Samstag, 4. März 2017

Nowy rok Feier in Gdansk

Gdansk, oder für die, die es mit der politischen Korrektheit nicht so genau nehmen, Danzig, ist eine sehr schöne polnische Stadt an der Ostsee. Genauer gesagt, ist sie wieder schön gemacht worden, denn nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Stadt in Ruinen und nur durch die gewaltigen Anstrengungen der polnischen Restauratoren weht durch die Stadt das hanseatische Kaufmannsgefühl. Die Restauratoren sind weltberühmt geworden und haben ihre Hand auch in Tallinn und in Moskau angelegt, um diese Städte wieder künstlich zu veraltern. Ich war in Gdansk im Sommer auf einer Geschäftsreise, der nette Professor hat Zeit gefunden mir die Stadt kurz zu zeigen und der erste Eindruck war derart positiv, dass wir beschlossen haben, hier unser Silvester 2017 zu feiern und uns von den Strapazen des schrecklichen Jahres 2016 zu erholen.

Von Berlin aus sind es ohne Umstieg ca 5 1/2 Stunden nach Gdansk mit dem Zug. Auch die polnischen Bahnen wissen, wie man den Kunden zufrieden stellt, es gibt kostenlosen Tee und Kaffee, etwas was die deutsche Bahn noch lernen muss. Wir kommen am Gdańsk Główny, also dem Hauptbahnhof an und schleppen unsere Koffer zu dem Hotel an den Złota Brama (Langgasser Tor), dort wo die „Altstadt“ anfängt. Die Hauptstrasse ist Długa, dort befinden sich die meisten Sehenswürdigkeiten, dort werden auch männliche Touristen von Mädels mit weissen Regenschirmen angesprochen, ob sie in eine Striptease-Bar wollen, allerdings sehen die Mädels nicht gut genug aus, um irgendwelche Bedürfnisse zu wecken (zumindest nicht im nüchternen Zustand). Wir spazieren zum Fluss Stara Motlava (also die Alte Motlava), kehren ein und gehen müde zu Bett.

Tag 2: Auf der Długa-Strasse befindet sich das Upphagen-Haus. Der Danziger Kaufmann Johann Upphagen erwarb 1775 die Parzelle und liess das bestehende Haus zu seinem Familiensitz umbauen. 1909 wurde aus dem Haus ein Museum, 1945 wurde es weitgehend zerstört. 1951 wurde die Fassade wieder aufgebaut und erst in den 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde beschlossen, das komplette Haus wieder aufzubauen. Die Uphagens leben alle in Deutschland, hatten nach dem Krieg keinen Kontakt mehr untereinander und erst 1998 trafen sie sich zur Wiedereröffnung des Uphagen-Hauses in Gdansk.

Derlei deutsche Spuren findet man überall in Gdansk-Danzig, sei es schemenhaft angebrachte Schriften auf den Häusern entlang des Flusses, die auf ihre frühere Nutzung hinweisen (wobei sie natürlich nicht übermalt wurden, denn die Häuser wurden zerstört, man brachte nach dem Wiederaufbau die Schrift an, um zu zeigen, für was die Speicherhäuser gut waren), oder die deutschen Schriften in der Marienkirche.

Die Bevölkerung hingegen hat kaum Bezug zu Deutschland, während und nach dem Krieg flüchteten alle deutsch-stämmigen nach Deutschland und nach Gdansk wurden Polen aus den Gebieten hingebracht, die ukrainisch wurden. Man sieht auf den Strassen eher wenig Leute baltischen Typs, also hochgewachsen und blond, eher kleiner und schwarzhaarig. Und erst in der letzten Zeit fingen die jetzigen Bewohner der Stadt wirklich an, sich für die Vergangenheit der Stadt zu interessieren, unter anderem auch für die berühmten deutsche Söhne der Stadt Fahrenheit und Grass (zu Grass später mehr).

Eine Sehenswürdigkeit für Naschkatzen ist die Konditorei Sowa, die sich auf Lollies spezialisiert hat. Die Plombenzieher gibt es in allen Farben und Geschmacksrichtungen.

Wir gehen in die Marienkirche, angeblich die größte Backsteinkirche der Welt. Dort gibt es eine sehr komplexe Uhr, die von Hans Düringer aus Thorn (Niederlande) gebaut wurde. Damit er kein vergleichbar komplexes Stück irgendwo anders nachbauen kann, hat man ihn geblendet. Das war etwas kurzsichtig, denn wie jeder Informatiker weiss, neigen komplexe Systemen zu komplexen Fehlern. Also blieb die Uhr irgendwann mal stehen und konnte erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts repariert werden, wobei ich nicht den Eindruck hatte, dass sie ging, als ich sie begutachtete.

Ansonsten gibt es Bilder zum Raten über die 10 Gebote und eine Gedenkskulptur an die Toten der Flugzeugkatastrophe 2010 in Smolensk, über die immer noch gestritten wird, was es eigentlich war, ein Fall von Trunkenheit am Steuer oder ein Sprengstoffattentat mit einer Butterbrotattrappe. Dazu muss man wissen, dass Gdansk sehr politisch ist, sehr viele berühmte Politiker ganz verschiedener politischen Richtungen wie z.B. die Kaczyński-Brüder starteten ihre Karrieren in Gdansk (über Solidarność erzähle ich später mehr), entsprechend viele von ihnen waren in dem Flugzeug.

Gleich um die Ecke ist die Bernsteinstrasse, wo es viele Läden gibt, die allerlei Nippes aus Bernstein anbieten.

Wieder am Fluss begutachten wir das Wahrzeichen von Gdansk das grosse Krantor, früher wurden damit Bierfässer be- und entladen.

Wir gehen zu der Danziger Post, die eine wichtige Rolle in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs gespielt hat. Nach dem ersten Weltkrieg erhielt Danzig den Status einer freien Stadt, es gab polnische Behörden in der Stadt und die Post durfte Waffen haben, ich schätze viele Amazon-Boten trauern diesen Zeiten noch nach. Deswegen wurde am 1.September das Postamt als erstes Gebäude in Gdansk von Nazi-Truppen angegriffen. Der Widerstand dauerte 15 Stunden, danach wurden alle Postbeamte verhaftet und am 5. Oktober exekutiert.

Tag 3: Der berühmteste Sohn der Stadt ist für die Deutschen Günther Grass. Auch die Polen scheinen ihm seine SS-Vergangenheit verziehen zu haben und veranstalten jedes Jahr ein Festival Grassomania für einen Nichtpolen ist es schwer zu verstehen, was da genau passiert, denn alle Webseiten zu dem Festival die ich gefunden habe, sind auf Polnisch. Aber es soll einen Spazierweg geben, wo man die wichtigsten Lebenspunkte von Grass ablaufen kann. Es geht bei dem Haus los, wo er seine Kindheit verbrachte, aber auch den Held seines Romans „Die Blechtrommel“ Oskar Matzerath leben liess, weiter geht es zur Pestalozzi-Schule, die Oskar einen einzigen Tag besuchte und zum Denkmal an den Helden des Buches, wobei Günther Grass erst nach seinem Tod nachträglich hingesetzt wurde, denn er war dagegen so verewigt zu werden.

Weitere Stationen auf dem Weg ist die Kirche, wo Grass getauft wurde, die technische Schule, die er besuchte, als auch das Krankenhaus, wo er geboren wurde. Die Webseite, die den Weg beschreibt, funktionierte leider nicht, so dass wir etwas umherirrten, bis wir alle Stationen gefunden hatten.

Weiter geht es zu den Docks, wo die polnische Gewerkschaft Solidarność gegründet wurde. Das Museum beschreibt gewissenhaft alle Stationen der Gründung der Solidarność, die kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen auf das damalige Leben in Polen, den Lebensmittelmangel, die Ausrufung des Kriegsrechts und schliesslich die Gründung der Runden Tische und freie Wahlen, die von Solidarność gewonnen wurden. Als Polen die Diktatur der Kommunistischen Partie abschüttelte, verlor Solidarność rasch an Bedeutung, heute sind nur 15% der Polen gewerkschaftlich organisiert, das ist der niedrigster Wert in ganz Osteuropa. Lech Wałęsa, einer der Begründer der Solidarność und der erste nachkommunistischer Präsident Polens hat 2005 seinen Austritt erklärt. Es ist ja nicht so, dass die kapitalistische Welt keine Gewerkschaften braucht, aber das scheint man in Polen nicht begriffen zu haben.

Es ist der 31. Dezember, also bereiten wir uns moralisch auf den Jahreswechsel vor, wir wollen fein essen gehen, Sekt trinken, Feuerwerk anschauen, ein paar Wunderkerzen abbrennen und danach zu schlechten Musik tanzen. Aber vorher fahren wir noch etwas Riesenrad.

Der Plan, der in allen anderen Ländern mehr oder weniger funktioniert, scheiterte an der Tatsache, dass die schlechte Musik vor dem Feuerwerk, also während unserem Fein-Essen-Gehen, gespielt wurde. Als wir rausgingen, gab es Feuerwerk, Sekt, Wunderkerzen und dann war plötzlich Schluss. Wir bummelten ein bisschen durch die Altstadt und gingen ins neue Jahr schlafen.

Tag 4: Gdansk ist zwar die größte Stadt an der polnischen Küste, aber es gibt noch zwei Städte in der unmittelbaren Nachbarschaft, Sopot und Gdynia, deswegen spricht man in Polen von Trojmiasto, also Dreistädten. Gdynia ist bekannt für das jährlich stattfindende Musikfestival, während Sopot die polnische Riviera ist. Es gibt dort mondäne Hotels, die längste hölzerne Promenade der Welt, die ins Meer ragt und alle mögliche Lädchen, Cafés und sonstiges was Touristenherz erfreut.

Der kurze Ausflug in die Ostsee hat meine Füße erfrieren lassen, aber im Schokoladencafé E. Wedel wird einem ganz schnell wieder warm mit den Kalorienbomben aus Schokolade, die man dort verschlingt.

Abends sind wir dann beim Neujahrskonzert in der Baltikumphilharmonie. Aus irgendeinem Grund sitzen wir in der ersten Reihe und sind das willkommene Opfer von Dirigentenspäßen, der meiner Freundin ein Hammer in die Hand drückt, mit dem sie im Takt auf einen Amboss schlagen soll, was komplett misslingt.

Tag 5: Wir haben viel von dem Museum des Zweiten Weltkriegs gehört, vor allem über den Streit zwischen der polnischen konservativen Regierung und dem amerikanischen Historiker Timothy Snyder, dem Autor von Bloodlands und Black Earth. Man kann von Snyder halten was man möchte (ich persönlich finde, dass er zu viele offene Fragen an die Zuhörer stellt, die dann jeder nach seinem Gusto beantworten soll und viele Antworten dann schlicht falsch sind und nicht von ihm korrigiert werden), aber der ursprüngliche Ansatz des Museums, mehr über die Konstellation der Kräfte am Vorabend des Zweiten Weltkriegs zu erzählen, um zu verstehen, warum es zu dem Krieg kam, finde ich sehr spannend. Doch die polnische Regierung erklärte, dass es nicht die „polnische Sicht der Geschichte“ sei und möchte lediglich die Exponate aus dem bereits vorhandenen Weltkriegsmuseum, wo es hauptsächlich um die Verteidigung der Westerplatte (siehe unten) geht, in größeren Räumlichkeiten platzieren. Wie der Streit ausgeht, wissen wir nicht, der Bau ist noch nicht fertig, BER läßt grüßen. Aber es gibt wohl mehrere polnische Bürger, die eine ähnliche Sicht haben und sie äußern ihren Protest auf der Baustelle.

Die Westerplatte, der Ort, an dem der Zweite Weltkrieg begann. Um zu verstehen, warum Westerplatte so eine Rolle spielte, muss man Status von Danzig nach dem ersten Weltkrieg verstehen. Danzig wurde zu einer Freien Stadt erklärt, das von Polen umringt ist, allerdings war die Grenze zu Ostpreussen oder dem Deutschen Reich nicht weit, so dass es klar war, dass Deutschland Danzig einnehmen und eine Landverbindung nach Ostpreussen aufbauen möchte, um Polen von evtl. Waffenlieferungen aus England oder Frankreich abzuschneiden. Die Westerplatte ist eine Halbinsel, die unter polnischer Verwaltung stand, es gab dort ein Munitionsdepot und die Möglichkeit Fracht abzuladen, vor allem militärische. Im Laufe der 30-er Jahre sind die Stellungen befestigt worden, um 12 Stunden durchhalten zu können, dann erwartete man Verstärkung.

Am 25. August 1939 lief das Schiff Schleswig-Holstein in den Kanal zwischen der Westerplatte und Danzig ein. Am 1. September wurde das Feuer eröffnet. Die Abwehr hielt trotz Bomberangriffen bis zum 7. September, aber natürlich kam keine Hilfe.

Heute wird mit einem Denkmal an die Verteidigung der Westerplatte gedacht, es gibt die zerstörten Kasernen zu besichtigen, sowie ein Friedhof.

Wir fahren wieder nach Gdansk am Hafen vorbei zurück und steigen in den Zug nach Berlin ein.