Sonntag, 15. Januar 2012

Wo Europa gemeinsam baden geht

Bevor ich anfange über unser Budapest-Ausflug zu schreiben, eine kleine Anmerkung zum Touristen als unpolitischen Wesen. Es ist wohl oder über so, dass kaum ein Tourist sich irgendwelche Gedanken über die politische Lage in seinem Reiseland sich macht, die meisten wissen wahrscheinlich nicht mal, was in dem Land los ist und seien wir ehrlich, wollen es gar nicht wissen. Es gibt auch kaum eine Möglichkeit den Touristen zu überzeugen, dass er in ein Land nicht reisen soll, das letzte Mal dass so was auf freiwilligen Basis funktionierte, war die Apartheid-Zeit in Südafrika. Seitdem fahren Touris nach Iran, Birma ist richtig trendy, auf Flickr gibt es Reisefotos aus Turkmenistan, selbst Nordkorea-Rundreise kann gebucht werden. Es gibt nur zwei Möglichkeiten einen Touristen davon abzuhalten in ein Land zu fahren, gesetzliches Verbot wie es USA für Kuba-Reisende verhängt hat, oder ein Terroranschlag, wobei spätestens nach vier Wochen die günstigen Preise erst recht viele Urlauber anziehen.

Genauso ging es uns in Ungarn. Von der Wirtschaftskrise, von den Protesten gegen die neue Verfassung, von angeblichen Hungerstreiks, von Verhaftungen von Ex-Ministerpräsidenten haben wir erst in Deutschland erfahren, als die Absperrungen für die Demo mit zehntausenden Teilnehmern aufgebaut wurden, dachten wir an ein Silvesterkonzert und Ice-T im Radio haben wir auch nicht sonderlich vermisst (wer sich noch erinnern kann, vor einem Jahr wurde eine Radiostation geschlossen, weil sie ein Song von dem guten alten Gangsta-Rapper gespielt hat). Mit uns waren tausende andere unbedarfte Touristen aus allen möglichen Ländern und Budapest kam uns wie eine sehr europäische Hauptstadt vor, die Einwohner sind freundlich, sprechen deutsch oder englisch, alle Schilder sind drei- oder sogar viersprachig, es gibt viele Cafés, Restaurants, Souvenir-Shops und andere Sehenswürdigkeiten, über die ich noch schreiben werden, was will ein Touristenherz mehr? Politik sicherlich nicht.

Aber genug des Philosophierens, rein in Budapester Vergnügen.

Anreise: Eigentlich recht bequem mit dem österreichischen Railjet von München über Wien direkt nach Budapest. Es lohnt sich Essen und Thermoskanne mit Tee oder Kaffee mitzunehmen, das Bordbistro ist notorisch schlecht. Neun Stunden später ist man am sehr schönen Bahnhof angekommen, tauscht etwas Geld zu schönen Forint-Banknoten und sucht erstmal den Zugang in die U-Bahn.

Spätestens jetzt versteht man, dass man nichts versteht, wie jemand mal sagte gibt es in Europa zwei schwierige Sprachen, portugiesisch und ungarisch, wobei ungarisch so schwierig ist, dass nicht mal die Portugiesen es verstehen. Auch die finno-ugrische Sprachzugehörigkeit mag evtl. Sprachforscher entzücken, hat aber keinen praktischen Nutzen, für den der eine finnische Sprache versteht, herleiten kann man da auch nichts. Es gibt ein paar türkische Ausdrücke, die es auch ins Russische geschafft haben und ein paar Germanismen, aber nichts, was man sinnvoll verwenden kann.


Weiss jemand was da steht?

Nach erfolgreichen Suche des U-Bahn-Eingangs, die in der ganzen Stadt recht sparsam beschildert sind, erinnert sich man, dass Ungarn mal Teil des sozialistischen Wirtschaftssystems war, in dem alle Länder nur spezielle Waren hergestellt haben, die dann an andere Länder verkauft wurden. Aus Ungarn kamen die Ikarus-Busse, die in Sowjetunion nach wie vor fahren und aus Russland kamen die U-Bahn-Wägen, wie sie in der Budapester Metro anzutreffen sind. Leider sind die russischen kontaktlosen U-Bahn Fahrtickets wohl erst nach dem Zerfall dieses Warenaustauschsystems erfunden worden, es ist sehr umständlich sich ein Ticket zu kaufen, nach dem Abstempeln wird man von drei gelangweilten Kontrolleuren kontrolliert, bevor man sich auf die Rolltreppe begeben darf.


Budapest bei Nacht

Nachdem auch diese Schwierigkeiten überwunden wurden, kamen wir in ein ganz gutes Hotel an und gingen sofort raus in die Stadt. Jetzt muss ich mich für die Fotos entschuldigen, die meisten sind in der Nacht entstanden. Die Nacht fängt in Budapest im Winter sehr früh an, denn die Stadt ist so weit östlich, dass es sich durchaus lohnen würde über die Zeitverschiebung um eine Stunde nachzudenken. Wir sind trotzdem auf den Gellert-Hügel hochgestiegen, wo die Hungaria nach dem Vorbild der Bavaria mit etwas was man sowohl als Schwert oder als Federkiel interpretieren kann, Ungarn wahlweise beschützt, bildet oder kitzelt. Man hat auch eine gute Sicht auf das nächtliche Budapest mit den beleuchteten Brücken über die Donau.


Hungaria

Abends gehen wir gleich in das erste Rudas-Bad, das noch von den Türken im 16. Jh angelegt wurde. Das ist das einzige Bad, dass von 22-4 Uhr offen hat, so dass die nachtaktiven auch zu Nachtzeit wellnessen können. Man kann sich eine Kabine mieten, also einen Kasten für zwei Leute in dem man sich umziehen und auch seine Kleider für die Dauer des Besuchs lassen kann. Das Bad selbst besteht aus einem grossen und vier kleinen Becken, die von eine Kuppel, die auf vier Säulen fusst, bedeckt werden. Es ist recht voll, man schwimmt nicht, sondern versucht ans Rand des Beckens sich auf die Treppen zu setzen, möglichst in akustischen Reichweite seiner Mitbegleiter und labert über dies und das. Da jeder dasselbe tut, ist es recht laut. Zwischendurch kann man in die Sauna oder ins Dampfbad reingehen, da darf man die Körpernähe von schwitzenden fremden Menschen nicht scheuen, manchmal ist es so voll, dass die Leute stehen müssen. Die Sache mit den Handtüchern-Unterlegen wird auch überbewertet. Wer immer noch Spass daran hat, wird einen lustigen Abend verbringen und sehr entspannt wieder nach Hause gehen.

Tag 2: Budapest ist echt weitläufig angelegt, das heisst man latscht sich zu Tode, also nimmt man lieber die Strassenbahn, man muss schwarz fahren, denn es ist absolut unklar, wo man die Tickets herkriegen soll. Wir fahren mit einer Zahnradbahn auf der Buda-Seite den Hügel hoch und schauen uns die Matthiaskirche an. Von innen ist die Kirche mit ungarischen Mustern bemalt, was ungewöhnlich, aber auch schön aussieht.


Matthias-Kirche


Budapest bei Tag. Ständig sucht man unbewusst den Eifelturm

Danach latschen wir zu Fuss runter und beschliessen das vom Hotelrezeptionisten uns aufgeschwatzte Touristenticket zu nutzen und eine Schiffsrundfahrt zu machen. Es ist zwar recht kalt, aber man sieht das gewaltige Parlament, den umgefallenen Eifelturm, der jetzt als Brücke dient (kleiner Scherz) und die Margareteninsel. Ordentlich durchgefroren gehen wir zum Hotel und bereiten uns seelisch auf die Silvesterfeier in Ungarn vor. Das ungarische Fernsehen zeigt eine Silvesterfeier, wo jeder Gast was singen muss und zwar im Rhythmus einer ungarischen traditionellen Musik, die selbst für mein osteuropäisches Ohr recht gewöhnungsbedürftig klingt.


Das Parlament

Ich weiss nicht, wie die Feiern in der 2-Mio Stadt Budapest sonst ausfallen, es gab eine Bühne, wo tapferen Entertainer mit Musik vom Band ungarischen Hits (diesmal modern und deswegen eingängiger) gesungen haben. Punkt um 12 waren wir an einer Donau-Brücke, ein offizielles Feuerwerk alá Donau in Flammen gab es zwar nicht, aber die Leute haben fröhlich geballert, erstaunlich guten Sekt getrunken und farbige Perücken getragen. Ist vielleicht nicht so ganz durchgeplant wie in Bratislava letztes Jahr, aber immer noch ganz lustig.


Die Bühne



Tag 3: Müde vom Gelatsche beschliessen wir einen faulen Tag einzulegen und uns vom HopOn-HopOff Bus kutschieren zu lassen. Also HopOn und eine lange Fahrt durch Budapester Zentrum, mit Heldenplatz, das angeblich bei einem Video von Michael Jackson benutzt worden ist, um seine Größe zu unterstreichen (ich tippe auf irgendwas von HIStory). Am besten gefällt uns das Széchenyi-Bad, also beschliessen wir hinzufahren. Der Tipp, der auf Oktoberfest funktioniert ist auch hier beim Eintritt gültig, immer die Seiteneingänge suchen, deswegen sind wir recht bald im sehr eindrucksvollen Bad, am schönsten ist definitiv das riesige Aussenbecken das im Winter auch offensteht.


Széchenyi-Bad © bei Wikipedia


Im Bad-Gebäude

Gleich neben dem Bad steht das ungewöhnlichste Bauwerk das ich jemals gesehen habe. 1896 zur Milleniumsausstellung baute man ein provisorisches Schloss Vajdahunyad, das alle in Ungarn verwendete Baustile vereinigen soll. Wie es mit provisorischen Gebäuden so ist, halten sie am längsten, deswegen steht dieses Schloss immer noch da und besteht aus Gotik, Barock, Klassizismus und Romanismus. Erinnert ein bisschen an die Architektur-Ausstellung in Victoria&Albert Museum in London, wo die berühmtesten Bauwerke 1:1 kopiert wurden, damit die klammen englischen Studenten nicht durch die Welt reisen müssen.


Gotik...


… geht fliessend in Barock über

Nach dem Bad gibt es das berühmte Paprika-Huhn.

Tag 4: Ich gehe in Terror Haza, Haus der Terrors. Das ist ein Museum für die Opfer der beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts, die Ungarn durchlebte. Nach dem Museum der Okkupation in Estland habe ich meine Standards was die Überlieferung der Geschichte in solchen Museen angeht, sehr niedrig gehalten, aber ich war von diesem Museum positiv überrascht. Es ist zwar nicht unbedingt nötig Rammstein-ähnliche Musik ("Rammmmstein, ein Kind stirbt") im einem Raum abzuspielen, in dem künstlerisch wertvoll gezeigt werden sollten, dass Faschismus und Kommunismus zwei Seiten derselben Medaille sind, und der extra langsam in den Keller fahrende Fahrstuhl mit dem riesigen Bildschirm auf dem haarklein der Vorgang einer Exekution erzählt wird, ist auch nicht jedermanns Geschmack. Aber zumindest stehen die Ungarn dazu, dass es eigene Leute waren, die viel Leid dem ungarischen und jüdischen Völkern zufügten und nicht externe Kräfte, die die kleinen unschuldigen Ungarn das Leben schwermachten. Da sind die Ungarn erheblich weiter, als viele andere osteuropäische Länder. Interessant fand ich auch den Büchershop im Museum, in dem Bücher über die Unruhen 2006 verkauft wurden, ein Signal, dass auch das heutige Ungarn keine perfekte und alternativlose Gesellschaft darstellt.






Péter Gábor, der Schneiderlehrling war der Chef des kommunistischen Geheimdienstes und sehr gefürchtet




Das ist der eiserne Vorhang

Nach einem Café-Besuch fahren wir in das zumindest in Deutschland berühmt-berüchtigte Gellert-Bad (Stichwort ERGO-Versicherungen). Das Bad ist wiedermal sehr schön, die meisten Bereiche sind nach Geschlechtern getrennt und zumindest bei den Männern hängt schon eine gewisse Testesteron-Wolke in der Luft. Einen grossen Bereich nehmen die Massagekabinen ein, die sicherlich auch für andere Tätigkeit zweckentfremdet werden könnten. Aber genug des Lästerns, die Bäder in Budapest sind DAS besondere Flair von Budapest, was man so in keiner anderen Stadt findet.


Eingang zum Gellert-Bad


Ausgang aus Gellert-Bad

Tag 5: Tag der Abreise. Aber zuvor gehen wir in die Budapester Markthallen und decken uns mit Reiseproviant zu, also scharfe ungarische Salami, Chips aus Entenfett, die man in der Ukraine Grenki nennt, in Deutschland wahrscheinlich Cholesterinpumpe. Ausserdem eingelegtes Gemüse, Baumkuchen, Paprikapulver. Das ungarische Kochbuch ist auch gekauft, so dass einige der Speisen nachgekocht werden können.


Die Markthalle


Bevor die Karpfen dem Käufer überreicht werden, bekommen sie mit einem Holzstock eins übergebraten


Halb Hund, halb Schaf, der ungarische Hirtenhund

Zusammenfassend gesagt, Budapest ist eine wunderschöne Stadt, wir haben vielleicht die Hälfte davon gesehen, uns dafür sehr in den Bädern entspannt und freuen uns schon darauf wiederzukommen.