Donnerstag, 31. Dezember 2009

Internet vergisst sehr wohl

dieser Artikel ist eine Entgegnung auf den Artikel im Spiegel "Vergiss es", der darum handelte, dass im Internet nichts verloren geht und das Netz alles speichert. Die geforderte Konequenz ist ein Verfallsdatum für Daten.

Internet vergisst nicht. Diese Feststellung kann nur jemand machen, der noch nie eine 404-Meldung gesehen hat: "Diese Seite existiert nicht mehr", diese Menschen hatten keine Webseite auf Geocities und keinen Account bei Combots oder UndDu, sie haben noch nie genau die eine Webseite gesucht, die man schon mal gesehen hat und unbedingt nochmal braucht, aber die Adresse nicht mehr weiss. Oder man weiss die Adresse, aber die Webseite sieht plötzlich ganz anders aus, weil der Domainbesitzer sich geändert hat. Die einfache Wahrheit bei Internet ist, dass es kaum etwas dynamischeres gibt als das Netz der Netze und das geht in beide Richtungen, sowohl bei der Weiterentwicklung, als auch bei Veränderung des Bestehenden. Ganze Provider werden abgeschaltet, Domains werden umregistriert, soziale Netzwerke wegen Unrentabilität geschlossen, all diese Daten verschwinden aus dem Netz. Und wenn sie nicht verschwinden, so gehen sie in der gewaltigen Datenmenge verloren. Jede Seite wird nach Wichtigkeit bewertet und die Wichtigkeit wird danach bemessen, wieviele Links auf diese Seite zeigen. Falls also Webseiten aus dem Netz verschwinden, verschwinden auch die Links, so dass eine ehemals gut verlinkte Seite auf einmal nur noch wenige Querverbindungen besitzt und im Ranking absteigt. Man muss schon sehr gute Abfragen formulieren, um die Seite wiederzufinden. Dabei funktioniert eine Internet-Abfrage nicht viel anders, als ein Dialog mit einem alten Freund:
- Erinnerst Du Dich noch an die Katrin?
(Ab jetzt sind 2 Varianten möglich)
Variante 1: Ja klar, Katrin ist meine Ehefrau
Veriante 2: Nein, welche Katrin?
- Na die Blonde aus der Schule
- da gab es so viele Blonde in der Schule
- die in der 11. Klasse sich mit zu kurzem Rock fotografieren lies und deren Foto danach in der Abi-Zeitung war
- Ach die Katrin, ja doch, ich erinnere mich noch dunkel, habe die Abi-Zeitung noch irgendwo

In der Variante 1 ist die Katrin sofort präsent, denn die Beziehung ist immer noch sehr stark. In der Variante 2 brauchte man einige Zusatzinforationen, die normalerweise nur eingeweihte Personen haben, um die entsprechende Erinnerung aufzurufen. Deswegen müssen die langliegenden Jugendsünden schon sehr genau spezifiziert sein, um an sie noch ranzukommen, oder sie muss so aussergewöhnlich oder prominent gewesen sein, dass sie bis heute noch gut verlinkt ist und sofort abrufbar ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Personaler über derart spezielles Wissen verfügt, um die privaten Details einer bestimmten Person abzufragen, ist eher gering.

Die Entwicklung läuft zur Zeit eher in umgekehrter Richtung. Viel schlimmer als im Internet zu sein, wird es, im Internet nicht zu sein, denn was im Internet nicht dokumentiert ist, das hat es nicht gegeben. Also wird sich jeder künftiger Personaler mit Recht fragen, warum finde ich die Informationen über die Ereignisse nicht, die der Bewerber im Lebenslauf von sich behauptet? Tue Gutes und rede darüber, hiess es früher, tue irgendwas und sorge, dass es auch im Internet erscheint, wird das Motto der Zukunft sein.

Im Szenario der Lebenslaufüberprüfung im Internet ist ein Verfallsdatum eher hinderlich. Ausserdem, wie soll es technisch bewerkstelligt werden? Wer wird entscheiden, welche Daten wichtig sind und welche nicht? Für jeden ist die Wichtigkeit der Daten verschieden. Was der eine möglichst schnell vergessen möchte, ist für jemand anderen eine Erinnerung, die zum Teil seines Lebens gehört und nicht missen möchte. Ein einheitliches Verfallsdatum ist weder möglich noch wünschenswert.

Ein weiterer Gedanke ist, dass die Leute gar nicht kontrollieren können wo die Daten über sie veröffentlicht werden, d.h selbst wenn sie ein Verfallsdatum für ihre Daten bestimmen könnten, andere Informationsquellen könnten ganz anderes Verfallsdatum haben. Durch unterschiedliche Suchmaschinen findet man ganz verschiedene Daten über eine Person, so dass die Informationsverbeitung unkontrollierbar ist. Daraus können zwei Folgen abgeleitet werden, erstens dürfte kaum jemand kann ein absolut sauberes Profil im Netz haben, was zu gewissen Waffengleichheit führt, die Bigotterie in dieser Frage dürfte erheblich abnehmen und zweitens muss jeder einzelne lernen zu seinen Schwächen zu stehen. Andererseits muss die Gesellschaft lernen (Staat und Unternehmen ausdrücklich eingeschlossen) die Privatsphäre des einzelnen zu achten und nicht zu missbrauchen, auch wenn sie für jedermann offen im Netz nachzulesen ist. Da sind einige Gerichtsurteile nötig, die darauf abzielen, dass nicht jede verfügbare Information gegen die Person auch verwendet werden darf. Doch Eric Schmidt, der CEO von Google hat sehr recht wenn er sagt, dass falls Sie Dinge tun wollen, von denen niemand was erfahren, soll, dann sollte man diese Dinge vielleicht nicht tun. Google, oder eine andere Suchmaschine wird diese Dinge rausfinden und die Kontrolle darüber ist kaum möglich.

Was ist nun aber mit den Leuten, die gerne die Information, die ihnen unangenehm ist, möglichst aus dem Netz haben wollen, um bspw. ein neues Leben anzufangen? Nun, in der Vergangenheit war es genauso wenig möglich, falls die Person oder die Tat prominent war. Jede Zeitschrift hat eine Rubrik "Vor x Jahren", oder "Was macht eigentlich x". Sollte man solche Rubriken auch verbieten, die Kalender nicht mehr verkaufen, die zu jedem Tag die historischen Eregnisse, die an diesem Tag passiert sind, abdrucken, oder die Ausgaben der Bild-Zeitung einziehen, die berichten, wie ehmalige RAF-Terroristen das Gefängnis verlassen, mit Photo und vollem Namen? Hier gilt das vorher gesagte, nicht prominentes bleibt auch im Internet-Gedächtnis nicht hängen, Prominentes, woran sich die Leute erinnern und immer noch darüber schreiben, wird auch im Internet immer aufzufinden sein. Was eventuell möglich ist, wäre die unangenehme Information mit möglichst vielen positiven Einträgen zu relativieren, es gibt bereits Agenturen, die sich darauf spezialisieren, es dürfte ein breiteres Geschäftsfeld in der Zukunft werden.