Sonntag, 26. Juni 2011

650 km Südfrankreich mit dem Fahrrad

Anfang des Jahres klingelt bei mir das Telefon. Am anderen Ende der Leitung ist Gunter und will von mir wissen, ob ich nicht mit ihm wiedermal Urlaub verbringen möchte. Gunter kenne ich schon seit gut 15 Jahren noch aus Pforzheim und wir haben zusammen schon InterRail durch Schweden und Norwegen gemacht, mit dem Fahrrad Irlands Nordwestküste umrundet und das Baltikum erkundet. Damals gab es noch keine Blogs und Fotohandies, deswegen sind Berichte über diese Reisen nie geschrieben worden und die Papierabzüge von den Bildern verstauben beim Gunter in seinen zahlreichen Photoalben, denn er ist hobbymäßig Photograph, schleppt immer einen Weitwinkel- und einen Teleobjektiv mit sich rum und kann sich von seiner geliebten Analog-Praktika nicht trennen. Nach kurzem Überlegen stimme ich zu, dass man evtl. zusammen was machen könnte. In unseren Überlegungen tauchen solche Ziele wie Armenien oder Kirgisien auf. Ein paar Telefonate später sind wir in Realität zurück angekommen und einigen uns auf eine Fahrradtour durch Provence.

Die Leser diesen Blogs werden mich ja kennen, deswegen noch eine kurze Beschreibung was Gunter aus sich darstellt. Er ist fast einen Kopf größer als ich, hat aber keinen Gramm Fett am Körper, ist ca. 20 kg leichter, dabei isst er mindestens das doppelte von meiner Ration. Im Urlaub ernährt hat er sich hauptsächlich von Fritten, Pizza Margarita und süßem Trockengebäck, Hauptsache es ist das billigste auf der Speisekarte. Während mein T-Shirt spätestens nach einer halben Stunde Fahrt immer zum Auswringen war, habe ich ihn kein einziges Mal schwitzen sehen, seine zwei T-Shirts (eins davon war das Deutschland-WM-T-Shirt von 1990 (O-Ton: Das ist eine westdeutsche Qualität) mussten seltener gewaschen werden als meine vier. Die Ausdauer hatten wir ungefähr die gleiche, auf die Idee die Fahrräder zu schieben, kamen wir immer gleichzeitig. Also biologisch gesehen komplett unterschiedliche Spezies, wären wir keine Homo Sapiens, hätte man uns ganz andere lateinische komplizierte Namen gegeben. Charakterlich gesehen, wer Ren & Stimpy kennt, wird sofort wissen was ich meine.



Während Gunter kontaktfreudiger Choleriker ist, bin ich eher der kontaktscheue Phlegmatiker, der lieber zweimal auf die Karte schaut, als drei Leute auf gebrochenem französisch nach dem Weg zu fragen. Als geborener Schwabe ist es für Gunter undenkbar in einer Kirche in die Spendenbox Geld reinzuwerfen, oder einen Strassenmusiker mit paar Münzen zu belohnen oder angemessenes Trinkgeld zu geben, dabei betont er seine Spiritualität und Beschäftigung mit Gott.

Drei Wochen vor der Fahrt fällt mir auf, dass ich immer noch kein Fahrrad habe, das solche Tour bewältigen könnte. Also gehe ich in Pforzheim in das erstbeste Geschäft und kaufe mir das erstbeste Fahrrad, das der Aufgabe gewachsen scheint. Ausserdem werden noch Helm, Sonnenbrille und Müsliriegel besorgt. Die Fahrt kann losgehen.

Am Freitag nach der Arbeit fahre ich nach Pforzheim und packe zum ersten Mal mein Zeug in die Fahrradtaschen, es passt erstaunlicherweise alles rein.

1. Tag Pforzheim - Karlsruhe - Offenburg - Basel Bad Bf - Basel SBB - Brig - Domodossola - Milan - Turin - Tende St. Dalmas

Aufstehen um 3.15, Werner bringt uns freundlicherweise mit dem Auto, die Fahrräder auf dem Dach nach Karlsruhe. Erst jetzt fällt mir die lange Liste der Zugverbindungen in Gunters Hand auf. Ich muss erstmal schlucken, als ich erfahre, dass wir acht Mal umsteigen müssen. Anders bekommt man die Fahrräder nicht an die französische Küste. Die Tickets haben wir nur bis Brig, danach müssen wir die Tickets für die Weiterfahrt kaufen. Wir kommen in der Schweiz an und stellen fest, dass mitnichten der Euro stark ist und der US-Dollar schwach, nein, beide sind schwach, aber dafür ist der Schweizer Franken eine richtig teuere Währung geworden. Ausserdem erfahren wir, dass von Brig nach Domodossola keine Züge fahren, weil in dem Simplon-Tunnel einen Brand gab und uns keiner genau sagen kann, wie es dort weiter geht, es soll da Busse geben. Wir fahren nach Brigs und müssen uns an die Angestellten der Schweizer Bahn wenden, weil der Schienenersatzverkehrfahrer sich strikt weigert unsere Fahrräder mitzunehmen. Nach gutem Zureden stellt er die Fahrräder doch in seinen Bus und wir fahren eine beeindruckende Strecke über den Simplon-Pass. In Domodossola steigen wir in den Zug nach Milan, in dem sich ein Italiener über Gunters Deutschland-Trickot lustig macht und ihn nur mit Stutgardo anspricht.



Meine Totenschädel-Hose und T-Shirt halten ihn etwas auf Distanz. Bald nach Turin fangen dann die Alpen wieder an, der Zug kriecht die Pässe hoch und runter. In einem gottverlassenen Örtchen St.Dalmas steigen wir dann aus, denn dort ist die gebuchte JuHe.



Die finden wir recht schnell und werden erstmal vom Gebell von Husky-Hunden empfangen, mit denen man auch Touren machen kann. Wir machen unseren ersten Versuche mit dem Herbergsvater auf französisch zu parlieren und stellen beide fest, dass es mit den Kenntnissen nicht so weit her ist. Ich habe einen etwas größeren Sprachwortschatz, traue mich nicht den anzuwenden und verwechsle auch noch "heute" und "morgen". Gunter ist da unbelasteter und erzählt irgendwas. Müde fallen wir ins Bett.

2. Tag Tende St. Dalmas - Nizza - Biot - Sophia Antipolis - Vallauris

Unsere Tickets gelten nach Ventimiglia, die Stadt an der italienischen Seite, wir wollen aber nach Nizza. Also steigen wir in den Zug nach Nizza und der Schaffner drückt kräftig beide Augen zu, so dass wir nicht nachzahlen müssen. In Nizza angekommen und gleich an den Strand gefahren.



Sofort wird klar, warum die Gegend hier Cote d'Azure heisst, das Wasser hat eine ganz hellblaue Farbe und lockt reinzuspringen. Doch wir müssen weiter und fahren auf einem sehr gut ausgebautem Fahrradweg die Küste entlang Richtung Westen. Unser Ziel ist Sophia Antipolis, eine Gegend von der ich schon lange gelesen habe und sehr gespannt war was es denn genau ist. In den 80-ern kamen wohl ein paar schlaue Arbeitsforscher auf die Idee, dass wenn man seine Mitarbeiter gut behandelt und ihnen optimale Arbeitsbedingungen zur Verfügung stellt, dann wird die Produktivität sich steigern. Also wurden zu den optimalen Arbeitsbedingungen nicht nur das Gehalt, sondern auch die Nähe zum Meer und Erholungsmöglichkeiten gezählt.



Also wurde ein riesiger Industriepark (wobei man sich eigentlich gar nicht traut, das Ganze ein Industriepark zu nennen, es sieht einfach so anders aus) an der Cote d'Azure angelegt und den Firmen angeboten ihren Sitz dorthin zu verlegen. Als die US-Firma Dow Chemicals von Paris hierher zog, steigerte sich die Produktivität der Mitarbeiter angeblich um 30%. Meine Firma ist zwar auch dort, habe sie aber nicht gefunden. Dafür trafen wir Remi, einen Kunden von mir, der mir noch ein Bier für viele, viele Überstunden schuldet, wir sitzen in Biot, einem kleinen Dorf, das für seine Töpferkunst bekannt ist und er erzählt, wie er mit seinen fünf gefeuerten Kollegen eine eigene Firma aufgemacht hat. Lobt dabei das amerikanische System die Fleissigen zu belohnen, und nicht wie in Frankreich, diejenigen, die an der besseren Hochschule gelernt haben. Wir reden über dies und das und fahren dann in Formula 1 Hotel in Vallauris. Das ist eine Hotelkette in Frankreich, sehr günstig, dafür mit Klo und Dusche auf dem Gang, ausserdem befinden sich die Hotels an Autobahnausfahrten, wohin man mit dem Fahrrad schlecht hinkommt und wo nichts los ist.

3. Tag Vallauris - Cannes - Port du Poussai - St-Raphael - St. Aygulf

Wir fahren eine steile Abfahrt runter Richtung Cannes.



In Cannes ist ziemlich viel Autoverkehr, also schauen wir, dass wir da rauskommen. Wir fahren die Küstenstrasse entlang zusammen mit den Autos hoch und runter. Zum Glück sind gerade Pfingsten, der Berufsverkehr fehlt, sonst wäre es ungemütlich (siehe Tag 12). Mittagessen tun wir auf einem Felsen, der steil ins Meer abfällt, nichts für die Leute mit Höhenangst, aber das ist das einzige schattige Plätzchen.



Danach stellen wir die Räder ab und wandern zum Ile d'Or, also der Goldinsel.



Unterwegs sehen wir auch die riesige (wahrscheinlich) Abramovitsch-Yacht in einer Bucht, die russische Yellow-Press hat Recht, das Ding zieht alle Aufmerksamkeit auf sich, von der Schönheit der Bucht weg. In St-Raphael sehen wir zwei polnische Landstreicher, die sich tierisch freuen, als zwei französische Landstreicher ihnen Sekt bringen und denken wohl, sie wären im Paradies gelandet. In St.Aygulf werden wir von meiner fast-Verwandschaft erwartet, wie in Franken üblich wird viel gegessen und getrunken, der Ausdruck "Leben wie Gott in Frankreich" fängt an Farbe, Form und vor allem Geschmack anzunehmen.

4. Tag St. Aygulf - St-Raphael - St. Tropez - La Croix-Valmere - Cap Landier

Mit etwas schweren Kopf vom gestrigen Weinbesäufnis wache ich auf und wir beschliessen nach St.Tropez mit dem Boot zu fahren, damit man die Küste vom Wasser aus sehen kann und auch möchte ich den berühmten Yachthafen von St.Tropez sehen.



Doch vom Wasser aus sieht man den Hafen gar nicht, man muss schon in St.Tropez sich hinbemühen, um dann die geilen Yachten sich anzuschauen (ja, ich gebe zu ich stehe auf teure Dinge, auch wenn ich weiss, dass ich sie mir nicht leisten werden können). Laut dem Reiseführer kann man zuschauen wie Claudia Schiffer mit den alten Männern Boule spielt, also erstens, wenn schon Supermodel dann bitte die Latetia Casta, sie passt hier besser rein und zweitens, wie geht nochmal der Smiley mit dem runtergezogen Augenglied nach dem Motto wer's glaubt wird selig?



Aber es stimmt schon, selbst die Anziehpuppen in den Modeläden haben gefühlt längere Beine als sonst, doch die einzige Frau, mit der sich die ansässigen Künstler beschäftigen, ist und bleibt Birgid Bardot, ihr Porträt gibt es in allen Formen und Farben.





Wir radeln weiter nach La Croix-Valmere und machen dort eine Wanderung zum Cap Landier mit einer schönen vorgelagerten Insel, die zum Vogelschutzgebiet erklärt wurde.



Ich komme endlich mal ins Wasser. Abends essen wir Pommes und Muscheln (Muscheln nur ich), daneben werden blutjunge Französinnen (die es schon faustdick hinter den Ohren haben) zum ersten Mal tätowiert.

5. Tag La Croix-Valmere - Hyères

Es geht weiter nach Süd-Westen, also nach Hyères.





Es gibt eine wunderbare Fahrradstrasse, die früher eine Eisenbahntrasse war, die Gleise sind weg, alles ist asphaltiert, aber die Tunnel sind noch da, also fährt man durch Fahrradtunnel, wenn das kein Luxus ist. Hyères liegt nicht an der Küste, unser Hotel schon, also stampfen wir zu Fuss in die Stadt zum Internet-Cafe und finden mit Hilfe von französischen, deutschen und italienischen Webseiten die Zugverbindung nach Hause, die Frau am Schalter im Bahnhof hat zuvor verzweifelt aufgegeben. Auf dem Weg zurück essen wir mit die besten Pizzen unseren Lebens mit Kartoffel und Speck.



Hyères hat auch einen Flughafen, größtenteils militärisch, also kreisen über uns öfters Hubschrauber und Jagdbomber.



Dass Hyères ein Badeort ist, sieht man schon daran, dass in der örtlichen Kapelle Jesus scheinbar einen BH trägt.



Gleich hinter unserem Hotel ist die Pferderennbahn.

6. Tag Hyères - Toulon - Hyères

Der erste Tag ohne Fahrrad. Wir fahren nach Toulon, dem zweitgrößten Militärhafen Frankreichs. Unterwegs fahren wir an dem Ort Paradis vorbei mit der Ausfahrt Paradis-Nord. In Toulon buchen wir eine Hafenrundfahrt in dem größten Naturhafen Europas.







Der französische Flugzeugträger General de Gaule ist auf der Jagd nach Gaddafi, deswegen ist die Rundfahrt nicht so spektakulär. Fahren nach Hause und baden noch.

7. Tag Hyères - Brignoles

Wir verlassen die Cote d'Azure und fahren nach Norden. Hier wird es Zeit mit ein paar Missverständnissen aufzuräumen. Die Gegend in der wir uns die ganze Zeit befinden, ist gar nicht Provence, sondern Languedoc-Roussillon, davon dürften nur ganz wenige Deutsche gehört, geschweige denn korrekt ausgesprochen haben. Provence ist links der Rhone. Es gibt hier auch keine Lavendelfelder, nur ganz viele Weinanbaugebiete.



Ihr wollt Lavendelfield,
ihr kriegt Lavendelfield,
Lavendelfield,
Das Field das ihr liebt.
(Das erste und das letzte, das wir gesehen haben)

Da es hier sehr viel Sonnenschein gibt und auch, was für Süden eher untypisch ist, ganz viel Wasser, gedeiht hier die Natur ganz besonders. Das ist ein Oleanderstrauss in Südfrankreich



Und das ist Oleander bei mir auf dem Balkon



Die Bevölkerungsstruktur an der Cote ist auch anders, als in Paris, zum Beispiel gibt es ganz wenig Schwarzafrikaner. Dafür gibt es wie in Paris viele Deutsche, an der Cote eher der Exemplar mit Porsche Cayenne und alternder Blondine, die sofort Panik bekommt, sobald man sich dem Auto nähert, um nach dem Weg zu fragen, im Landesinneren überwiegen dann die deutschen Familienkutschen.

Noch ein paar Worte zu der Sprache. Ohne Französisch-Kenntnisse geht es nicht. Man muss zumindest imstande sein, ein Hotel telefonisch reservieren zu können. Selbst die Engel vom Office de Tourisme sprechen öfters mangelhaftes oder gar kein Englisch, obwohl sie sich Mühe geben. Also Französisch ist bei so einer Art Tour ein Muss.

In Brignoles sind schon einige Viertel arabisch geprägt, überall kann man halal-Fleisch kaufen und es gibt auch viel mehr Prollschleudern, die auch entsprechend gefahren werden.








Noch gibt es in Brignoles einen sehr schönen typisch süd-französischen Friedhof mit Blumenkränzen aus Gips, die man kaum kaufen kann (siehe Tag 14) und Granittäfelchen, wer den Verstorbenen alles gedenkt.

8. Tag Brignoles - Le Val - Barjols - Sillans-la-Cascade - Contignac - Brignoles

Heute haben wir beschlossen Gepäck im Hotel zu lassen und eine kleine Tour de Laguedoc-Roussillon zu machen, um sich ein paar südfranzösische Städtchen anzuschauen.



Alle sind sehr putzig, überall bildet ein Brunnen die Ortsmitte, wobei ein Brunnen auch in einen Baum eingebaut werden kann.



Es gibt keine Bistros, es gibt Bars, die zu jeder Tageszeit gut besucht sind. Sehr schön sind auch die Kirchen, die ohne künstliches Licht auskommen, die einzige Beleuchtung ist das Tageslicht, das durch die bemalten Fenster durchscheint und dadurch die Schönheit dieser Fenster sehr betont. Übrigens scheinen die Franzosen es nicht so eilig zu haben, den Benedikt XVI als den neuen Papst zu akzeptieren, Portraits von Jean Paul II hängen noch überall herum. Wir radeln zu der Sillans-la-Cascade, einem Wasserfall im Gebirge, der mich an die ZDF-Serie Trauminsel und Gunter an Karl-May-Filme erinnert.





Noch ein Schloss auf dem Weg fotografiert.



9. Tag Brignoles - Abbey de Thoronet - Montferrat - Comps-sur-Artuby - Trigance - Saint-Maime

Die Fast-Verwandschaft hat uns das Kloster Thoronet schmackhaft gemacht. Angeblich ist da ein Schwesternorden, bei dem die Schwestern nur sonntags zusammenkommen und engelsgleich singen. Also haben wir versucht Sonntag morgen da anzukommen. Wir fanden internationale Busladungen von Rentnern vor, ein verlassenes Kloster und keine Spur von den engelsstimmigen Schwestern.



Einen Gottesdienst gab es dennoch, drei Männer sangen, wobei die Akustik so gut war, dass man den Eindruck hatte, dass noch eine Orgel mitspielt, so haben die Stimmen gehallt. Wobei leider hat sich das Gottesdienst so nach der Akustik ausgerichtet, dass es eher ein Konzert mit ein bisschen Predigt drumherum war, die der katholischen Liturgie kundigen Besucher waren etwas enttäuscht, als sie nichtmal das Vaterunser beten durften, um den Eindruck nicht zu zerstören.

Wir schnappen unsere Fahrräder und fahren weiter Richtung Norden. Die Gegend wird immer gebirgiger, wir ignorieren elegant die "Strasse gesperrt" Schilder, denn wo ein Auto nicht durchkommt, kann man mit einem Fahrrad doch spielend vorbeifahren. Dachten wir.



Beim umgefallenen Baum hatten wir Recht.



Bei der fehlenden Strassenhälfte war es schon kritischer.



Als die Strasse komplett verschwunden war, hatten wir ein Problem. Umkehren würde bedeuten mehrere Stunden Aufstiegs zu verlieren, also mussten wir durch. Gepäckstaschen abgeklemmt, ein Fahrrad zu zweit genommen und ganz vorsichtig auf die andere Seite getragen. Als alles glimpflich vorbei war, sprach Gunter ein Dankgebet und diesmal war ich in Gedanken voll bei ihm.

Brignoles liegt auf 200 Höhenmetern, Comps-sur-Artuby auf über 1000, dazwischen liegt Montferrat. Als wir dort ankamen, war das nötigste Getränk eine 1 1/2 Liter Flasche Coca-Cola, denn es ist Wasser, Wasser, Wasser, Zucker, Zucker Zucker, also genau das was wir brauchen. Von Comps radeln wir am Ende unserer Kräfte zum Dörfchen Trigance, nur um zu erfahren, dass die Herberge noch 7km weiter und 200m höher liegt. Erst nach Zusammenfressen von einer Tafel Schokolade erkläre ich mich bereit hinzuradeln, wobei wir mehrere Kilometer zum ersten Mal schieben. In der Dunkelheit und total am Ende unserer Kräfte nach insgesamt knapp 100km kommen wir in der Herberge an.



Dafür ist der Himmel nachts absolut phantastisch, mit einem Sternenreichtum, den man sonst selten sieht. Ein paar Kilometer weiter weg erhellt sich die Gegend, danach hört man einen Wumms, das ist die französische Armee, die auf einem riesigen Gelände Tag und Nacht trainiert.

10. Tag Saint-Maime - Verdonschlucht - Saint Maime

Nachdem die Gelenkschmerzen weggesalbt wurden, machen wir eine Wanderung zur Verdonschlucht, eher einem Canyon.





Die Adler kreisen im Canyon, es ist schwindelerregend tief, wobei keine Absperrung vor der Absturzgefahr warnt. Da sind die Franzosen eher locker. Überhaupt was die Strassenschildern angeht, sie sind eher als Ratschlag zu verstehen, Fahrradklingeln werden grundsätzlich ignoriert. In Italien (siehe Tag 15) ist es noch schlimmer, da sind die Verkehrsschildern nur ein schmuckes Beiwerk auf der Strasse ohne eine weitere Bedeutung. Noch ein Wort zum Verkehr, in Landesmitte gibt es keine Fahrradstrassen mehr, aber der Verkehr ist selbst an Werktagen so selten, dass es kein Problem ist auf der Strasse zu fahren. Mit einer guten Karte kann man noch dünner eingezeichnete Strassen fahren, sie sind alle asphaltiert, aber die Wahrscheinlichkeit, dass der Höhenunterschied größer ist, als bei grossen, fett eingezeichneten Landesstrassen, ist auch entsprechend hoch.

Ansonsten herrscht da absolute Idylle.





11. Tag Saint Maime - 1238m Pass - Grasse - Mouans-Sartoux

Wir fahren noch ein Stück höher und an dieser Stelle möchte ich eine Bitte an die Fahrradkonstrukteure loswerden. Warum muss bei der vorderen Schaltung der Hebel nach vorne gedrückt werden, damit das Fahren leichter wird, und bei der hinteren Schaltung muss der Hebel zu sich gezogen werden? Wenn man an einem Berg erstmal hin- und herschaltet, passiert es sehr häufig, dass man beim Schalten hinten auch den Hebel nach vorne drückt, der geht auch viel leichter und dann ist man aber im höheren Gang. Wäre es möglich eine Schaltung zu erfinden, bei der das Schalten vorne und hinten konsistent wäre?

Ich habe meine erste Panne. Eine Art Heftklammer steckt bei mir im Reifen. Was sie wohl auf einer Landstrasse sucht? Aber kein Problem, schnell geflickt und weiter geht's mit 50km/h und heissen Reifen von 1238m auf 300m, wo Grasse liegt. In Grasse finden wir kein Hotelzimmer, also fahren wir nach Mouans-Sartoux, 10km weiter.



Grasse ist eine sehr ungewöhnliche Stadt, sie liegt komplett am Abhang, d.h. die Strassen sind sehr steil und eng, die Häuser sind sehr hoch und lassen kaum Licht auf die Strasse. Für Fahrradfahrer ist die Stadt tödlich, kaum Weiterkommen wegen Verkehr und beim Verfahren verliert man gleich mal 20-30 Höhenmeter.



Es ist 21. Juni, die Sonnenwendfeier, oder Fete de la Musique in Frankreich, in jedem Dorf und jeder Stadt treten Bands, Chöre, Orchester, alles was Musik macht, auf. Wir fahren mit dem Bus nach Grasse und hören einigen Gospelchören zu (schrecklich wie man etwas singen kann, ohne die Sprache zu sprechen). Unterwegs begegnet uns recht chaotische Blaskapelle, die solange vor jedem Geschäft rumtrötet, bis der Besitzer entnervt ihnen etwas zu essen und zu trinken gibt.

Wir wollen mit dem Zug zurück, doch müssen nach einiger Zeit feststelen, dass überhaupt nichts mehr fährt (siehe Tag 12). Während ich versuche ein Taxi zu erreichen und in teueren Warteschleifen hänge, spricht Gunter wildfremde Menschen an, ob sie uns nach Mouans-Sartoux fahren würden. Einer erklärt sich tatsächlich dazu bereit. In Sartoux ist noch hali-gali, es hat die Stimmung von einem Dorffest und da unser Hotel inmitten der Festivitäten steht, ist es noch lange nicht ruhig zum Einschlafen.

12. Tag Mouans-Sartoux - Grasse - Sophia Antipolis - IchkannNichtMehr - Antibes - Juan les Pins - Vallauris - IchKannNurNochSchieben - EndlichAngekommen - Nizza - Vallauris

Grasse ist die französische Zentrale für Parfum. Hier werden die Erträge der Lavendelfelder verarbeitet, hier sind die größten und bekanntesten Parfümerien Frankreichs. Eine solche Parfümerie heisst Fragonet und wir machen eine Werksführung. Eine sehr adrette Erscheinung namens Julietta, die in Hamburg aufgewachsen ist und deswegen perfekt deutsch spricht (die erste Französin auf unserer Reise), erklärt uns die Geheimnisse der kalten und warmen Essenzextraktion aus den verschiedenen Blumen. Die Essenzen werden dann nach einem Rezept zusammengemischt. Es gibt weltweit ca. 50 sogenannten Nasen, die bis zu 3500 verschiedene Gerüche unterscheiden können und als freie Mitarbeiter von Parfümerie zu Parfümerie ziehen, um ihre Dienste dort anzubieten, wenn wiedermal ein Sternchen wie Christina Aguilera entscheidet, dass sie ein eigenes Parfüm auf den Markt rausbringen muss. Das teuere bei den Parfüms ist neben der Herstellung die Vermarktung, die Verpackung, der Transport, das alles entfällt in dem Firmenladen von Fragonet, also decken wir uns mit allem möglichen Zeug ein, mir hat besonders Mimosenduft angetan.

Wieder in Sartoux angekommen, packen wir die Fahrräder und fahren nach Vallauris. Erstmal sind wir wieder in Sophia und verpeilen komplett den Weg. Als Folge davon fahren wir ein Riesenumweg über Antibes im totalen Berufsverkehr, bei 30 Grad Hitze, so dass als wir endlich verstehen, wo wir hinmüssen, wir nur noch fertig sind.

Aber das Weib die liebe Freundin will noch ein außergewöhnliches Mitbringsel, das es nur in Nizza gibt, deswegen versuche ich aus einem Autobahnausfahrthotel nach Nizza zu kommen. Dazu ein paar Worte zu dem französischen ÖPNV. Zuerst das Gute: die Busse sind modern und die Fahrten sehr billig (1 Euro/Fahrt). Dafür fahren manche Busse 1x die Stunde, um 20 Uhr geht der letzte und es ist überhaupt nicht klar, wo sie hinfahren, wo sie halten und wie der Streckenverlauf überhaupt ist. Für Aussenstehende ist das nicht nachzuvollziehen. Also habe ich natürlich den letzten Bus verpasst und was Taxis angeht, scheinen sie ihre Gebührenzähler freischwebend aufgehängt zu haben, denn 15 EUR für 5 min Fahrt ist mehr als nur frech.

13. Tag Vallauris - Nizza - Monaco - Menton

Zuerst ein paar Ansichten von Nizza



Hotelanlage in der Nähe von Nizza



Welcome to Miami



Unter den Dächern von Nizza

Wir radeln die letzte grosse Etappe über Nizza nach Monaco und Menton. Monaco ist absolut pervers zugebaut, es gibt viele Rolltreppen, Statuen und Gärten.





Grace Kelly, die Frau von Fürst Rainer III



Wer ist hier der fette Bär?

Überall wehen die Flaggen zur Vermählung von Fürst Albert I, mit wie-hiess-sie-nochmal?



Aber das interessanteste ist natürlich Monte-Carlo und Casino, der Platz, um sich zu präsentieren.





Dieser Ferrari steht wohl nur zu Promo-Zwecken da, es kann nicht sein, dass der Motor derart sauber bleibt.

Im 2-Minuten Takt fahren Autos vorbei, die ich selbst in München einmal im halben Jahr sehe. Ferraris, Porsche, fette BMWs und Mercedessen Cabrios kommen aus jeder Ecke (ja, ich habe ein Ferrari mit meinem Fahrrad ausgebremst und ich schäme mich dafür).



Überall hört man russisch, überall hängen an die reichen Russen gerichtete Plakate sich doch die teuersten Immobilien zu kaufen (wobei Plakat selbst auf französisch ist). Mit einem Wort, man fühlt sich dort recht schnell, recht fehl am Platze. Also radeln wir weiter nach Menton. Eine richtig steile Auffahrt später sind wir in der JuHe und richten uns im Chalet ein.



Abends treffen wir einen Engländer und seine Freundin, der sich in den Kopf gesetzt hat, die Welt mit dem Fahrrad zu umrunden, solange ihm das Geld nicht ausgeht, also in ca. 2 Jahren. Von Schottland nach Menton ist er schon gekommen. Für mein Geschmack hat er viel zu wenig Plan von dem was er vorhat, andererseits ist er ein Engländer und sie sind für Abenteuer dieser Art sich immer nicht zu schade.

14. Tag Menton

Tag zum Ausspannen, die letzten Einkäufe erledigen (Chauteneuf du Pape, Gipsblumen fürs Grab, Proviant für die Rückreise), baden, in botanischen Garten gehen.



Menton ist die einzige französische Stadt an der Cote, wo Orangen und Zitronen frei wachsen.



Ein Blick in die Innenstadt



Es gibt auch eine russisch-orthodoxe Kirche noch von den Revolutionsemigranten, allerdings kann sie gerade nicht betreten werden, da daneben ein Haus gebaut wird und man nicht sicher ist, ob die Kirche nicht zusammenstürzt.

15. Tag Menton - Ventimiglia - Genua - Milan - Bologna

Nochmal genau nachgeschaut und festgestellt, dass der Zug aus Ventimiglia doch viel früher geht, als wir gerechnet haben, also kein letztes Baden, sondern aufs Fahrrad und los geht's die letzten 16km. Sämtliche Franzosen warnen uns mit den Fahrrädern die italienische Grenze zu durchqueren, dort fahren sie Autos wie die Henker und sie haben teilweise recht. Aber da das Verkehrschaos noch größer ist als in Frankreich, ist die Durchschnittsgeschwindigkeit noch langsamer, also kommen wir gut voran. Jetzt noch ein Wort zu den Papageiaffen, die sich im Rudel zusammentun, um mit ihren Rennrädern sinnfrei die Strassen zu verstopfen. Wenn ich will, fahre ich mit meinem Bike vollgepackt hinterher, fange euch ein und zwicke euch in die Hintern! Ihr braucht noch ein Extra-Auto zur Begleitung, damit das Essen, das Photo und das Handy mitkommen können. Wie arm ist das denn? Noch blöder als ihr, sind nur noch eure Berliner Kollegen, die denken, dass man als Stadtrad unbedingt ein altes Rennrad haben muss, weil das der letzte Modepiepser ist!



In Ventimiglia spaziere ich durch die Strassen und sehe ein interessantes Denkmal zur Selbstverständnis der italienischen Geschichte. Ab 1943 gab es nach der italienischen Geschichtsinterpretation einen Befreiungskrieg, der bis 1945 dauerte. Danach war der alte italienische Mann tot und es kommt ein neues Italien hervor, dass von europäischen Sternen umgeben ist.



In Bologna haben wir ein paar Stunden. Das ist die einzige Stadt, die ich kenne, die man komplett beim Regen zu Fuss umrunden kann, ohne einen nassen Kopf zu bekommen, weil man immer unter Galerien spazieren geht. Allerdings sind die so hoch, dass man selbst sehr mickrig vorkommt, am schlimmsten ist es in den beiden größten Kirchen, die extrem hohe Decken haben und die eigene Nichtigkeit unterstreichen.

16. Tag Bologna - München

EC Rom-München ist auch eine Version vom europäischen Einigungsgedanken, wir leiden gemeinsam, deswegen kommen wir uns näher. Der Zug ist komplett voll, die Leute schlafen in den Gängen, in Fahrradwaggons, auf den unbequemen Sitzen ohne geringste Kippmöglichkeit. Dafür schliesst man schnell Bekanntschaften.

Müde, aber glücklich und wahrscheinlich höchst impotent nach dem vielen Radfahren, erreiche ich München.