Freitag, 14. September 2012

Moskau, Moskau

Moskau, Moskau
wirf die Gläser an die Wand
Russland ist ein schönes Land
HaHaHaHaHa 
Dschingis Khan 

Im März fing ich an bei unseren Programm Manager, der für Russland zuständig ist, zu quengeln. Ich wusste, dass ein russisches Institut eine Konferenz für Studenten veranstaltet und es schien mir ein passender Grund zu sein, mal wieder nach Moskau zu kommen. Nach ein paar Telefonaten und Emails wurden dann der Rahmen der Vorträge abgesteckt, ein Vortrag hiess "Science Fiction von gestern, Realität heute" und handelt von den neusten Technologien in Mikroelektronik, die ich mir in mühevoller Arbeit zusammengeklautgestellt habe. Etwas zittern musste ich wegen dem Visum, trotz diverser Bescheinigungen meiner Firma, dass ich bei ihnen arbeite, musste ich meine Verdienstbescheinigung schicken, etwas, was nicht mal meine Kollegen zu Gesicht bekommen und es war nicht klar, ob ich ein Jahresvisum bekomme, ging aber ganz gut. Normalerweise versuche ich im Anschluss an die Arbeitswoche noch ein Wochenende dranzuhängen, aber diesmal bin ich am Freitag losgeflogen.

Tag 1: Ich habe versprochen 20 Werberücksäcke mitzunehmen, also nehme ich meinen größten Koffer und habe Schiss wegen Übergewicht. Also packe ich so viel wie möglich in die Computertasche und ziehe zwei Jacketts übereinander an. Der Koffer hat immer noch Übergewicht, aber beim Check-In drückt man beide Augen zu und ich darf durch.

Aeroflot-Flugzeuge haben keine Tapeten mehr im Flugzeug, die Uniformen der Saftschubsen sind im richtig schicken Rot. Wir erreichen Scheremetjevo, ich stelle mich geistig darauf ein Migrationsformular auszufüllen, mich in eine ellenlange Schlange hinzustellen und dann noch lange aufs Gepäck zu warten. Nach einer Viertelstunde bin ich draussen und erwehre mich von den Taxifahrern, die für 100$ mich in die Stadt bringen wollen. Migrationsformular wird automatisch bei der Passkontrolle erzeugt, Gepäck ist sofort da, super!

Ich steige wieder in meinem Lieblingshotel in Izmailovo ab. Vom Sowjetcharme wird immer weniger und weniger übrig, die neuste Errungenschaft sind Schwarze in Paradeuniformen an den Eingangstüren. Ich bekomme eine Suite in Japan-Stil. Schaue noch ein bisschen den Zeichentrickkanal für Erwachsene 2x2 und schlafe ein.

Tag 2: Ich gehe zum Frühstück, bei dem man immer noch auf Wunsch Pizza, Nudeln und sonstige eher schwere Kost bekommt (was Leichtes natürlich auch). Auf dem Weg fällt mir ein Schild mit der Überschrift "Forum der linken Kräfte Russlands" auf. Als ehemaliger Sowjetpionier und einer von dem Freunde sagen, dass auf einer Anarchoparty niemand linker sein kann, bin ich natürlich hellauf begeistert, besonders als ich erfahre, dass ich mich nur zu registrieren brauche und keine Einladung brauche. Also gehe ich in den Konferenzsaal aus dem laute Punk-Musik schallt. Der Saal ist nicht sehr gross, für 300 Menschen vielleicht, neben mir stehen Journalisten, die über ihre ersten Einsätze erzählen, die alle auf Gay-demos stattfanden. Das linke Volk trudelt langsam ein, die meisten sind weit über 50, nur wenige alternativ-ausschauende Jugendliche sitzen hinten und zeigen wenig Aktivität.

Ein älterer Mann entrollt ein rotes Transparent auf dem steht "Russland ohne Burgua", wie in guten alten Zeiten vor 100 Jahren.

Journalisten tuscheln, dass Limonov und Udalzov kommen werden. Limonov! Der Mann ist legendär, war Emigrant, Schriftsteller, schrieb über Paris und Amerika, die Bücher lösten einen mittelschweren Skandal aus, besonders die Stelle, wo er beschreibt wie er von fetten Niggern in New York vergewaltigt wurde. Danach ging er nach Balkan, wo er mit Serben zusammen kämpfte, in den 90ern Jahren kam er dann wieder nach Russland und gründete die Nationalbolschewistische Partei, die bei radikaler Jugend gut ankam, bei den Regierenden weniger, recht viele Mitglieder fanden sich nach öffentlich-wirksamen Abseilaktionen mit Transparenten hinter Gittern wieder.

Was Udalzov angeht, so heisst es, wenn er nicht demonstriert, dann sitzt er schon wieder ein wegen Teilnahme an Demonstrationen.

Limonov mit Bodyguards huscht an mir vorbei, murmelt "Schwach" (er meint die Größe der Veranstaltung) und begibt sich aufs Podium. Udalzov hält eine kämpferische Rede, die auf einer Oppositionsdemo sehr gut angekommen wäre. Den Namen Putin nimmt er kein einziges Mal in den Mund, es wird nur von Samozvanez gesprochen, also jemand der sich selbst zum Zaren ernannte. Süffisant bemerkt er, dass selbst Putins Frau offenbar nicht mit ihrem Mann zusammensein möchte. Allerdings ist das hier keine Demo und im Saal sitzen Hardcore-Marxisten, die in nachfolgenden Reden anmerken, dass es sie nicht die Bohne interessiert, was Putin mit seiner Frau so treibt. Limonov erzählt über Verrat an Revolution seitens der liberalen Opposition, wenn er das Sagen hätte, hätte man bei der letzten grossen Demo das Gebäude der Wahlkommission stürmen sollen. Viele Reden, viele Meinungen, ob man mit den Liberalen arbeiten soll, das Vorbild ist dabei 1917, als zuerst die Liberalen den Zaren stürzten und danach selbst von Kommunisten gestürzt wurden. Was überhaupt nicht zur Sprache kommt sind die klassischen Themen der West-Linken, also Feminismus, Antifaschismus, Antirassismus und andere Anti-ismen. Begriff Pussy Riot fällt kein einziges Mal, obwohl sie diese ganzen Themen vertreten. Ich schleiche mich raus und fahre in die Stadt.

Ich treffe mich mit meiner Internet-Freundin Rita und wir gehen in Beverly Hills Restaurant essen. Das Lokal ist auf amerikanisches Style getrimmt, in der Mitte stehen 3 zersägte Amikarren in die Tische eingebaut sind.

Irgendwann ertönt laute Musik, die Bedienung greift nach Puscheln wie Cheerleader und tanzen durch die Gänge. Auf dem Tisch steht ein Gerät mit 2 Knöpfen, damit kann man die Bedienung rufen, oder Rechnung verlangen, sehr praktisch. Rita erzählt mir fast heulend, dass man in ihrer Strasse alte Bäume gefällt hat, um aus 16 Meter breitem Fussgängerweg 1,5 Meter breites zu machen, dafür wird die Strasse vor ihrem Fenster 6-spurig. Ausserdem will man den Izmailovo-Park, die grüne Lunge Moskaus teilweise abholzen und bebauen. Geld regiert die Welt und ganz besonders Moskau. Danach gehen wir auf einen Absacker in Chinesischer Pilot Jao Da, ein bekannter Club in dem Musiker auftreten, die irgendwann auf einer CD von Kaminer landen. Die Gruppe, die gerade spielt ist nicht so toll, da gehen wir dann nach Hause.

Tag 2: Kurzer Durchlauf durch den Izmailov Markt mit Touristenkrempel, wo ich ein paar Tscheburaschkas für alle in diesem Jahr Geborenen kaufe. Ich beschliesse nach Zelinograd zu fahren, um einen Ex-Kollegen zu besuchen. Die russischen Elektrozüge Elektritschka ist ideal, um seine Mitfahrer vollzulabern, auch laufen ständig Verkäufer durch die Gänge und versuchen alles mögliche an den Mann/Frau zu bringen. Blöd ist, dass sie halbe Stunde Aufenthalt hat, um die neuen Schnellzüge Sapsan vorbeizulassen für die keine Extragleise gebaut wurden. In Zelinograd werde ich abgeholt, der Kollege, der im 21-sten Stock wohnt, füttert mich mit selbstgesammelten und marinierten Pilzen, dazu eine Flasche Wodka. Danach gehen wir mit seinen Kids spazieren und ich fahre wieder zurück.

Tag 3: Ich fahre mit vollgestopften Metro ins Firmenoffice, treffe auf Kollegen, mit denen ich sonst nur per Email kommuniziere, halte als Generalprobe meinen Science-Fiction Vortrag, alle sind zufrieden. In der Metro fahren nur noch wenige Wahnsinnsfrauen mit meterhohen Stöckelschuhen, aber überall wird mit iPhones und iPads rumgedaddelt, früher wurde viel gelesen. Angeblich wird in den russischen Dörfern auch nicht mehr gesoffen, sondern mit dem Computer gezockt, ist auf jeden Fall gesünder.

Tag 4: Der erste Tag der Konferenz, die in dem Institut für Atomwissenschaften stattfindet. Da dort auch ein Atomreaktor steht, sind die Sicherheitsvorkehrungen entsprechend hoch, am Einlass sitzen Soldaten und überprüfen akribisch die Bescheinigungen. Heute sind die russischen Vortragende dran, ich treffe einen deutschen Professor aus Darmstadt, der dort einen Beschleuniger baut, der ähnliche Komplexität wie CERN, aber bei weitem nicht ähnliche Berühmtheit hat. Er gesteht, dass es Darmstädter waren, die die Gerüchte über entstehende Schwarze Löcher im CERN mit ihren Formeln in Lauf setzten. Zu Mittag essen wir in der Professorenkantine und kippen gleich mal zwei Flaschen Wein runter.

Abends treffe ich meinen Freund Anton, der bei der bekannten Zeitung Izvestija als Redakteur arbeitet. Als Gadget-Fanatiker steht im ein schwerer Tag bevor, denn der iPhone 5 wird vorgestellt, also muss die ganze Nacht gearbeitet werden. Wir treffen uns in einem ukrainischen Lokal, mit dabei ist noch Jason ein Amerikaner, der in Freiburg wohnt und seine Dissertation über deutsche Städte-Festungen schreibt, die im Zweiten Weltkrieg auf den Befehl von Hitler auf keinen Fall aufgegeben werden durften. Deswegen forscht er im russischen Militärarchiv, denn die Russen haben viele Dokumente nach dem Krieg mitgenommen.

Tag 5: Mein Präsentationstag bei der Konferenz. Ich schnappe mir das Mikro und erzähle auf Russisch über 5 Stunden was ich so alles treibe. Die Zuhörer sind höflich interessiert, manche schlafen auch ein, aber das Thema ist auch etwas trocken. Aber zumindest sind sie heilfroh, dass die Vorträge auf Russisch sind und sie alles verstehen. Mein Nachfolger wird es schwer haben, denn sonst haben wir keine russisch-sprachigen Mitarbeiter, die stundenlang über Mikroelektronik-Themen erzählen können und Englisch ist nun mal ein Problem. Der zuhörende Kollege meint, dass er mir durchaus eine Vorlesungsreihe an der Uni organisieren könnte, als ich mich bereit erkläre das für Umme zu machen, wenn sie mir die Flüge zahlen, rudert er schnell zurück.

Abends treffe ich mich mit Rita und ihrem Bekannten Andrej, der dieses Jahr schon in Iran, Spanien, Deutschland war und viele lustige Sachen erzählt. Wir gehen in Club "16 Tonnen" (warum der so heisst, habe ich keine Ahnung), um der russischen Jazz-Band Jazz Band Orchestra zu lauschen.

Die sind richtig gut, unterhalten das Publikum, interpretieren bekannte West- und Ostlieder im Jazz-Stil neu, wir tanzen in der ersten Reihe. Das Publikum ist wie in jeder Grossstadt etwas schnippisch, richtig warm wird sie zum Ende des Konzerts. Es wird nicht "Zugabe" wie in Deutschland, sondern "Molodzy" gerufen, das bedeutet "Ihr seit super!" Andrej hat aus Deutschland Kräuterlikör "Wurzelpeter" mitgebracht, also bestellen wir erstmal ein Kräuterlikör vom Club und giessen immer wieder unter dem Tisch nach. Obwohl mich alle diese Kräuterliköre an Hustensaft meiner Kindheit erinnern, kann ich den Wurzelpeter empfehlen, sehr weich im Geschmack.

Tag 6: Mit unserem Sales fahre ich nach Zelinograd, dem Zentrum der russischen Mikroelektronik. Dort besuchen wir einen Kunden bei dem ich schon mal ein Training gegeben habe, also sehe ich bekannte Gesichter und halte aus dem Stegreif einen Vortrag. Danach gehen wir mit dem Direktor der Firma essen.

Hier zeigt es sich wie die Beziehungspflege auf Russisch funktioniert. Wir gehen in ein Restaurant, der aus mehreren Häuschen besteht, wir haben ein Häuschen für uns und bestellen ein 4-Gänge Menü. Wir sind proppenvoll und ich trinke einen Schnaps, der Chrenovka heisst und stark nach Meerrettich schmeckt. Direktor zahlt alles. Danach vertreiben wir uns die Zeit im Office und fahren zurück nach Moskau. Die Autobahn nach Leningrad ist chronisch verstopft, deswegen hat der russische Google-Konkurrent Yandex ein Programm entwickelt, das Staus anzeigt und zwar sendet das Programm die Durchschnittsgeschwindigkeit von Autos in denen das Programm aufgerufen wurde an den Server und der berechnet dann stets aktuell die Verkehrslage, Schwarmsensorik at its best.

Es ist mein letzter Abend und unser Plan mit Anton sich als riesige Kakerlaken zu verkleiden und auf den GusGus-Konzert zu gehen hat sich leider zerschlagen, denn nach dem iPhone-Tag Anton erstmal krank wurde. Deswegen beschliesse ich meinen letzten Abend im Nachtclub Admiral im Hotel zu besuchen. Dort angekommen bestelle ich erstmal einen White Russian. Mein Sofanachbar labert mich an, er ist Sergej vom Baikalsee, macht irgendwas mit Wald und tritt auf russischen Kampfsportmeisterschaften auf. Er schaut meinen White Russian verächtlich an, von Big Lebovski hat er noch nie was gehört und giesst mir erstmal aus seiner Flasche Wodka ein. Wir trinken, er schüttelt mit dem Kopf, als er von meinem Alter und meinem Familienstand erfährt, wir trinken weiter.

Irgendwann ist die Flasche leer und Sergej verzieht sich, obwohl ich noch eine Flasche als Gegenleistung kaufe. Also wende ich mich mit der Bitte um Hilfe an meine anderen Nachbarn, drei ältere Männer aus Tschetschenien. Sie sind hellauf begeistert, dass ich aus Deutschland komme und Wodka mit ihnen teile.

Tag 7: Ich mache die Augen auf und stelle fest, dass ich angezogen im Bett liege. Die Versuche zu rekapitulieren, wie ich dorthin kam scheitern komplett. Ich habe totalen Gedächtnisverlust, weiss nicht, wie ich bezahlt habe, wie ich aufs Zimmer kam, was aus den Tschetschenen wurde. Die Etagendame hat keine Nachtschicht gehabt, konnte mir also nicht weiterhelfen. Aber ich habe keine Kopfschmerzen (sie kamen erst später) und fühle mich fit genug ins Institut zu fahren.

Dort angekommen stelle ich fest, dass auch ohne mich alles wunderbar funktioniert. Ich löse paar Problemchen, nehme viel Papierkram mit und verabschiede mich. Über Umwege, um die Staus zu vermeiden, fahren wir zum Flughafen und ich fliege nach München zurück.