reihe.

4. Tag: Anatoli hat keine Zeit, also muss ich alleine nach Zelinograd. Ich nehme den Bus. Gefühlte 40 Grad, keine Klimaanlage, ich bin im Anzug und Krawatte und fühle mich dem Hitzschlag nahe. Nicht weit von mir sitzt/schläft ein Besoffener, den es bei jeder Kurve auf den Boden wirft, die Mitfahrenden helfen ihm wieder auf den Sitz, dabei läuft ihm irgendwas aus der Brusttasche. Der Busfahrer meint, dass er mit Motorrad unterwegs ist und überholt den Stau auf der Standspur. Ich steige am Platz der Jugend aus, ein Handy funktioniert nicht, das andere Handy wählt die Nummer des Kollegen, der mich abholen soll, doch es meldet sich eine Oma aus Deutschland (und das trotz 007-Vorwahl). Mit viel Glück ein Taxi gestoppt und gerade noch rechtzeitig zu meinem Termin gekommen. Die Kollegen erzählen mir, dass die Regierung beschlossen hat die Bildung in den Schulen kostenpflichtig zu machen, nur 4 Fächer, wie Sport bleiben frei. Also frei nach Hitler ein Sklave muss nur etwas rechnen und schreiben können, sonst wird er aufmüpfig. Dieses Jahr sind eigentlich Wahlen und in jedem demokratischen Land würde die Partei, die sowas vorschlägt sofort abgewählt werden, aber wie man mir erklärt ist Russland nicht umsonst Vorreiter bei der elektronischen Stimmenauszählung. Ausserdem erzählen sie mir von einem Kunden, der für mehrere Millionen Euro Ausrüstung für Chipproduktion in Deutschland gekauft hat, jetzt ist diese Ausrüstung schon seit zwei Jahren in Amsterdamer Hafen, aber es gibt vom Staat kein Geld, um sie nach Russland zu transportieren. Als Kritik laut wurde, dass die teuere Ausrüstung unsachgemäß gelagert wird, wurde eine Expertise eingeholt, dass die Lagerung sachgemäß ist. Wann und ob sie jemals Russland erreicht, steht in den Sternen. Für den Rückweg nehme ich die Elektritschka (Elektro-zug). Mir gegenüber sitzt Vladimir, ein Fallschirmjäger, der am Kaukasus-Krieg teilnahm und textet mich mit seinen Kriegserlebnissen zu, wobei es keine Heldensagen sind, sondern wie es wirklich war, anstatt Siedlungen durchzukämmen und in jeden Hof einzubrechen, den Hund zu erschiessen und eine Handgranate in den Keller zu werfen, zog man lieber in benachbartes Wäldchen zurück und grillte. Ich ziehe in das Ismaelovo Hotel um. Ist weiter weg, aber viel billiger und authentischer (und es gibt 2x2 im Fernsehen).

5. Tag: Endlich freier Tag, ich schlafe aus, habe super Frühstück und gehe in den Biblio-Globus Bücherladen. Die Auswahl ist grundsätzlich umwerfend, aber alle Neuerscheinungen, die ich haben möchte, haben sie nicht. Blättere in einem deutschen Buch in dem Russland ein latenter Hang zur Anarchie bescheinigt wird. Mein nächstes Ziel ist der MMOMA (Moscow Museum of Modern Art), doch auf dem Weg dorthin sehe ich ein Schild und finde mich vor dem Bulgakows Haus wieder, dort wo Hundeherz spielte, wo Master und Margarita geschrieben wurde, wo Woland wohnte.


Briefe für den Meister

Ich steige die Treppen hoch, die Besucher haben auf Wänden Zitate aus Büchern hinterlassen.


"Bittet niemals um etwas! Niemals und niemanden, vor alem keinen, der stärker ist als Ihr. Man wird Euch alles von selbst offerieren und geben."


"Leser, mir nach! Wer hat Dir gesagt, dass es auf der Welt keine richtige, treue, ewige Liebe mehr gäbe? Man solle dem Lügner seine dreckige Zunge abschneiden! Leser, mir nach und ich zeige Dir diese Liebe!"


"Handschriften brennen nicht!"


Woland

Ich betrete die Wohnung und bin hin und weg von der fetten Katze, die auch noch Begemot heisst (die Leser von Master und Margarita wissen wovon ich spreche).


Begemot



Wieder draussen finde ich doch das Museum der modernen Kunst, ich bin der alleinige Besucher in einem 4-stöckigen Haus, gerade läuft eine Ausstellung von Jurij Zlotnikov, einem Maler, der dafür sorgte, dass in Zeiten von Sowjetrealismus, der Anschluss an die abstrakte Kunst des Westens nicht verloren wurde. Zlotnikov beschäftigte sich viel mit Mathematik und Informationübertragung, einige seiner Bilder aus den 50-ern sehen aus, wie Chiplayouts. Danach spaziere ich mit Anatolij und seiner Familie in Kolomenskoje. Dort hat man einen Zarenpalais aus 1618 wiederaufgebaut. Es ist alles aus Holz, sehr schön bemalt.





Nebenbei erklärte man mir schliesslich, warum die Zarenbetten so kurz waren, Peter der Erste, der ein wahrer Riese gewesen sein soll, schlief in einem Bett, das kaum länger als einen Meter war. Damals schlief man sitzend, denn man glaubte, dass die Seele jede Nacht den Körper verlässt und wenn man liegt, dann weiss die Seele nicht, ob man nicht schon tot ist, deswegen bleibt man lieber sitzen. Sonst ist dort auch ein sehr schöner Park, man schaut auf den Moskwa-Fluss, es gibt auch weisse Kirchen, wunderbarer Spaziergang.



Abends dann Konzert von Ljapis Trubezkoj, eine Band aus Weissrussland, der Sänger denkt wohl, er wäre der Nachfolger von Majakowskij und proklamiert ständig Gedichte von Jedi-Rittern, dem Kampf für das Gute und Bruderschaft zwischen allen Gläubigern aller Religionen und Nationen. Ansonsten wird Ska mit Punk-Rock gespielt, die Menge pogt, ich bin mittendrin, wobei meine Alltags-Kleidung die Leute eher abschreckt. Fertig, durchgeschwitzt aber glücklich erwische ich einen der letzten Metrozüge und falle ins Bett.


Fertig aber glücklich in Moskauer Metro

6. Tag: Ausschlafen, frühstücken, auf dem Ismaelowskij Markt shoppen. Viel Antiquariat, wobei neben Schrott auch silberne Teekannen für 500 Euro verkauft werden. Einen Spaziergang immer wert. Anton begleitet mich zum Flughafenzug.