Donnerstag, 31. Dezember 2009

Internet vergisst sehr wohl

dieser Artikel ist eine Entgegnung auf den Artikel im Spiegel "Vergiss es", der darum handelte, dass im Internet nichts verloren geht und das Netz alles speichert. Die geforderte Konequenz ist ein Verfallsdatum für Daten.

Internet vergisst nicht. Diese Feststellung kann nur jemand machen, der noch nie eine 404-Meldung gesehen hat: "Diese Seite existiert nicht mehr", diese Menschen hatten keine Webseite auf Geocities und keinen Account bei Combots oder UndDu, sie haben noch nie genau die eine Webseite gesucht, die man schon mal gesehen hat und unbedingt nochmal braucht, aber die Adresse nicht mehr weiss. Oder man weiss die Adresse, aber die Webseite sieht plötzlich ganz anders aus, weil der Domainbesitzer sich geändert hat. Die einfache Wahrheit bei Internet ist, dass es kaum etwas dynamischeres gibt als das Netz der Netze und das geht in beide Richtungen, sowohl bei der Weiterentwicklung, als auch bei Veränderung des Bestehenden. Ganze Provider werden abgeschaltet, Domains werden umregistriert, soziale Netzwerke wegen Unrentabilität geschlossen, all diese Daten verschwinden aus dem Netz. Und wenn sie nicht verschwinden, so gehen sie in der gewaltigen Datenmenge verloren. Jede Seite wird nach Wichtigkeit bewertet und die Wichtigkeit wird danach bemessen, wieviele Links auf diese Seite zeigen. Falls also Webseiten aus dem Netz verschwinden, verschwinden auch die Links, so dass eine ehemals gut verlinkte Seite auf einmal nur noch wenige Querverbindungen besitzt und im Ranking absteigt. Man muss schon sehr gute Abfragen formulieren, um die Seite wiederzufinden. Dabei funktioniert eine Internet-Abfrage nicht viel anders, als ein Dialog mit einem alten Freund:
- Erinnerst Du Dich noch an die Katrin?
(Ab jetzt sind 2 Varianten möglich)
Variante 1: Ja klar, Katrin ist meine Ehefrau
Veriante 2: Nein, welche Katrin?
- Na die Blonde aus der Schule
- da gab es so viele Blonde in der Schule
- die in der 11. Klasse sich mit zu kurzem Rock fotografieren lies und deren Foto danach in der Abi-Zeitung war
- Ach die Katrin, ja doch, ich erinnere mich noch dunkel, habe die Abi-Zeitung noch irgendwo

In der Variante 1 ist die Katrin sofort präsent, denn die Beziehung ist immer noch sehr stark. In der Variante 2 brauchte man einige Zusatzinforationen, die normalerweise nur eingeweihte Personen haben, um die entsprechende Erinnerung aufzurufen. Deswegen müssen die langliegenden Jugendsünden schon sehr genau spezifiziert sein, um an sie noch ranzukommen, oder sie muss so aussergewöhnlich oder prominent gewesen sein, dass sie bis heute noch gut verlinkt ist und sofort abrufbar ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Personaler über derart spezielles Wissen verfügt, um die privaten Details einer bestimmten Person abzufragen, ist eher gering.

Die Entwicklung läuft zur Zeit eher in umgekehrter Richtung. Viel schlimmer als im Internet zu sein, wird es, im Internet nicht zu sein, denn was im Internet nicht dokumentiert ist, das hat es nicht gegeben. Also wird sich jeder künftiger Personaler mit Recht fragen, warum finde ich die Informationen über die Ereignisse nicht, die der Bewerber im Lebenslauf von sich behauptet? Tue Gutes und rede darüber, hiess es früher, tue irgendwas und sorge, dass es auch im Internet erscheint, wird das Motto der Zukunft sein.

Im Szenario der Lebenslaufüberprüfung im Internet ist ein Verfallsdatum eher hinderlich. Ausserdem, wie soll es technisch bewerkstelligt werden? Wer wird entscheiden, welche Daten wichtig sind und welche nicht? Für jeden ist die Wichtigkeit der Daten verschieden. Was der eine möglichst schnell vergessen möchte, ist für jemand anderen eine Erinnerung, die zum Teil seines Lebens gehört und nicht missen möchte. Ein einheitliches Verfallsdatum ist weder möglich noch wünschenswert.

Ein weiterer Gedanke ist, dass die Leute gar nicht kontrollieren können wo die Daten über sie veröffentlicht werden, d.h selbst wenn sie ein Verfallsdatum für ihre Daten bestimmen könnten, andere Informationsquellen könnten ganz anderes Verfallsdatum haben. Durch unterschiedliche Suchmaschinen findet man ganz verschiedene Daten über eine Person, so dass die Informationsverbeitung unkontrollierbar ist. Daraus können zwei Folgen abgeleitet werden, erstens dürfte kaum jemand kann ein absolut sauberes Profil im Netz haben, was zu gewissen Waffengleichheit führt, die Bigotterie in dieser Frage dürfte erheblich abnehmen und zweitens muss jeder einzelne lernen zu seinen Schwächen zu stehen. Andererseits muss die Gesellschaft lernen (Staat und Unternehmen ausdrücklich eingeschlossen) die Privatsphäre des einzelnen zu achten und nicht zu missbrauchen, auch wenn sie für jedermann offen im Netz nachzulesen ist. Da sind einige Gerichtsurteile nötig, die darauf abzielen, dass nicht jede verfügbare Information gegen die Person auch verwendet werden darf. Doch Eric Schmidt, der CEO von Google hat sehr recht wenn er sagt, dass falls Sie Dinge tun wollen, von denen niemand was erfahren, soll, dann sollte man diese Dinge vielleicht nicht tun. Google, oder eine andere Suchmaschine wird diese Dinge rausfinden und die Kontrolle darüber ist kaum möglich.

Was ist nun aber mit den Leuten, die gerne die Information, die ihnen unangenehm ist, möglichst aus dem Netz haben wollen, um bspw. ein neues Leben anzufangen? Nun, in der Vergangenheit war es genauso wenig möglich, falls die Person oder die Tat prominent war. Jede Zeitschrift hat eine Rubrik "Vor x Jahren", oder "Was macht eigentlich x". Sollte man solche Rubriken auch verbieten, die Kalender nicht mehr verkaufen, die zu jedem Tag die historischen Eregnisse, die an diesem Tag passiert sind, abdrucken, oder die Ausgaben der Bild-Zeitung einziehen, die berichten, wie ehmalige RAF-Terroristen das Gefängnis verlassen, mit Photo und vollem Namen? Hier gilt das vorher gesagte, nicht prominentes bleibt auch im Internet-Gedächtnis nicht hängen, Prominentes, woran sich die Leute erinnern und immer noch darüber schreiben, wird auch im Internet immer aufzufinden sein. Was eventuell möglich ist, wäre die unangenehme Information mit möglichst vielen positiven Einträgen zu relativieren, es gibt bereits Agenturen, die sich darauf spezialisieren, es dürfte ein breiteres Geschäftsfeld in der Zukunft werden.

Montag, 16. November 2009

Warum ich Google mag und fürchte

Hier sind die Schlagzeilen der IT-Nachrichten der letzten Woche:

- Google übernimmt AdMob - ein Werbedienst für mobile Bannerwerbung
- Google veröffentlicht eine neue Sprache Go
- Google veröffentlicht ein neues Protokoll als Ergänzung zum HTTP: SPDY
- Google übernimmt Gizmo5 - ein VoIP Provider in USA
- Google legt ein Kompromissvorschlag zum Einscannen von Büchern dem US-Gericht vor, um sich mit Verlagen zu einigen
- Google veröffentlicht den Quellcode von Android 2.0
- Google führt als einer der ersten Anbieter auf Youtube Full-HD Videos vor, ausserdem fangen sie an mit vorgeschalteten Werbung zu experimentieren an

Diese Nachrichten habe ich nur aus dem Gedächtnis zusammengesammelt, es gibt bestimmt noch mehr. Jede dieser Nachrichten hat das Potential zu einem Next Big Thing zu werden, besonders wenn man überlegt, zu was für einem Riesen Google geworden ist, so dass die neu vorgeschlagenen Standarte auch durchgedrückt werden können. Die Geschwindigkeit mit der Google Innovationen auf die IT-Welt entlässt, ist atemberaubend, keine andere Firma, sei es Microsoft, Apple, IBM, HP können sich auch nur annähernd damit messen. Und während die nicht IT-Profis Angst vor Google bekommen, weil Google so viel über sie weiss, sind die ITler absolut fasziniert über die Lösungen, die aus den Google-Labors ihnen größtenteils kostenlos und meistens von hoher Qualität angeboten werden. Mit absoluten Unglauben schauen sie sich Videos von Google Navigation an, die alle anderen Navigationslösungen wie aus der Steinzeit aussehen lässt. Google kopiert nicht, Google erfindet und öffnet neue Möglichkeiten. Selbst die eingekauften Firmen sind wegen dem fehlenden Puzzle-Stein in dem Technologie-Baukasten gekauft worden, die Technologie wird verbessert und zu einer neuen, meistens unerwarteten Lösung geschnürt.

Was macht denn Google anders, als andere Firmen? An den Erklärungsversuchen mangelt es nicht, doch immer mehr Stimmen meinen, dass Google Ingenieur-gesteuert ist und im seltenen Fall von Google die Wünsche des Marketings, der Finance-Abteilung und der Techniker zusammenfallen. Das erklärte Ziel von Google ist es das Internet möglichst benutzerfreundlich zu machen, damit immer mehr Leute Internet benutzen und dementsprechend bei Google suchen und die bezahlten Links anklicken. Deswegen sind sämtliche technische Lösungen, auch wenn sie nicht primär auf die Steigerung des unmittelbaren Profits abzielen bei Google hochwillkommen und werden den Entwicklern kostenlos zur Verfügung gestellt, die sie dankbar annehmen. Deswegen ist auch jede aufsehns-erregende und markterfindende Endbenutzer-Lösung willkommen, die mehr Internet-Verkehr generiert, weil die Leute sie ausprobieren wollen. Basierend auf dem Grundgedanken, dass mehr Internetverkehr mehr Profit bei Google verursacht, werden bei Google auch Entwicklungen finanziert, die keine unmittelbare Monetärisierung für Google bedeutet.

Doch sind es auch andere Faktoren, die Google zum beliebtesten Arbeitgebern unter den IT-Absolventen machen. Zum ersten sind es die Geek-freundlichen Einstellungstests, die nicht darauf abzielen, ob man den Mitbewerber im Assesment-Zenter niederbrüllen kann, sondern auf die Intelligenz und technisches Verständnis der Bewerber abzielen. Slideshows von Arbeitsräumen bei Google werden im Internet rumgeschickt und das Kantinenessen ist legendär. Ein Traum für jeden Techie ist die 20% Regelung, die bedeutet, dass ungefähr einen Tag in der Woche die Entwickler ihren Seitenprojekten sich widmen können. Angeblich sind solche aufsehenerregende Entwicklungen wie Google Earth aus solchen Seitenprojekten hervorgegangen. Summer of Code ist unter Entwicklern ein allgemein-verständlicher Begriff, für Google ist das eine höchst effektive Requitierungsmassnahme, aber auch für exotische OpenSource Projekte ist das eine willkommene Geld und Ressourcenspritze. All das bedeutet, dass die besten verfügbaren Köpfe dieses Planeten in Google einen Arbeitgeber sehen, was Google nur recht sein kann.

Dieser Geek-Zentrismus sorgt natürlich für Unmut bei anderen Berufsgruppen. Mit kalten technischen Präzision dringt Google in Märkte ein, wo gesunde Konkurrenz herrschte und macht aufgrund meistens besseren technischen Lösung und schierer Marktgröße die Konkurrenz platt. Aus der Sicht des Technikers ist das der Beweis der Überlegenheit der Google-Lösung und der Niedergang der Konkurrenz nur logisch und wenn nicht begrüssenswert, doch unaufhaltsam. Doch geraten die sorgsam austarierte Gleichgewichte und Geschäftsmodelle durcheinander, denn die Google-Lösung beachtet dies nicht. Der beste Beispiel ist GoogleNews-Dienst, der die News der verschiedenen Zeitungen aggregiert. Dadurch verlieren die Zeitungen ihre Geschäftsgrundlage, die auf Bannerwerbung basiert und dadurch schadet sich Google im Endeffekt selbst, denn keine hochwertig (da teuer) aufbereitete News bedeutet viel Mist im Newsaggregator, doch diese Implikation scheint es Google nicht bewusst zu sein. Dasselbe Problem ist bei der Digitalisierung von Büchern, denn falls die Urheber ihre Geschäftsgrundlage verlieren und die Bücher frei zugänglich sein werden, wird es im Endeffekt weniger gute Bücher geben. Und nein, freiwillig arbeitende Blogger können einen guten Redakteur oder Schriftsteller nicht ersetzen. Im Endeffekt wird Google hochwertiges Content selbst generieren müssen, um das Ziel, also das Locken der Kunden ins Internet weiterhin zu verfolgen.

Und was ist mit dem Argument von Datenkrake Google? Noch kann man sich mit etwas Vorsicht recht gut mit mehreren Profilen im Internet bewegen, und zumindest für Google nicht zu einem Gesamtprofil zusammenführbar zu sein. Wenn man meinen Realnamen in Google eingibt, ist es nicht möglich meine sämtliche Profile bei sämtlichen Netzwerken zu finden und daraus ein Gesamtprofil zu erstellen. Wenn man kloty in Google eingibt, kann man mit etwas Glück meinen Realnamen finden (da habe ich paarmal nicht aufgepasst). Google bastelt allerdings an einer Lösung, die als Webservices für soziale Netzwerke beschrieben werden kann, das bedeutet, dass Benutzerprofile verschiedener sozialen Netzwerke einer Person zugeordnet werden können, was in vielen Fällen nicht erwünscht ist. Allerdings stellt sich langsam die Frage, was schlimmer ist, von Google gefunden zu werden, oder von Google nicht gefunden zu werden. Das klassische Beispiel von Personalabteilung, die während des Vorstellungsgesprächs den Bewerber mit unbequemen Fakten konfrontiert, die man bei einer Google-Suche erfahren hat ist leider nach wie vor aktuell. Doch wer meint, dass völlige Anonymität und das Nichtauftauchen bei Google gut seien, liegen bereits jetzt schon falsch, denn, wenn man im Lebenslauf gewisse Stationen erwähnt hat, sie aber in Google nicht auftauchen, wirft das die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Bewerbung auf. Doch auch derjenige, der meint die Informationen, die über einen im Internet erscheinen, kontrollieren zu können, liegt genauso falsch. Informationen und auch die Wirkung, die diese Informationen auf den Empfänger ausüben sind nicht kontrollierbar und nicht beherrschbar. Dieselbe Information kann auf verschiedene Art und Weise interpretiert und zu Gunsten und Ungunsten des Bewerbers ausgelegt werden. Und da ist Google nur der Bote.

Für die Zukunft lässt sich kaum vorhersagen, welche Ideen den Google-Ingenieuren noch einfallen werden. Die IT-Welt wartet gespannt auf ChromeOS, ein Betriebssystem für Netbooks von Google, sehr interessant ist weitere Entwicklung von Android, für mich völlig unerwartet war der Hype um Android bei den Embedded-Systems Firmen, die das OS auch für komplett andere Systeme, als für Handies benutzen wollen und selbstständig auf andere Prozessorarchitekturen portieren. Ebenso spannend ist die Akzeptanz von Google Navigation, die kostenlose Navigationslösung, die immer mit Internet verfügbar ist. Allein diese Entwicklung war zwar für mittelbare Zukunft absehbar, doch zu solchen Radikalität, die wahrscheinlich auch funktionieren wird ist momentan nur Google imstande. Die Geschwindigkeit, mit der Google die Welt umkrempelt erinnert an transhumanistische Singularität. Was ich Google wünschen kann, dass die Firma sich bei der Anzahl der parallel laufenden Projekte nicht verzettelt und nicht den roten Faden verliert. Und don't become evil.

Freitag, 6. November 2009

MDC09

Dieser Artikel fällt etwas aus dem Rahmen als was ich hier wie üblich veröffentlichte, denn zum ersten Mal schreibe ich was für Cash, es gibt ein Atom-Netbook zu gewinnen, also strenge ich mich etwas an.

Langsam ist es auch für die Leser dieses Blogs kein Geheimnis mehr, dass ich mich für das Programmieren von mobilen Geräten interessiere. Ich schreibe gerade an einer Software, die verschiedene spar-Angebote im Umfeld des Handy-Benutzers lokalisiert und auf der Karte anzeigt (Code-Name der App ist spar-radar). Doch gehörte ich bislang keiner Community an, hatte mein Wissen aus Büchern, Webseiten und Heise-Zeitschriften-Artikeln geschöpft, ohne je einen lebenden Handy-Programmierer (der womöglich sogar Geld damit verdient) aus der Nähe gesehen zu haben. Ich bin auch ein bekennender Nicht-Twitterer (so, das wars jetzt mit dem Preis). Von MDC hatte ich keinen blassen Schimmer, Fachkonferenzen assozierte ich als extrem teuere und nur für exklusive Teilnehmer zugängliche Veranstaltungen. Doch wie erfuhr ich überhaupt von MDC und kam dann überhaupt rein?

Am schönen Samstag-Morgen auf dem Rückweg vom Feldkirchener Bahnhof fiel mein Blick auf unmotiviert rumhängende Wegweiser auf DIN-A4 Papier mit der interessanten Überschift mobiledevcamp09. Ohne eine Ahnung zu haben, was das überhaupt ist, folgte ich den Schildern, bis ich vor dem Intel-Gebäude stand, das mich schon seit Jahren magisch anzog. Tief luftholend trat ich ein und scheiterte beinahe an der Empfangsdame, doch dann kam ein Intel-Mitarbeiter, dessen Namen ich leider nicht weiss, dem ich aber sehr verbunden bin und machte mich mit Kerstin bekannt, die mir die Spielregeln kurz erklärte. Sie waren auch sehr einfach, hier der Pinboard mit Veranstaltungen, wenn man einen Vortrag halten möchte, ist man herzlich willkommen dies zu tun, ansonsten einfach hingehen, zuhören und wenn möglich aktiv beteiligen, simple as that.

Zuerst war ich in einer VentureCapital-Session. Hier wurde zum ersten Mal wirklich Tacheles zum Thema Finanzierung (bei diesem Thema überhaupt keine Selbstverständlichkeit) geredet. Geführt durch die Session hat Klaus Wiedemann. Klaus war schon auf beiden Seiten, sowohl als Unternehmer, als auch als VC-Geber und kannte sich entsprechend gut aus. Seine Aussagen:

- HighTech Gründer Fonds macht 70% aller Gründerfinanzierungen
- Machte auf www.foerderdatenbank.de aufmerksam, ausserdem gibt es www.bvdfb.de ein Bundesverband der Foerderberater
- es ist zur Zeit wahnsinnig schwierig Finanzierung über die Banken zu bekommen
- Keiner Finanzierungszusage glauben bis Unterschrift da ist und Geld aufs Konto überwiesen wurde
- Für einen VC wird das Unternehmen erst in folgenden Fällen interessant:
       - Beteiligung ab 1 Mio
       - das Verfahren patentierbar / vermarktbar, denn im Falle der Pleite des Unternehmens kann man immer noch die Technologie verkaufen
       - 1 Mlrd Euro weltweiter Markt
       - ein Umsatz von 50 Mio im Jahr 5 !!!!! Unter 10 Mio braucht man erst gar nicht anzukommen !!!!
- Das Model mit VCs sieht normalerweise so aus: eine GmbH mit VCs als KG angehängt
- Bei VCs aufpassen wegen Verteilung von Unternehmensanteilen, es gibt Fälle da haben die Gründer nur noch 15% des Unternehmens.
- Empfohlen wird die regionale Förderungen zu nutzen, im Extremfall sogar den Gründungsort danach auswählen, wo es die besten Fördermöglichkeiten gibt, momentan ist Berlin ein ganz heisser Tip
- Ganz paranoid bei Cashflow sein! Geld holen wo es nur geht, d.h. wenn man Seitenprojekte tun muss, die Geld bringen, tut man die Seitenprojekte. Im Businessplan nennt man sowas opportunistische Finanzierung, sobald die Möglichkeit sich auftut zu finanzieren, diese Möglichkeit auch nutzen, auch wenn es mit dem Ziel der Firma nichts zu tun hat. Kontostand immer auswendig kennen!
- Immer Exit-Strategien bereithalten, Plan A, PlanB und PlanC vorbereitet haben

Insgesamt eine sehr interessante Session, vielen Dank, Klaus.

Danach habe ich Wolfram Herzog von SIC-Software kennengelernt. Er programmiert schon seit 1988!! (überlegt euch das mal) an mobilen Geräten, hat also schon alles gesehen, was es in diesem Bereich gibt. Er hat eine sehr interessante Session über Programmierbarkeit verschiedenen Plattformen gemacht und präsentierte viele wichtige Kennziffern, die jeder Programmierer wissen sollte, wenn er sich für eine Plattform entscheidet (Whitepaper gibt es auf Anfrage). Aber eine sehr aussagekräftige Zahl möchte ich jetzt schon nennen: 99% der Android-User, 98% der iPhone-User, 72% der Blackberry-User haben eine Datenflatrate, dagegen sind es 7% der JavaMe-User. Nachdem 1MB an Datenübertragung in Deutschland bis zu 18EUR kostet, ist es eigentlich klar für welche Plattformen man datenintensive Dienste entwickelt.

Anschliessend war ich in der Session eines Navibetriebssystems-Herstellers elektrobit. Sie machen z.B. Navisoftware für Medion-Navis, die momentan auf Platz 1 der Verkaufscharts in Deutschland sind. Der Vortragende hat eine Diskussion angestossen, was ein Navi der Zukunft können sollte und es wurde ihm sofort die neueste Navi-Software von Google unter die Nase gehalten, die mit dem neuen Android 2.0 kostenlos verfügbar ist.



Noch ist dieser Dienst nur in USA verfügbar, doch es ist eine Zeitfrage bis es nach Deutschland kommt und auch für iPhone verfügbar sein wird. Von so was habe ich nicht mal geträumt.

Danach war ich in der Session über JavaScript und HTML5. HTML5 ist neuer Standard und da ist wirklich im Standard festgeschrieben, dass der Browser location-based services anbieten muss, das heisst mit HTML5 braucht man keine native Application mehr! HTML5 wird schon von Safari-Browser in iPhone und Android Browser verstanden, d.h eigentlich braucht man für diese Plattformen keinen eigenen Client zu entwickeln. Es wurde allerdings eine interessante Studie zitiert als die Zeitschrift Stern mobiles Content zur Verfügung gestellt hat. Als sie nur mobile Webpage hatten, hatten sie 22000 pageviews / Monat, als sie eine Application veröffentlicht haben, hatten sie 250000 Zugriffe / Monat. Erklärt wurde es damit, dass es immer noch grosser Unterschied in Zugriffszeit gibt , zwischen Browseraufruf und laden und rendern der Webseite und starten einer Application. Auf jeden Fall HTML5 lohnt sich genauer anzuschauen. Hoffentlich können Opera Mini und Mobile auch bald HTML5, dann kann ich mir die JavaME-Entwicklung sparen.

Also für mich persönlich war das ein sehr interessanter Tag, habe viele neue Bekanntschafte gemacht und per XING besiegelt, über viele neue Entwicklungen gehört, viel Gehirnfutter für neue Ideen bekommen. An dieser Stelle vielen Dank an die Sponsoren, an Intel-Leute, die ja eigentlich die Veranstaltung gemacht haben, um ihre neue mobile Plattform Moblin unter den Entwicklern bekannt zu machen, was IMHO der richtige Weg ist. Kein Entwickler läßt sich vom Marketing widerspruchslos irgendwas erzählen, aber mit einem Developer-zu-Developer Gespräch, kann man das Interesse viel besser und schneller wecken. Also liebe Marketing-Leute, nimmt euch Beispiel an Intel und Acer, ladet Developer ein und dann erzählen sie ihrem Chef, was für tolle Sachen sie bei Intel gesehen haben. Das Freibier bei Fliegerbräu war noch das i-Tüpfelchen, dann war man wunschlos glücklich.

Samstag, 17. Oktober 2009

Sechs Tage Rügen

Anreise: Im Nachtzug hört man doch die besten Geschichten. Wie zum Beispiel vom Bayer Erwin, der der Liebe wegen nach Dänemark gezogen ist, dort zwei unerzogene Töchter als Ziehvater hat und sich wundert, wenn die Dänen ihn mit Sarkasmus auf den Arm nehmen, wenn sie zeigen wollen, dass sie ihn gern haben. Erwin weiss, dass sein Dänisch immer einen bayerischen Akzent haben wird, hat aber gerne Berge gegen das Meer eingetauscht. Romantik pur. Seufz.

Hamburger Bahnhof um 5 Uhr morgens im 24-Stunden McDonalds ist wie anderswo auch eine Versammlung von ganz bunten Vögeln. Hamburger Fashion auf der Skala von bürgerlich-grosskotzig (München) zu arm-aber-sexy (Berlin), nimmt der Zeiger eine dritte Dimension ein, nicht umsonst kommen die coolen Leute der deutschen Musikszene aus Hamburg. Hamburg ist wieder eine Stadt mit ganz eigenem Flair, mit nichts zu vergleichen. Mit nichts (ausser mit Regional-Express) ist auch der IC Hamburg - Ostseebad Binz zu vergleichen, der kriechend langsam sich durch die norddeutsche Prärie schleicht.

1. Tag: Nach ein paar Kilometer Strandlaufen, stossen wir auf Prora. Prora war das größenwahnsinnige (wie eigentlich alles im 3. Reich) Projekt die weltgrößte Herberge für Badegäste zu errichten. Acht Gebäudeblöcke, je 500 Meter lang macht 4 Kilometer-Komplex, auf jeden Fall ein Kandidat für den längsten Gebäudekomplex der Welt. In nur drei Jahren aus dem sandigen Boden hochgezogen, für 20000 Gäste geplant, wegen des Krieges nicht fertiggestellt und in der DDR-Zeit als Kaserne genutzt, während der Wilde-Osten-Zeit ohne eine einzige nicht-zerbrochene Fensterscheibe stehengelassen, gibt es erst jetzt grosse Umbaupläne für den Komplex. In der Stimme des Rundführers schwingt Ehrfurcht mit, was man in der kurzen Zeit des dritten Reiches mit einem einzigen Baukranen hochgezogen hat und wie generalstabsmäßig der Urlaub des Ehepaars Müller aus Saarland geplant wurde. Aus der heutigen Sicht komplett unvorstellbar wäre man im Urlaub militärisch rumkommandiert, mit Lautsprecher um 5.30 aufgeweckt, zum Frühsport geschickt, in einem 100x400m grossen Schwimmbecken wäre man geschwommen, dann auf die Minute genau sonnengebadet, zum Essen hätte es nur Eintopf gegeben, aber dafür hätte das Vergnügen 3 EUR / Tag gekostet. Individualismus ist halt teuer.


Prora in Wirklichkeit


Und als Modell

2. Tag: Grosse Wanderung nach Sellin. Erfahrung, dass ein Rügenkilometer grob zwei Alpenkilometer sind. Überall begegnet man Leuten mit Rassehunden, die zwar eine Herde Hirsche aufscheuchen können, aber zu fett sind um hinterher zu laufen. Die Badeorte an der Ostküste sind sehr gepflegt, mit sehr schönen weissen Villen. Das alles ist zwar noch nicht so gehoben wie auf Sylt (zumindest wie ich mir Sylt vorstelle), aber Tendenzen gibt es durchaus. Sollte eines Tages Sylt endgültig weggespült werden, ist Rügen eine sichere Investition für die Zukunft, so schnell geht die Insel nicht unter. Auf dem Weg nach Sellin kommt man an einem Jagdschloss vorbei, das der gute Malte zu Putbus erbaut hat (später dazu mehr). Am Rand von Binz angekommen, geht es zu der nächsten Fischräucherei, um sich ein Fischbröttchen zu holen und mit dem dunklen Störtebecker-Bier "Das Bier der Gerechten" hinterher zu spülen.


Seebrücke in Sellin


Das Jagdschlösschen

3. Tag: Mit dem Schiffchen nach Sassnitz. Sassnitz wurde von der Monetia, der Muse der Investoren noch nicht richtig wachgeküßt, viele mehrstöckige Häuser (keine Platte) für die Mitarbeiter des Fährhafens. Fähr-Verbindungen gibt es nach Schweden, was aber die Stadt nicht veranlasst hat zum Saufparadies alá Tallinn zu werden. Schweden fahren zwar gerne zum Einkaufen, allerdings wird palettenweise Joghurt?! aus dem örtlichen Aldi zusammengekauft. Sassnitz wird aber auch aus einem anderen Grund demnächst recht häufig in Nachrichten auftauchen, hier nämlich geht die Nordstream-Gaspipeline ins Wasser, um in der Nähe von St.Petersburg wieder aufzutauchen. Am Güterbahnhof von Sassnitz stapeln sich auch schon tausende von Röhren, die alle verlegt werden möchten. Es sieht überhaupt nicht danach aus, als ob sie jemand wieder abtransportieren wird, also darf man gespannt sein mit welchem Honigkuchen und Peitsche die deutsche und die russische Regierungen Druck auf die Balten ausüben werden, damit durch ihr Gewässer das Rohr verlegt werden darf. Das naheliegendste wäre ein Versprechen in Estland Euro einzuführen, obwohl die Beitrittskriterien nicht erfüllt werden, denn das ist das einzige, was die jetzige Regierung noch retten kann. Die Polen bezeichnen das Projekt zwar schon als den zweiten Molotov-Ribbentrop Pakt, viel dagegen tun können sie wohl nicht.

4. Tag: Mit den Bussen zum Cap Arkona. Als Nordkap Deutschlands beworben, war das der nördlichste Flecken der DDR, in dem vereinigten Deutschland kommt Sylt die Ehre zu den nördlichsten deutschen Zipfel zu besitzen. Mit den sehr guten Busverbindungen erreicht man recht schnell die Endhaltestelle wird fleissig mit Sanddorn (die Zitrone des Nordens) und Bernstein beshoppt und marschiert munter ein Rügenkilometer zu den drei Leuchttürmen, eines davon vom Schenkel erbaut und als Standesamt beliebt. Gleich daneben haben die Ranen (ein slawisches Volk) die Festung Jaromarsburg errichtet, die zwar einem viergesichtigen Gott Svantevit gewidmet war, was die Schweden mit ihrem kriegerischen Bischoff Absalon (früher liefen Bischöfe mit Schwertern durch die Gegend) nicht störte die Festung plattzumachen und die Ranen zu christianisieren, woraufhin sie recht schnell ausstarben, bzw. sich unter andere Völker mischten.


Frische Briese

5. Tag: Was pfeift denn da durch nach und Wind, es ist der Roland, er fährt geschwind. Der Rasende Roland ist eine Schmallspureisenbahn, ein Schnauferl würde ein Bayer sagen, und eine feste Institution auf Rügen. Die Insel kann keine Wölfe haben, sie hätten alle haben das Pfeifen von Roland als Liebesgeheul interpretiert und sich unter die Räder geworfen. Das Schnauferl verbindet Putbus, wo der Malte der Erste zu Putbus regierte und Göhren, ein weiteres Badeort an der Ostküste. Malte hatte das Pech auf einer recht armen Insel zu regieren, aber als ein aufgeklärter Herrscher wollte er doch auch ein Schlösschen und ein klassizistisches Rondell und ein Marstall und eine Orangerie und einen englischen Garten und ein Jagdschloss haben. Das bekam er auch alles, nur halt nach Möglichkeiten, die nun einmal nicht besonders gross waren. Aber er hat sich bemüht und er ist der einzige Herrscher an den man sich bis heute auf Rügen erinnert, auch wenn die DDR-Apparatschiks sein Schloss in die Luft gejagt haben.


Das Schfauferl bei der Anfahrt nach Binz


Wenn man den Bildausschnitt richtig wählt, sieht Roland recht eindrucksvoll aus


Maltes Denkmal von der liebenden Ehefrau

6. Tag: Darf ich vorstellen, der Kreidefelsen. Doch bevor man den Königsstuhl betreten darf, zahlt man erstmal 8 EUR Eintritt, darf ein dämliches Werbevideo anschauen, Zitat "Oh, so viel Kreide!" und darf dann neben den leise vor sich hin zeternden Rentnern, Zitat "Letzte Woche hatten wir in Bremen halbe Stunde Hafenfahrt für 5 EUR" zu einer Absperrung gehen, um 10 Min die sogenannte Viktoria-Sicht zu geniessen und danach Erklärungen zu Casper David Friedrich-Bild durchlesen. Das wars. Wenn man das Gelände verlässt, kann man dann zum Meer runtergehen, Kreidestücke suchen, Steine mit zähneputzenden Krokodilen bemalen, das stürmische Meer geniessen und Mitleid mit den Passagieren des Ausflugschiffchens haben, die gerade vor dem Felsen halb untergehen.


Und endlich mal die Kreideküste


Soo viel Kreide

Rückfahrt: Nach einem kurzem Aufenthalt in Stralsund (kleine hanseatische Stadt mit einem riesigen Dom), geht es nach Berlin. Nach einer Woche Ruhe, Abgeschiedenheit, Baden bei Kerzenschein und Geigenspielerin, überzieht einen der hässlich-herbstliche Berlin mit einer Keule über den Schädel. Gewusel von armen-und-nicht-mal-sexy Menschenmassen, Regen-Kälte-Dunkelheit Gespann, Verkehr, all das was es auf Rügen nicht gibt. Man ergibt sich dem Schicksal und wartet auf bessere Zeiten.

Sonntag, 23. August 2009

Mail an Spiegel-Onine

Heute morgen öffne ich Spiegel-Online Seite und freue mich ein Bericht über Christiania von Hendryk M. Bröder zu lesen, wo ich dieses Jahr gewesen bin. Nach dem Durchlesen des Artikels, konnte ich nicht anders, als einen erbosten Brief an den Autor zu schicken, der offenbar überhaupt nicht verstanden hat, um was es bei Christiania geht. Diesen Brief stelle ich auch hier online:

Sehr geehrter Herr Bröder,

ich war dieses Jahr auch zum ersten Mal in Christiania und meine Eindrücke stehen komplett diametral zu Ihren Erlebnissen. Vielleicht hätten Sie eine Führung besuchen sollen, die täglich angeboten wird, dann würden Sie etwas qualifiziertere Artikel schreiben.

Fotografierverbot gilt nur in der Einkaufsstrasse und zwar nur, weil die Polizei so oft reinmarschiert und Haschisch-Händler anhand der Photos identifizieren und festnehmen möchte. Sie haben sicherlich neben der Einkaufmeile eine Bar gesehen, die als sicherster Ort der Welt propagiert wird, so oft wurden da schon Razzien durchgeführt. Ausserhalb der Einkaufsstrasse können Sie fotografieren so viel sie möchten. Die harten Drogen sind übrigens in Christiania genauso verboten, wie in ganz Dänemark, weil die Bewohner entschieden haben, dass harte Drogen ihre Gemeinschaft zerstören würden, also wurden die Dealer verjagt und die Süchtigen auf Entzug geschickt. Sobald sie wieder clean waren, durften sie nach Christiania wiederkommen. Was Haschisch angeht, nun die Hippies von damals haben beschlossen, dass das Haschisch-Rauchen zu ihrer Kultur gehört und deswegen die Händler (oder Dealer, wie sie möchten) gewähren lassen. Falls Sie das stört, ich habe eine Neuigkeit für Sie, in ganz Niederlanden ist Haschisch-Konsum legal, vielleicht ist es ein Grund für Sie nicht mehr hinzufahren?

Was die unklare Anzahl der Bewohner von Christiania angeht, das ist nicht wahr. Seit das Gelände unter Verwaltung des Finanzministeriums steht, wurde jeglicher Zuzug von neuen Bewohnern untersagt (Ausnahme Familienmitglieder, deswegen sind die jungen, unverheirateten in Christiania lebenden Frauen, Nachkommen der alten Hippies, sehr begehrt). Es ist auch untersagt, neue Gebäude zu errichten und grosse bauliche Veränderungen an den existierenden Gebäuden durchzuführen.

Die Aussage, dass Kopenhagener das Gebiet eher meiden würden, stimmt genausowenig. Prinz Frederic mit seiner Frau waren schon auf einem Red Hot Chilly Peppers Konzert in der Konzerthalle von Christiania, die überwältigende Mehrheit der Kopenhagenern steht Christiania positiv gegenüber. Zu Kriminalitätsbrennpunkten zählt Christiania eher nicht, schon eher Viertel mit rivalisierenden Jugendgangs, die Drogenhandel in anderen Teilen der Stadt verkaufen möchten und um die Herrschaft über jeweilige Stadtbezirke aneinander geraten.

Auch von einem rechtslosen Raum würde ich nicht sprechen: bei ganz schlimmen Fällen (Raub, Mord), werden die Rechtsbrecher nach dem Beschluss der Vollversammlung an die dänische Polizei übergeben, bei weniger schlimmen Verbrechen kann eine Strafe aufgedrückt werden, die Höchststrafe ist lebenslange Verbannung aus Christiania. Das wird tatsächlich basisdemokratisch entschieden. Wenn Sie das stört, habe ich noch eine unbequeme Neuigkeit für Sie, in der Schweiz wird auch vieles basisdemokratisch entschieden, vielleicht möchten Sie Schweiz ab sofort auch meiden?

Wenn Sie das Aussehen der alteingesessenen Christiania-Bewohner stört, das Leben, dass sie führen ist viel unbequemer, als das Leben anderer komfort-gewöhnten Europäer. Ausserdem muss ihr sozialer Hintergrund vor Augen geführt werden, aus welchen Milieu sie ursprünglich stammten. Mein Rundführer lebt seit Jahrzehnten schon in einem ehmaligen Bunker, in dem Schiesspulver aufbewahrt wurde, ursprünglich ohne Fenster, ohne Fliessendwasser, ohne Toilette, ohne Heizung. Das hat er selbst alles organisieren und bauen müssen.

Es tut mir leid, dass ihre schöne, funkelnde Nikon zertrümmert wurde und sie erborst darüber sind, dass die dänische Polizei ihnen nicht helfen kann, aber ein Grund Artikel zu schreiben, der sich hauptsächlich auf Wikipedia-Recherche basiert, ist es noch lange nicht. Ihre andere Artikel sind doch auch nicht so unreflektiert, oder täusche ich mich da?

Meine Erfahrung mit Christiana war sehr positiv. Es ist ein einzigartiger Flecken in Europa, ein soziales Experiment, das schon seit Jahrzehnten läuft und falls das dänische Finanzministerium nicht Recht bekommt, eine solide Grundlage hat, weiterzuexistieren. Es ist ein Stück gelebter Anarchie, mit Leuten, die eine andere Lebensart haben und sie trotz unbequemen Lebens nicht mehr missen möchten. Sie haben ganz andere Lebenserfahrung, sind offen für andere Religionen (vielleicht hatten sie die Gelegenheit verschiedene Tempel zu besichtigen und zu fotografieren) und sind auch bereit diese Lebensweise anderen zu zeigen, um zu beweisen, dass anarchistische, antiautoritäre Strukturen zumindest im Kleinen durchaus funktionieren können.

Mit nicht sehr freundlichen Gruessen,

Sonntag, 16. August 2009

Ein paar Worte über soziale Netzwerke

Ein paar Worte zu virtuellen Reisen in die Welt der sozialen Netzwerke. Ich habe mich in vielen Jahren schon bei einigen von diesen Diensten angemeldet, für manche bin ich sogar zahlender Kunde und nutze sie mehr oder weniger fleissig, deswegen mache ich eine kleine Übersicht, für was man welche Netzwerke benutzen kann und wie brauchbar sie eigentlich sind.

1. XING ist das erste soziale Netzwerk in Deutschland mit einem hohen Bekanntschaftsgrad. Ist ein Dienst für die Schlippsträger, um Kontakte zu sammeln, und voller Hoffnung zu sein irgendwann von einem Headhunter angeschrieben zu werden, dem das Profil aus irgendwelchen Gründen zusagt. Die wirklichen Freidenker erkennt man daran, dass sie keinen Schlips auf dem Photo haben und irgendeinen Blödsinn bei "ich suche" und "ich biete" schreiben. XING ist ganz praktisch entfernte Bekannte, die über ganz Deutschland verstreut sind in Überblck zu behalten, zumindest hat man das Gefühl Bescheid zu wissen, wie man eine Person kontaktieren kann, was man doch nicht tut, auch wenn man vom Geburtstag dieser Person informiert wird oder Weihnnachten vor der Tür steht. Mehr Kommunikation über XING als die Bestätigung des Kontaktes kommt selten zustande, allerdings ist es interessant zu beobachten, wer denn alles meine Seite besucht hat. Und die Job-Market Seite ist ganz gut, die Angebote passen zu der Profilbeschreibung. Bin zahlender Mitglied.

2. LinkedIn ist die Entsprechung von XING in Rest der Welt. Interessant ausschliesslich für Business-Kontakte "Hey it's nothing but just business". Ganz praktisch sind viele Gruppen, in die man sich eintragen kann und eine übersichtliche Anzahl der Beiträge, die man per Mail bekommt, manchmal sind interessante Infos drin. Für unsere arme Entlassene schreibt der Chef Empfehlungen ins Profil, vielleicht nutzt es ja was.

3. StayFriends ist die Seite für die ehmaligen Klassenkameraden. Ist mäßig erfolgreich, macht aber so kräftig Werbung auf Spiegel Online und anderen bekannten Webseiten, dass der Bekanntheitsgrad recht hoch ist. Ausserdem wird man recht weit oben bei Google angezeigt, wenn man sein Profil freigibt. Schwer nervend ist die Email-Werbung, dass man automatisch generierte Nachrichten in seinem Postfach hat, die man erst aufmachen kann, wenn man das die Webseite besucht und mir komplett unbekannte Personen, die ständig mir vorgeschlagen werden, ob ich sie kennen könnte. Wenn ich sie vor 3 Jahren nicht angeklickt habe, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich sie immer noch nicht kenne doch recht hoch. Musste zahlender Mitglied werden, um Nachrichten an andere Mitglieder zu schreiben, als ich ein Klassentreffen organisiert habe und bin zu faul, die Kündigung für die nächsten drei Jahre zu schreiben, denn erst dann brauche ich es wieder, Jahrestreffen findet alle fünf Jahre statt. Ganz witzig ist noch die Möglichkeit alte Klassenfotos einzuschicken und Namen den Gesichtern auf dem Photo zuzuordnen.

4. Odnoklassniki ist das bekannteste russisch-sprachige Netzwerk. Übrigens las ich mal über eine Studie, dass die Russen die weltweit fleissigsten Nutzer von sozialen Netzwerken sind, da sie sehr weit verstreut leben und auf diese Weise Kontakte zueinander halten können. Was odnoklassniki angeht, trifft es vollkommen zu. Ich habe Leute gefunden, von denen ich seit 20 Jahren nichts mehr gehört habe, zuletzt eine Klassenkameradin, von der ich zwar wusste, dass sie in Stuttgart-Ulm Gegend lebt, aber sonst keine Möglichkeit hatte sie zu kontaktieren. Viele Russen in Deutschland sind ebenso Mitglieder, es gibt mehrere München-Gruppen, die Kalinka-Besitzerin Nastja hat ihr schönstes Lächeln auf dem Photo parat und eigentlich ist dieser Dienst entweder eine riesige Datenbank des russischen Geheimdienstes oder eine Partnerbörse, vielleicht aber auch beides. Auf jeden Fall gibt es inzwischen bei mir Personen, deren Profile ich lieber nicht besuche, damit da keine Missverständnisse aufkommen, was dieser Besuch bedeuten könnte. Sehr viel Kindergarten dabei, habe schon von Odnoklassniki-Parties gehört, wo ein Weiberrudel stundenlang nichts anderes tut, als Seiten von Bekannten/Konkurrentinen besucht und über die Fotos ablästert, auch werden für die wenigen gutaussehenden Russenmänner gemeinsam erdachte Anmachenachrichten getextet. Die Konkurrenzseiten heissen sobutylniki.ru (Gemeinschaft der Schnapscousens) und odnokamerniki.ru (Gemeinschaft der ehmaligen Gefängniskammerinsassen). So was verbindet.

5. verwandt.de ein Netzwerk für die bucklige Verwandschaft. Sehr schöne Möglichkeit ein Stammbaum zu erstellen, aber kaum Möglichkeiten die noch lebenden Mitglieder des Stammbaumes zu kontaktieren, man sollte schon ihre E-Mail Adressen kennen und sie erkennbare Lust zeigen, sich zu engagieren, was bei meiner Verwandschaft nicht der Fall ist. Aber zumindest ist es gut, um das Wissen der Omi abzuschöpfen und in ein System zu bringen, um zu verstehen von welcher Rosa oder Jakob sie gerade spricht und um wieviele Ecken man mit der Person verwandt ist.

6. Blogger.com ist kein soziales Netz im eigentlichen Sinne, eher ein Blogger-Netzwerk. Betreibe dort zwei Blogs und habe wohl einen festen Leserstamm (Hallo Stefan). Habe keine Ahnung, wieviele Leute sich mein Geschreibsel durchlesen (interessiert mich auch nicht besonders), bei den angemeldeten Kommentatoren kann man zumindest aufs Profil klicken, um ein bisschen was über sie zu erfahren. Die Artikel von einzelnen Bloggern stehen im Mittelpunkt, die Blogger schreiben für die Allgemeinheit, normalerweise unter Pseudonymen, so dass die Artikel lesbar sind, auch wenn man den Autor nicht persönlich kennt.

7. livejournal.com oder жж für Живой Журнал, wie der Dienst in Russland genannt wird, ist ein sehr verbreiteter Dienst in russisch-sprachigen Blogosphere. Quasi alle Leute, die als kreativ gelten möchten, haben ein Journal. Es werden seriöse Artikel von Journalisten, Historikern, Politikern, Ökonomen geschrieben, kurze Bemerkungen über das Leben, es wird über den Moment geschrieben, die Gefühle, die einen übermanen, selbstgemachte Photosessions (auch von Profi-Photografen), Kleinanzeigen, Fragen, es ist ein riesiges schwarzes Brett. Geschrieben wird für die Allgemeinheit, allerdings kann man Freunde eintragen und auf einer Extra-Seite sind alle Beiträge versammelt, die die Freunde in der letzten Zeit gepostet haben. Es gibt aber auch die Möglichkeit, private Einträge zu machen, die nur von den Freunden gelesen werden können oder sogar nur für sich. Weniger schön ist es, wenn das Account von einem beleidigten Ex-Lover gehackt wird und alle privaten Nachrichten plötzlich öffentlich werden, wie einer Freundin bei mir passiert ist. Da hilft nur ganz schnell ganz viele Emais an Abuse-Team zu schicken, damit der Journal schnellstmöglichst gelöscht wird. Sehr beliebt sind auch Communities, in die Mitglieder posten dürfen, die gesamten Beiträge auch auf der Freundeseite angezeigt werden, wenn man sich als Leser der Community angemeldet hat. DIe meisten meiner Informationen über Estland und Russland habe ich aus der Community Tonismagi, die sich mit allen Problemen der russisch-sprachigen Minderheit in Estland beschäftigt. Mindestens einmal pro Tag werden alle relevanten Online-Artikel von Freiwilligen aus verschiedenen Massenmedien zusammengetragen. Aber der Salz in der Suppe sind die Kommentare, es gilt als guter Ton möglichst viel und oft zu kommentieren.

8. aka-aki ist ein location-based soziales Netzwerk, das in Berlin erdacht wurde und langsam in Deutschland und erstaunlicherweise in Frankreich populär wird. Die Idee ist, dass man die Nutzer des Dienstes in seiner Nähe lokalisieren kann und wenn man feststellt, dass man gemeinsame Interessen hat, diese Person auch kennenlernt. Der Dienst ist ganz pfiffig gemacht, hat eine sehr schöne Oberfläche und läuft perfekt auf meinem Handy und iPod Touch. Ich habe mehrmals versucht zu verstehen, ob dieser Dienst nützlich ist. Ich habe die Applikation geladen, ich habe sie mehrere Male zu Hause gestartet, in den Münchener und Mannheimer Fussgängerzonen, in Cafes, auf Open-Air Festivals. Jedes Mal sehe ich andere User, die sich in der "Umgebung" befinden, Umgebung ist natürlich äusserst relativer Begriff, die irgendwelche Statusanzeigen hatten, alá "Freut sich auf die Sonne", "Bin totmüde", "Endlich Wochenende". Auf dem Fingernagel-grossem Photo sahen einige Frauen mehr oder weniger schnuckelig aus. Und jetzt? Schreibt mal eine Mail: "Hey Baby, ich sehe, dass Du in der Nähe bist und französische Filme magst. Lass uns doch in Coco Channel Story gehen und danach vernasche ich Dich wie in Chockolat"? Reichen oberflächliche gemeinsame Interessen und lokale Nähe aus, um eine Bekanntschaft zu machen? Haben die Schüchternen unter uns endlich ein Thema, um andere Menschen anzuquatschen? Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort habe und deswegen den Nutzen des Dienstes nicht abschätzen kann.

9. Second Life war der Hype vor zwei Jahren. Eine ganz gut gemachte 3D-Welt im Internet in der es kaum Begrenzungen gibt und alle Gegenstände, Figuren, Gelände und Gebäude von den Bewohnern erstellt werden. Nachdem die Journalisten einander im Second Life interviewt haben und Politiker in den SL-Chats Frage und Antwort feuerspeienden Drachen und halbnackten Kriegern geben mussten und dabei von Himmel fallenden Penissen ausweichten, wurde es sehr still um das Vorzeigeprojekt von Web2.0. Doch die Community ist da und äusserst aktiv. Sehr beeindruckend ist z.B. die München-Parzelle, deren Bewohner mit Photo-Kameras ausgestattet die ganze Münchener Innenstadt abfotografiert und in SL nachgebaut haben, inklusive der fahrenden S-Bahn. Man kann Mitglied von verschiedenen Communities werden und mehr oder weniger aktiv am Leben dieser Communities teilnehmen.

10. YouTube ist der populärste Videodienst, bei dem man sich anmelden muss, um seine Videos hochladen zu können. Es gibt zwei Arten von Community-Beteiligung, die absolut (nein, nicht größtenteils, sondern absolut) idiotischen Kommentare zu Videos und Videoantworten, die (sofern sie selbstgemacht sind) größtenteils sehr kreativ oder passend sind. Anstatt "sag es mit Blumen", heisst es hier "sag es mit Videoclip". Youtube ist derartiger Standard für Internetvideos, dass viele einfache Videoschnittprogramme inziwschen einen direkten Upload auf Youtube erlauben. Endlich haben Kurzfilmer eine Plattform, um ihre Werke der Öffentlichkeit abseits von Filmfestivalen vorstellen zu können. Second Life, Blogger und YouTube sind die Plattformen bei denen die Kreativität der Benutzer am ehesten zum Ausdruck kommen kann.

11. Facebookist ein welweit wohl am schnellsten wachsendes soziales Netzwerk. Ich habe mich lange dagegen gestreubt Mitglied von Facebook zu werden, mich hat die Grosskotzigkeit vom Mark Zuckerberg, dem Gründer von Facebook gestört, der von Medien als Wunderkind alá Bill Gates-Reinkarnation gefeiert wird, die Milliarden, die von Microsoft und anderen Firmen investiert werden, ohne dass es klar ist, wie sie jemals wieder auf ihre Kosten kommen, auch die Forderung, mich anzumelden, wenn mir ein Facebook-Mitglied Fotos geschickt hat und ich sie mir anschauen wollte. Irgendwann kamen so viele Einladungen, dass ich in einem schwachen Augenblick nicht mehr nein sagen konnte und mich doch angemeldet habe. Zuerst wurde mir eine Liste von Leuten präsentiert, die ich kennen könnte und ich konnte über die Treffsicherheit nur Staunen, die meisten Anzeigen waren richtig (eat this Stayfriend). Die Frage ist woher Facebook das weiss, die Leute auf der Liste hatten nichts miteinander zu tun. Dann war ich angemeldet, hatte meine Freunde in der Liste und wusste nicht, was ich jetzt weiter machen soll. Dieselbe Leute habe ich schon längst im XING oder in ICQ kontaktiert, lange Texte zu schreiben kann ich nicht, was geht sind nur kürzere Messages an Freunde oder Gruppe von Freunden, in denen ich mitteilen kan, was ich gerade mache. Aber wenn interessiert das eigentlich ausser ausgewiesene Voyeure? Bei Livejournal kann ich auch Musik angeben, die ich gerade höre und in welcher Stimmung ich gerade bin, aber das ist eine Ergänzung für die eigentliche Nachticht, aber keine Nachricht an sich. Dementsprechend trivial sind die Statusanzeigen der Freunde, also aka-aki auf einem grossen Bildschirm. Zusammen wird es eine perfekte Symbiose. Mit einem Wort, einer hier ist blöd, entweder ich, oder Facebook, aber ich sehe den Sinn dieses Dienstes nicht. Ach ja, der Layout ist hässlich.

Genausowenig übrigens wie den Sinn von MySpace (ausser den Promotionmöglchkeiten von Bands) und Twitter. Studi-VZ, Lokalisten und Wer-kennt-Wen habe ich nicht ausprobiert, denn mein Mitteilungs- und Kontaktbedürfnis hat auch gewisse Grenzen und ich sehe nicht den Sinn ein- und dieselbe Personen auf x-Netzwerken zu kontakieren.

Was mir persönlich Unbehagen bereitet, ist der Versuch von Google Schnittstellen zwischen den Diensten zu etablieren und das Wissen über die Mitglieder austauschen. Bisher war die Abschottung ganz gut, die kreativen Seiten waren durch Verwendung von Pseudonymen gut getrennt von Seiten, die den Realnamen erfordern, die auch nicht miteinaner verknüpft waren. Das könnte bald vorbei sein, dann fügt sich das Puzzle zusammen und es wird das Versprechen eingelöst, das die Personensuchmaschinen wie www.yasni.de oder www.123people.de geben, aber nicht erfüllen können, nämlich zweifelsfreie Verknüpfung aller Daten aus allen zur Verfügung stehender Quellen zu einem Gesamtbild.

Was sage ich den Leuten, die kein soziales Netzwerk benutzen, weil sie ihre Daten nicht weitergeben wollen und mir vorwerfen exibitionistisch veranlagt zu sein? Die Gesellschaft fängt gerade an zu begreifen und abzuschätzen, was für Nutzen oder Gefahren die neuen Möglichkeiten mit der Preisgabe der persönlichen Daten sich bieten. Wir sind auf jeden Fall offener, als in den 80er Jahren, als es riesige Proteste gegen die Volkszählung gab. Doch erzählt man sich hinter vorgehaltenen Hand Geschichten was diese Offenheiten bedeuten kann und wie sie missbraucht wird. Klassisch ist die Geschichte von Personalabteilungen, die jeden Bewerber erstmal in Google suchen und schauen, was interessantes über ihn zu erfahren gibt. Und es soll welche gegeben haben, die den nervösen Bewerber auf seine Party- und Strandfotos angesprochen haben sollen. Oder es gab Versuch eines Skandals, als die Photos vom jetzigen Generaldirektor des britischen Geheimdienstes MI6 in Schwimmhosen auf der Facebook-Seite seiner Frau aufgetaucht sind. Doch die Reaktion seines Vorgesetzten war die einzig richtige: "Es ist kein Staatsgeheimnis, dass er eine Speedo-Badehose trägt", sagte der britische Außenminister David Miliband. "Lasst uns endlich erwachsen werden."

Montag, 20. Juli 2009

Das kleine Kopenhagen-ABC

Nach letztjährigen Geburtstagsfeier in Amsterdam habe ich dieses Jahr in Kopenhagen mein Geburtstag gefeiert. Da ich nur knapp 4 Tage dort verbracht habe, gab es nicht genügend Eindrücke für ein vollständiges ABC, deswegen mal ein kleines:

Alkohol: Wie zeigt man in Dänemark, dass man ein reicher Sack ist? Man wird zum Alkoholiker.

Christiania: Ist ein Stadtviertel von Kopenhagen, das sich als ein Gebiet ausserhalb der EU begreift. 1971 besetzten ein paar Hippies ein ehemaliges Militärgelände in der Nähe von Kopenhagen und handelten mit dem Verteidigungsministerium ein Deal aus, dass sie die Pflege der Gebäude aus dem 19. Jh übernehmen, die auf dem Gelände stehen und dafür dort frei wohnen können. Dem Verteidigungsministerium war das Recht und so entstand ein wohl in Europa einzigartiges Zentrum an alternativen Kultur, dass sich nicht nur dadurch ausdrückt, dass man frei Haschisch verkaufen kann, sondern auch im Verhältnis zum Eigentum, gemeinsame Arbeitseinsätze zur Pflege des Stadtviertels, gemeinschaftlich gefällte Beschlüsse, eigenen Begriff von Recht und Ordnung, also eine autonome Republik inmitten der Wogen von liberalen Neokonservatismus, wie er in Dänemark von der heutigen Regierung gepflegt wird. Natürlich ist der jetzigen Regierung Christiania ein Dorn im Auge, also übergab man das Gelände 2004 an das Finanzministerium, das ganz andere Pläne hat. Zur Zeit wird vor Gerichten gestritten, aber die Althippies können trotz ihrer Peace & Flower Power Attitüde auf eine Armee aus Sympathisanten zurückgreifen, die nicht so friedlich eingestellt sind, was die Krawallen vor zwei Jahr bei der Schliessung eines Jugendhauses bewiesen haben. Doch ohne den Teufel auf die Wand malen zu wollen, es wäre extrem schade, wenn so ein Experiment wegen der Geldgier und Intoleranz der jetzigen Regierung abgeschafft würde.



Christiania von oben



Willkommen nach Christiania

Design: Auch wenn man über Dänemark und Kopenhagen nichts weiss, man kennt bestimmt dänische Design-Firmen, die sündhaft-teure, gut aussehende und nicht immer praktische Produkte (siehe MP3-Player von Bang&Olufsen) herstellen. Was in Finnland Nokia ist, das ist in Dänemark ihr Design, ein Differentiator sozusagen, die Nische, das Erkennungsmerkmal. Durchdesigned ist alles, vom Hotel, bis zum Flohmarkt. Grosse Designer-Shops in der Fussgängerzone verleiten zum Geldausgeben für Sachen, die man entweder schon in der Küche stehen hat, oder noch nie gebraucht hat und wahrscheinlich nie wieder brauchen wird. Es ist ein bisschen wie bei IKEA auf den letzten Metern, wo allerlei Kleinigkeiten verkauft werden mit dem Unterschied, dass hier auch Kleinigkeiten eine Kleinigkeit an Geld kosten.

Fähnchen: Bevor man in einem dänischen Park sich zum Picknicken hinsetzt, wird der Claim mit dänischen Fähnchen abgesteckt.

Geld: Das lustigste Geld, dass ich jemals ausgegeben habe. Viele Münzen haben einen Loch in der Mitte und sind vom Design her durchaus geeignet als Halskette getragen zu werden. Die Banknoten sind auch mit allerlei lustigem Getier verziehrt. Allein wegen dem Geld sollten Dänen ihre Krone behalten.

Hackenkreuze: Ist ein normales Element der dänischen Architektur, ist bei den Elefanten im Tor der Carlsberg-Brauerei auf der Seite zu finden, ebenso an der Aussenwand der Glyptothek. Wahrscheinlich ist es wie bei der Bundeswehr, als sie sich nicht ihren Georgen-Kreuz hat wegnehmen lassen, obwohl es im 3. Reich auch ein Symbol missbraucht wurde.

Hitze: Wir haben wohl zwei heisseste Tage im Jahr, wenn nicht im Jahrzehnt erwischt. De Temperaturanzeige konnte nicht mehr als 30 Grad anzeigen. Viele dänische Frauen boten ungeahnte Ansichten, als sie trotz kürzesten Miniröcke nicht davon abzubringen waren, mit dem Fahrrad zu fahren.



Meine Stadt hat Fieber

Hot Dog: Die dänische Nationalspeise. Häufig ist die Wurst dicker als das Brötchen, davon muss man sich nicht entmutigen lassen.

Kanäle: Ganz Kopenhagen ist von Kanälen durchzogen, in die man springen kann, auch von der Brücke, wenn es einem danach ist, um sich abzukühlen





Blick auf die Kanäle

Kleine Meerjungfrau: Harrt tapfer den gierigen Blicken der asiatischen Photografen aus und denkt mit Grausen, wie es ihr wohl in Schanghai ergehen wird, wohin sie nächstes Jahr transportiert wird

Lego: Kommt zwar aus Dänemark, habe ich kein einzigen Laden gesehen, obwohl Kinderläden auf Schritt und Tritt waren. Vielleicht ist Lego nicht durchdesignt genug, man kann immer noch was daran ändern.

Margarete: Die dänische Königin stammt von der ältesten Königsdynastie in Europa ab. Nachdem die Eltern mal keinen Sohn bekommen haben, den sie Christian oder Frederik nennen konnten, war Margarete eine Remissenz an die wohl berühmteste dänische Königin Margarete, die es einst geschafft hat ganz Skandinavien unter sich zu vereinen. Leider ist die jetzige Margarete dieser Aufgabe nicht gewachsen, auch ihre Kinder denken nicht daran eheliche Bündnisse mit anderen skandinavischen Königshäusern anzugehen, stattdessen werden lieber ehemalige Strassenmädchen, Ranch-Besitzerinnen und (oh Graus, Viktoria, wie konntest Du nur) Fitness-Trainer geehelicht. So bleibt der jetzigen Margarete die Pflicht die Familiengeschichte in den beiden Königsschlössern zu erhalten. Jeder der zahlreichen Frederiks und Christians hat ein eigenes Arbeitszimmer übriggelassen, das in Originalunordnung gelassen wurde, so dass man eine Vorstellung hat, wie so ein Arbeitstag von einem König aussieht. Wenn mal weniger zu tun ist, kann der König ein Besuch in die Schatzkammer abstatten, wo eine Weinsammlung aus dem 17.Jahrhundert auf ihn wartet.

Malmö: Wenn man über die Öresund-Brücke fährt, ist man in Schweden, in Malmö. Zu Malmö, zu Stockholm und zu Schweden stelle ich immer eine Frage: Womit beschäftigen die Schweden sich eigentlich? Alkohol und Rauchen sind teuer, Restaurants nicht billig, an jeder Bar und Disko steht ein bulliger Türsteher, der nur über 23-jährige reinlässt, für stürmische Politiker sind die Schweden nicht bekannt, Prostitution ist verboten, die Winter sind lang... Also bleiben nur Sport und Mainstream-Lieder trällern, wobei seit ABBA (ABBA ist die grosse Ausnahme) alles nur Kopien von englischen Bands sind, musikalisch ganz gut, aber eben nichts originelles. Verständlich, dass viele Auslandsstudenten-Schweden in Mannheim eigentlich nur im besoffenen Zustand, mit Snuss zwischen den Zähnen, mit einem hübschen Mädel in einem Arm und einer Bierflasche im anderen Arm anzutreffen waren. Zu Hause werden dann Fotos von vollen Bierpaletten gezeigt, so was kennt man in Schweden gar nicht.



Wohnen in Malmö



Schöner Kinderspielplatz in Malmö

Springbrunnen: Überall in der Stadt gibt es lustige Springbrunnen mit allerlei Getier



Springbrunnen in der Fussgängerzone

Teuer: Laut der neusten Untersuchung ist Dänemark das teuerste Land unter den EU-Ländern und das kann ich nur bestätigen. Wie es aussieht, muss die dänische Wirtschaft brummen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Dänemark abgewertet hat im Gegensatz zu Schweden. Zum Geburtstag haben wir mit 2 Dosen Cidre angestossen, 10 Euro für Glas Wein will man einfach nicht ausgeben. Früher war ich dem naiven Glauben verfallen, dass Schweden und Norvegen nach Dänemark fahren, um zu saufen und Spass zu haben, jetzt ist es eher umgekehrt. Die Hotelpreise waren OK, wenn man berücksichtigt, dass es unangekündigt Halbpension war.

Tivoli: Ist ein Freizeitpark inmitten der Stadt, quasi die Hauptattraktion. Ist ständig brechend voll, man kriegt auch was geboten, wenn man nicht nur Achterbahn & Co fahren möchte. Feuerwerk wurde leider eingespart und die Lasershow fängt um 00:30 an und nicht um 23:45, wie es einem weissgemacht wird.



Biergarten in Tivoli, ich will gar nicht wissen, was hier eine Mass kostet



Chinesischer Garten in Tivoli

Wachwechsel: Gibt es bei den Königsschlössern. Jeder Engländer oder Russen fällt vor Lachen um, denn das einzige was die dänischen Wachposten beim Wechsel nicht machen, ist ein High Five. Sonst marschiert (schlappt) man mit einem Wasserglas, unterhält sich über das Wetter und gähnt vor sich hin. Eine lockere Mannschaft sozusagen.

Züge: Sind öfters mal kaputt, wenn sie nicht kaputt sind, schwimmen sie mit auf der Fähre und gehen dann kaputt. Und wenn sie mal kaputt sind, dauert es ca. 2 Stunden bis ein nicht kaputter Ersatzzug angefahren kommt. Da muss man beten, dass er früher da ist, als er auch kaputt geht.

Sonntag, 19. April 2009

Ein paar Notizen über Moskau

nach vier Jahren war ich 10 Tage geschäftlich in Moskau und obwohl ich zuerst gedacht habe, dass ich kaum was darüber schreiben kann (war recht stressige Zeit), kamen doch ein paar Fotos und Erlebnisse zusammen, die ich aufschreiben möchte.

1. Entgegen allen Befürchtungen hat ein Aeroflot-Flug durchaus seine Reize. Wenn man die geistige Reife hat, das Essen einfach abzulehnen, dann kann man sehr interessante Leute kennenlernen. Auf dem Hinflug sass ich neben einem 14-jährigen Jungen, dessen Eltern wohl reiche Russen waren, die auf Rubljowka hausen und in Moskwa-City ein Büro haben. Aus irgendeinem Grund wollte er wissen, ob ich katholisch wäre und erzählte mir über die Moskauer Metro wo Goths und Emos rumlaufen und Skins auf die Dagestaner eindreschen (habe nichts davon gesehen). Auf dem Rückflug flog ich mit der russischen Eishockeymannschaft, jeder von denen war in den Sportteil einer Zeitung vertieft, ich habe mich nicht getraut nach einem Autogram zu fragen. Vor der Einreise nach Russland, muss man ein Immigrationsschein ausfüllen. Den gibt es an einem grauen, durch nichts gekennzeichneten Tisch, der unscheinbar in der Ecke steht.

2. Moskau und St.Petersburg sind Antipode in jeder Hinsicht. Moskau als Stadt mit langer Geschichte, tief in Russland, chaotisch gewachsen, kaum als Aushängeschild für den Westen gedacht und St.Petersburg, am Reisbrett entworfen, an der Ostsee, also am Rand des russischen Imperiums gelegen, mit westlicher Architektur und kaum Traditionen. Sowenig die Einwohner der beiden Städte sich mögen, so unterschiedlich präsentieren sich die Städte für die Touristen. Während der gemeine Tourist in St.Petersburg Tage nur an dem Nevski Prospekt und der Neva verbringen kann und sich die Prachtbauten anschauen, ohne viel den Reiseführer durchlesen zu müssen, ist es in Moskau ganz anders. Die Tourizeitschrift listet genau vier Sehenswürdigkeiten auf: Kreml, Alexandergärten im Kreml, die Einkaufsmeile Arbat (wobei ich mich ernsthaft frage, was denn daran sehenswürdiges ist) und die Gemäldegalerie Tretjakowskaja. Das wars. Für alles andere braucht der gemeine Touri Spezialkenntnisse, die er in Spezialreiseführern nachlesen kann, ausserdem muss er sich darauf gefasst machen, viele Kilometer unter der Erde von einem Metrobahnhof zum anderen zurückzulegen, denn kaum etwas ist in Moskau in Fussmarschnähe.







Moskau, wie man es aus dem Fernsehen kennt.

3. Wenn man denkt, dass man Bekannte in Moskau hat, die einem was zeigen können, irrt man sich gewaltig. Bestenfalls zeigt man einem ein paar Kneipen mit solchen Namen wie Der letzte Tropfen oder Porutchnik Rzhevskij (der Held vieler nicht jugendfreien Witze), und eine Aussicht von den Vorobjevy-Hügeln auf Moskau. Ausserdem bekommt man gesagt, dass man im Sommer wiederkommen soll, im Winter ist es zu kalt für die Parks und für die Ausflüge ausserhalb der Stadt.

4. Doch mit einem Spezialreiseführer bekommt man Tips für interessante Museen, die man unbedingt besuchen sollte. Das GULAG-Museum in der Nähe des Innenministeriums und KGB-Gebäudes vermittelt viel besser den Schrecken der Stalin-Zeit, der Repressionen, der Erschiessungen und der Arbeitslager, als es das Okkupationsmuseum in Tallinn jemals vermochte. Am meisten begeisterte mich das Majakowski-Museum (für diejenigen, die es nicht wissen, Majakowski war ein Dichter, der sich ganz in den Dienst der Revolution gestellt hat und nebenbei als Erfinder der postmodernistischen Dichtung gilt). Noch nie habe ich gesehen, dass ein Museum so sehr die Gedankenwelt der Person abbildet, der es gewidmet ist. Das gesamte Museum ist ein postmodernistisches Kunstwerk an sich, es gibt keine gerade Wand, alles ist gebogen, steht in verschiedenen Winkeln zum Betrachter, überladene Symbolik, die man vermutlich auch nach vielen Besuchen nicht komplett erfassen und verstehen kann. Jeder Raum ist einem anderen Lebensabschnitt des Dichters gewidmet, ist in einer anderen Farbe gehalten und offenbart dem Betrachter viel mehr über die Denkweise und den Geist Majakowskis, als alle trockenen Fakten über sein Leben und sein Schaffen zusammen. Unbedingt hingehen und anschauen, auch wenn man Majakowski gar nicht kennt.

5. Eine Geschmacksache ist ein Museum (wobei ich es eher ein atomares Disneyland getauft habe), der sich in einem ehemaligen atomsicheren Bunker befindet, wo früher die Kommandozentrale der Streitkräfte sich befunden hat. In einer unscheinbaren Einfahrt wird man von einem uniformierten Führer begrüßt, bekommt ein Ausweis mit persönlichen Foto und darf 18 Stockwerke runtergehen. Dort bekommt man ein propagandistisches Film vorgeführt mit ein bisschen Geschichte über den Kalten Krieg, vielen Atompilzen unterlegt mit Vivaldi und der Feststellung, dass Gorbatschjev, der Mistkerl, den Kalten Krieg verloren hat (kurzer Blickaustausch mit paar Amis unter den Besuchern). Danach darf man sich mit Kalaschnikov und Gasmaske fotografieren lassen, den Platz des Kommandeurs einnehmen, am Kurbel des Feldtelefons drehen... Irgendwann geht das Licht aus, Sirenengeheule, rotes Blinklicht und eine ernste Stimme sagt, dass der Gegner atomaren Erstschlag ausgeführt hat, ganz Moskau ist radioaktiv verseucht und man bereitet eine entsprechende Antwort vor. Wer's mag.



Warten auf den Erstschlag



Wie die Reaktion wohl aussehen wird?

6. Sehr zu empfehlen sind Moskauer Buchläden. Es gibt den Dom Knigi (Haus des Buches) und viele andere sehr gut sortierte Geschäfte, für die man mehrere Stunden einplanen muss. Bevor man die Gesamtausgabe der Werke eines Schriftstellers kauft, sollte man sich vorher überlegen, wieviel Platz und Gewicht im Koffer noch übriggeblieben ist.

7. Wer sich für moderne Kunst interessiert, dem sind alte Fabrikhallen empfohlen, wo neue Galerien entstehen. In den ehemaligen Hallen der Konfektfabrik "Der Rote Oktober" gegenüber von Kreml auf der anderen Seite des Flusses findet man mehrere Galerien und auch in der ehemaligen Weinfabrik kocht das künstlerische Treiben mit Ausstellungen von ausländischen und russischen Künstlern. Die Qualität der Ausstellungen ist nicht überall hoch (selbst wenn dort Eintrittspreise verlangt werden), aber einige Perlen finden sich durchaus.



Kreativitätswerkstatt für Kinder auf dem Gelände von Weinfabrik



Ein Gebäude der Weinfabrik

8. Was Eintrittspreise und sonstige Kosten angeht, von dem Status der teuersten Stadt der Welt ist Moskau erheblich abgekommen. Moskau ist nicht billig, aber für einen Eurozoner durchaus zu leisten. Die Moskauer schimpfen natürlich, dass alles für sie teuerer geworden ist und interessieren sich sehr, wie Europa mit der Wirtschaftskrise zurechtkommt. Jubel kommt auf, wenn ich über die Abwrackprämie erzähle. Es wird auch über die eigene Regierung geschimpft, die nichts anderes tue, als kanninschen-vor-der-schlange-artig auf den Stabilitätsfond zu schauen, ob er bis zum Ende der Krise ausreicht oder nicht. Meine persönliche Meinung zu dem Thema ist, dass es durchaus gut war, den Rubel abzuwerten, damit eigene Produktion angekurbelt wird, denn es kann nicht sein, dass ein Land wie Russland sich nicht selbst versorgen kann und vieles importieren muss.

9. Eine der größten Zeitvertreibs eines Moskauers mit Auto ist es im Stau zu stehen. Inzwischen hat man sich mit der Lage abgefunden und versucht die verlorene Zeit möglichst angenehm zu gestalten. Nur in Moskau habe ich Fernseher für den Fahrer gesehen, mit eingebautem DVD-Player. Für eine Fahrt in die Stadtmitte muss man mindestens eineinhalb Stunden einplanen und am Ende bittet man doch den Fahrer zu der nächsten Metro-Station zu fahren. Eine eigene Geschichte sind die Parkplätze. Riesige 20-stöckige Plattenbauten, die in wenigen Monaten aus dem Boden gestampft werden, haben keine Parkplätze vorgesehen, weil der Grund so teuer ist. Selbst für den Business-Zenter Moskwa-City, wo Leute arbeiten, die eher ein grosses Auto haben, sind zu wenige Parkplätze vorgesehen. Habe meinem Taxi-Fahrer empfohlen auf Hubschrauberpilot umzuschulen, ein sicherer Job für die Zukunft.







Moskwa-City, das Business-Herz Moskaus

10. Russisches Fernsehen hat ein Niveau erreicht, wo selbst deutsches Unterschichtsfernsehen weit drüber steht. In einer Reality-TV Show werden in der Privatwohnung von Privatdetektiven Kameras installiert, um den Ehepartner in flagranti zu erwischen, anschliessend stürmt der/die Betrogene rein und verhaut den Ehebrecher/in. Alles wird gefilmt und gezeigt. In der anderen Sendung namens "Nackig und Lustig" wird in der Öffentlichkeit gestrippt und die Reaktion der meist männlichen Passanten gezeigt. Sehr lustig, gäähn. Andererseits werden schon Filme im Free-TV gezeigt, die im deutschen Kino gerade mal angelaufen sind.

11. Alle Russen sind Rassisten. Mehr ist dem wenig hinzuzufügen. Angefangen von einfachen Moskauer, der mich in Metro vollgeschwätzt hat, bis zu gebildeten Leuten in hohen Positionen, alle sprechen von Überfremdung, von Horden von Kaukasiern und Tataren, die Moskau überschwemmen, wie gefährlich es nachts auf der Strasse geworden ist, dass man was unternehmen müsse, dass die Fremden zu zehnt sich die Wohnung teilen und entweder am meisten Geld haben, oder mit so wenig Lohn sich zufriedengeben, dass ein angestammter Moskauer da nicht konkurrenzfähig ist, usw, usf. Die meisten Kaukasier habe ich auf der Baustelle von Moskwa-City gesehen, wie sie in Barracken hausen und sofort von der Polizei kontrolliert werden, sobald sie sich der Metro-Station nähern.



Ob ohne Ausländer das Hochhaus jemals fertiggestellt wird?

12. Eigentlich ist Moskau ein gewaltiger Moloch, den viele verlassen möchten, doch kaum jemand kann den Absprung schaffen und wieder in die russische Provinz zurückkehren. Ja, Moskauer Luft ist dreckig, Moskaus Strassen gefährlich, die Wohnungen teuer, viele Millionen (wieviele Millionen weiss keiner so genau) teilen sich recht wenig Platz, verstopfen die Strassen, drängen sich in die Metro. Doch nur in Moskau ist das grosse Geld, gibt es Niederlassungen aller ausländischen Firmen, die in Russland investieren, ist die Regierung am nächsten und alle wichtigsten Leute erreichbar. Moskau ist und bleibt das Herz Russlands.

Montag, 26. Januar 2009

Das Malta-ABC

A - Arabisch: Es ist ein von der Werbung für die Englisch-Sprachschulen eingeimpftes Vorurteil, dass auf Malta alle Einwohner native Englisch-Speaker wären, oder die Sprache zumindest gut beherrschen würden. Die nackte Wahrheit ist, dass nur für 30% der Malteser Englisch die Muttersprache ist, für den Rest ist es Maltesisch, eine schwer erlernbare Sprache mit arabischen (aber auch italienischen, phönizischen und anderen) Wurzeln, die für die Aussenstehenden kaum zu verstehen ist. Angeblich ist es die einzige arabische Sprache, die mit lateinischem Alphabet auskommt. Das bedeutet, dass 70% der Malteser die zweite Staatssprache Englisch zwar sprechen, aber von Oxford oder Cambridge-Aussprache weit entfernt sind.

B - Bevölkerung: Quasi die ganze Zeit ist Malta von irgendjemandem besetzt, von Johannitern, von Franzosen, von Engländern, von Touristen. Gelegentlich wird in Geschichtsbüchern auch von der einheimischen Bevölkerung gesprochen, die es auch gibt, die aber nie viel zu sagen hatte. Die ganze Geschichte Maltas war immer fremdbestimmt, alle Kriege aus höheren, strategisch wichtigen Gründen geführt, alle Festungen nicht zum Schutz der Insel, sondern zum Schutz Europas gebaut. Die Insulaner haben sich eingewöhnt nur die Dinge von den Besatzern zu übernehmen, die ihnen gepasst haben (englische Party-Kultur, aber nicht die Religion oder Kochkünste) und hielten sich sonst aus der Politik raus. Nur in einem Akt der Verzweiflung, als die Engländer sich ernsthaft gefragt haben, was sie mit der Insel eigentlich sollen, hat Malta sich für die Unabhängigkeit entschieden, um gleich Chinesen, Libyer und Sowjets zu fragen, ob sie sie übernehmen möchten. Nachdem diese Staaten dankend abgelehnt haben, war die EU der rettender Anker mit den Massen an Touristen, die auch eigene Unsitten einführen möchten (bspw. Nacktbaden am 1.Januar), die jedoch auch nicht übernommen werden.







Busse: Eine Attraktion auf Malta sind die uralte (aber sehr gut instandgehaltene) Busse, die auf holprigsten Strassen einen sehr günstig (47 Cent für die Zone, die die halbe Insel umfasst) überall hinbringen. Ein Problem ist, dass alle Busse in Valetta starten und auch enden, so dass man ein Dorf, dass 2km mit anderen über eine Querstrasse verbunden ist, mit dem Bus nur erreicht, indem man nach Valetta fährt und wieder zurück.







C - Cribs (engl. Krippe): Überall stehen während der Weihnachtszeit Krippen rum. Manchmal sind es spezielle Fenster in Häusern, manchmal nur im Profil (Schattenkrippe) auf der Strasse, manchmal gibt es auch Variationen, wie Darstellung einer Kneipe in der St.John Cathedral (zentrale Kirche des Landes), die wie im erläuternden Text daneben steht, mit der Weihnachtsgeschichte nichts zu tun hat.

D - Deutsche: haben die Insel nie richtig besetzt (wobei es viele Deutsche unter den Johannitern und Touristen gibt, so dass man von einer teilweisen Okkupation sprechen kann). Während des zweiten Weltkrieges verdienten sich die Insulaner einen St.George-Orden, weil sie der heftigen Bombardierung durch die Deutschen standgehalten haben, den sie jetzt stolz in ihrer Fahne führen.

E - England: Aus der englischen Besatzungszeit wurde folgendes übernommen: Binge-Drinking während des New Year Eve, breite Gürtel als Röcke auch wenn es sehr unvorteilhaft aussieht, Schuluniformen, Klamotten-Läden, Frühstück-Menü, Krankenversicherung, Immobilienblase, Gedudel, Linksverkehr, einsamer Marks & Spencers in Valetta.

F - Feuerwerk: kein, zumindest nicht während des New Year Eve. Angeblich im Sommer, um die zahlreichen Heiligen zu feiern. Das bombastische Feuerwerk 2004, als Teil der Beitrittsfeier zu EU, war ein perfide Touristenfalle für die nachfolgende Silvstertouristen, in die wir auch reingetappt sind.

G - Gedudel: Auf der Republic-Street, also auf der Hauptstrasse sind auf jeder Strassenlaterne Lautsprecher angebracht, die den ganzen Tag schlimmstes englisch-sprachiges Gedudel produzieren. Die Insulaner scheinen es zu mögen, zumindest haben die Fischer ihre kleine Kassettenrekorder dabei aus denen das gleiche Gedudel tönt und im Hotel werden im Speisesaal englische, französische und bayerische Weihnachtslieder hoch- und runtergedudelt.

H - Hasen: Die einzigen Fleischlieferanten auf der Insel. Da jeder Tourist unbedingt was landspezifisches probieren möchte, muss jedes Restaurant eine Hasenspeise in der Menüauswahl haben. Da es gar nicht möglich ist, dass so viele Hasen auf die kleine Insel passen, um alle hungrigen Touristen zufriedenzustellen, wurden wahrscheinlich harte Regelungen eingeführt, um einen Mindestbesand an Hasen zu bewahren. Die Quote besteht wohl aus einem Hasen pro Tag für die ganze Insel, deswegen wird jedes Fleischfetzen verwendet, es gibt Spagetti mit Hasensauce, Tortellini mit Hasenfüllung, Hasenstew, aber nirgends einen Hasen am Stück, so dass die ursprüngliche Form noch geblieben ist. Dasselbe gilt für die armen Ziegen von der Nachbarinsel, aus deren Milch berühmtes Ziegenkäse produziert wird. Schätze, es werden Vakuumpumpen benutzt, um den letzten Tropfen Milch auszusaugen.

I - Islam: Früher von Johannitern aufs heftigste bekämpft, heute reicht es zu einer Palästinenserdemo gegen den Krieg im Gaza-Streifen. Es gibt auch eine Moschee, die von Libyern gespendet wurde, wäre sie nicht angenommen worden, hätten die Malteser heute Energieprobleme.

J - Johanniter: Nachdem sie aus Jerusalem vertrieben worden waren und nicht im kalten Schloss zu Hause leben wollten, bot der spanische König den Johannitern Malta an. Nach dem anfänglichen Entsetzen über den Mangel an Bespassungsmöglichkeiten (da die Engländer noch nicht da waren, gab es kein Binge-Drinking und keine Gürtel-Röcke), änderte sich die Sachlage grundlegend, als die Türken in Europa einfallen wollten und Malta ihnen im Weg stand. Es began die erste grosse Belagerung durch die überlegene türkische Flotte und blutrünstige Janitscharen. Doch der Angriff wurde abgewehrt, Europa bedankte sich mit sackweise voll Geld, das zum Bau von noch mehr Festungen, der Stadt Valetta, Hospitälern und Kirchen verwendet werden konnte. Jeder Grossmeister badete in Erinnerung an dieses grossartige Sieg und stellte sich als der größte Kriegsherr aller Zeiten dar (was etwas peinlich ist, wenn in der Heraldik Birnen das herausragende Element darstellen). Wie auch immer, die grosse Zeit der Johanniter endete schlagartig, als Napoleon, der leider Gottes getauft war, sich der Insel bemächtigte. Denn der Kampf gegen Christen war Johannitern verboten.



K - Kirchen: ja, viele. An Weihnachten werden die Innenwände von mit purpurnen Stoffen überzogen. Sehr interessant sind auch die farbenfrohen marmornen Grabplatten, die die Kirchenböden verzieren.





Katakomben - Recht gruselige unterirdische Gänge gebaut zu Frühzeiten des Christentums in Rabatt. Viele Gänge sind verschüttet, in vielen Gräben liegen noch Skelette. Angeblich wurden Gräber nur innerhalb eines Tages angelegt, was schwer vorstellbar erscheint, angesichts der Größe der Gänge und der Gräber selbst. Doch die unterschiedliche Größe der aus dem Stein gehauenen Gräber beweist, dass hier auf Bestellung gearbeitet wurde.

Kinnie - Die Nationallimonade. Schmeckt wie mit Mineralwasser verdünnter Jägermeister, aber alkoholfrei. Nach einigem Schnuttenziehen doch recht geniessbar. Den Gaststättenschildern nach zu urteilen, viel beliebter als jedes Bier.

L - Lada: Das erste Mal, dass ich eine Lada mit der Lenkung auf der rechten Seite gesehen habe.

M - Malteser Falken: 1) Bezahlung der Johanniter an den spanischen König für die Nutzung der Insel, es ist mir schleierhaft, wo sie ihn hergenommen haben. 2) Ein Kultfilm mit Humphrey Bogard, der auf Malta spielt (noch nicht gesehen). Hat eine Menge von Filmemachern auf die Insel gelockt, die alle möglichen Sandalenfilme hier gedreht haben (Gladiator, Troja)



Medina: Frühere Hauptstadt, jetzt fast komplett verlassen, da einen ganzen Palast zu bewohnen und zu unterhalten, nicht jedermanns Sache ist.

N - New Year Eve: kein Feuerwerk, keine Knaller, keine Leute auf den Strassen. Bis zuletzt wurde gehofft, dass das Kreuzschiff Aida für Party sorgen wird, doch selbst das wurde den enttäuschten Touristen nicht gegönnt. Ein paar anliegende Schiffe hatten Mitleid und tüteten ein paar Mal.



O - Orangenbäume: Wunderbare Möglichkeit mal eine natürlich gereifte Orange vom Baum abzureissen und in den Mund zu stopfen. Vorsicht: Eine natürlich gereifte Orange hat mehr von Fanta-Geschmack, also komplett süß, als eine Orange aus dem deutschen Supermarkt

P - Präsident: Trockener Kommentar unserer Fremdenführerin zu der Fahne am Präsidentenpalast: Ist der Lappen oben, ist der Lumpen drinnen

Q -

R - Rabatt: Die lebende Stadt neben Medina. Berühmt für die Katakomben und eine tolle Bäckerei mit gebackenen Anis-Mohn-Ringen und anderen süßen Backerzeugnissen

S - Strassen: Holprig wie eh und je, die EU-Mitgliedschaft hat hier noch nicht die gewünschte Wirkung entfaltet, nur der Strassenstreifen vom Flughafen in die Stadt ist einigermassen eben, aber nicht der Streifen zurück.

T - Touristen: Sind zu jeder Jahreszeit und an jedem Fleckchen der Insel anzutreffen. Werden mit stoischer Gleichgültigkeit von der Bevölkerung behandelt und als notwendiges Übel akzeptiert.



U - Urbevölkerung: Es gab auch eine Urbevölkerung, die schon vor Ägyptern und Erbauern von Stonehenge beeindruckende Tempel und Frauenfiguren in Stein haute, Gebäude sogar mehrstöckig, was die heutige Bevölkerung praktischerweise übernommen hat.

V - Vögel: keine; nicht eine einzige Möwe, keine Ente, kein Storch. Im Reiseführer steht, dass es ein Volkssport ist, alles was fliegen kann, abzuschiessen (zum Glück keine Flugzeuge).







W - Weihnachtsbeleuchtung: Als Ergänzung zu dem Gedudel und den Krippen sind die Strassen mit vielfältiger Weihnachtsbeleuchtung vollgehängt.

X -



Y - Yachten: Wegen angeblich so günstigen Anlegegebühren überwintern in Maltas Häfen viele Yachten, die im Sommer normalerweise vor St.Tropez oder St.Petersburg cruisen.



Z - Zugebaut: Quasi die gesamte Nordküste und die Mitte der Insel sind eine einzige Stadt, die offiziell aus mehreren besteht, die aber fliessend ineinander übergehen. Malta hat mit die dichteste Bevölkerung in ganz EU und sie braucht nun mal Platz. Alles ist voll mit mehrstöckigen Gebäuden, andererseits stehen viele Gebäude leer, die innendrin komplett abgewohnt wurden, doch da sie aus massiven Stein bestehen, werden sie nicht abgerissen.