Samstag, 17. Oktober 2009

Sechs Tage Rügen

Anreise: Im Nachtzug hört man doch die besten Geschichten. Wie zum Beispiel vom Bayer Erwin, der der Liebe wegen nach Dänemark gezogen ist, dort zwei unerzogene Töchter als Ziehvater hat und sich wundert, wenn die Dänen ihn mit Sarkasmus auf den Arm nehmen, wenn sie zeigen wollen, dass sie ihn gern haben. Erwin weiss, dass sein Dänisch immer einen bayerischen Akzent haben wird, hat aber gerne Berge gegen das Meer eingetauscht. Romantik pur. Seufz.

Hamburger Bahnhof um 5 Uhr morgens im 24-Stunden McDonalds ist wie anderswo auch eine Versammlung von ganz bunten Vögeln. Hamburger Fashion auf der Skala von bürgerlich-grosskotzig (München) zu arm-aber-sexy (Berlin), nimmt der Zeiger eine dritte Dimension ein, nicht umsonst kommen die coolen Leute der deutschen Musikszene aus Hamburg. Hamburg ist wieder eine Stadt mit ganz eigenem Flair, mit nichts zu vergleichen. Mit nichts (ausser mit Regional-Express) ist auch der IC Hamburg - Ostseebad Binz zu vergleichen, der kriechend langsam sich durch die norddeutsche Prärie schleicht.

1. Tag: Nach ein paar Kilometer Strandlaufen, stossen wir auf Prora. Prora war das größenwahnsinnige (wie eigentlich alles im 3. Reich) Projekt die weltgrößte Herberge für Badegäste zu errichten. Acht Gebäudeblöcke, je 500 Meter lang macht 4 Kilometer-Komplex, auf jeden Fall ein Kandidat für den längsten Gebäudekomplex der Welt. In nur drei Jahren aus dem sandigen Boden hochgezogen, für 20000 Gäste geplant, wegen des Krieges nicht fertiggestellt und in der DDR-Zeit als Kaserne genutzt, während der Wilde-Osten-Zeit ohne eine einzige nicht-zerbrochene Fensterscheibe stehengelassen, gibt es erst jetzt grosse Umbaupläne für den Komplex. In der Stimme des Rundführers schwingt Ehrfurcht mit, was man in der kurzen Zeit des dritten Reiches mit einem einzigen Baukranen hochgezogen hat und wie generalstabsmäßig der Urlaub des Ehepaars Müller aus Saarland geplant wurde. Aus der heutigen Sicht komplett unvorstellbar wäre man im Urlaub militärisch rumkommandiert, mit Lautsprecher um 5.30 aufgeweckt, zum Frühsport geschickt, in einem 100x400m grossen Schwimmbecken wäre man geschwommen, dann auf die Minute genau sonnengebadet, zum Essen hätte es nur Eintopf gegeben, aber dafür hätte das Vergnügen 3 EUR / Tag gekostet. Individualismus ist halt teuer.


Prora in Wirklichkeit


Und als Modell

2. Tag: Grosse Wanderung nach Sellin. Erfahrung, dass ein Rügenkilometer grob zwei Alpenkilometer sind. Überall begegnet man Leuten mit Rassehunden, die zwar eine Herde Hirsche aufscheuchen können, aber zu fett sind um hinterher zu laufen. Die Badeorte an der Ostküste sind sehr gepflegt, mit sehr schönen weissen Villen. Das alles ist zwar noch nicht so gehoben wie auf Sylt (zumindest wie ich mir Sylt vorstelle), aber Tendenzen gibt es durchaus. Sollte eines Tages Sylt endgültig weggespült werden, ist Rügen eine sichere Investition für die Zukunft, so schnell geht die Insel nicht unter. Auf dem Weg nach Sellin kommt man an einem Jagdschloss vorbei, das der gute Malte zu Putbus erbaut hat (später dazu mehr). Am Rand von Binz angekommen, geht es zu der nächsten Fischräucherei, um sich ein Fischbröttchen zu holen und mit dem dunklen Störtebecker-Bier "Das Bier der Gerechten" hinterher zu spülen.


Seebrücke in Sellin


Das Jagdschlösschen

3. Tag: Mit dem Schiffchen nach Sassnitz. Sassnitz wurde von der Monetia, der Muse der Investoren noch nicht richtig wachgeküßt, viele mehrstöckige Häuser (keine Platte) für die Mitarbeiter des Fährhafens. Fähr-Verbindungen gibt es nach Schweden, was aber die Stadt nicht veranlasst hat zum Saufparadies alá Tallinn zu werden. Schweden fahren zwar gerne zum Einkaufen, allerdings wird palettenweise Joghurt?! aus dem örtlichen Aldi zusammengekauft. Sassnitz wird aber auch aus einem anderen Grund demnächst recht häufig in Nachrichten auftauchen, hier nämlich geht die Nordstream-Gaspipeline ins Wasser, um in der Nähe von St.Petersburg wieder aufzutauchen. Am Güterbahnhof von Sassnitz stapeln sich auch schon tausende von Röhren, die alle verlegt werden möchten. Es sieht überhaupt nicht danach aus, als ob sie jemand wieder abtransportieren wird, also darf man gespannt sein mit welchem Honigkuchen und Peitsche die deutsche und die russische Regierungen Druck auf die Balten ausüben werden, damit durch ihr Gewässer das Rohr verlegt werden darf. Das naheliegendste wäre ein Versprechen in Estland Euro einzuführen, obwohl die Beitrittskriterien nicht erfüllt werden, denn das ist das einzige, was die jetzige Regierung noch retten kann. Die Polen bezeichnen das Projekt zwar schon als den zweiten Molotov-Ribbentrop Pakt, viel dagegen tun können sie wohl nicht.

4. Tag: Mit den Bussen zum Cap Arkona. Als Nordkap Deutschlands beworben, war das der nördlichste Flecken der DDR, in dem vereinigten Deutschland kommt Sylt die Ehre zu den nördlichsten deutschen Zipfel zu besitzen. Mit den sehr guten Busverbindungen erreicht man recht schnell die Endhaltestelle wird fleissig mit Sanddorn (die Zitrone des Nordens) und Bernstein beshoppt und marschiert munter ein Rügenkilometer zu den drei Leuchttürmen, eines davon vom Schenkel erbaut und als Standesamt beliebt. Gleich daneben haben die Ranen (ein slawisches Volk) die Festung Jaromarsburg errichtet, die zwar einem viergesichtigen Gott Svantevit gewidmet war, was die Schweden mit ihrem kriegerischen Bischoff Absalon (früher liefen Bischöfe mit Schwertern durch die Gegend) nicht störte die Festung plattzumachen und die Ranen zu christianisieren, woraufhin sie recht schnell ausstarben, bzw. sich unter andere Völker mischten.


Frische Briese

5. Tag: Was pfeift denn da durch nach und Wind, es ist der Roland, er fährt geschwind. Der Rasende Roland ist eine Schmallspureisenbahn, ein Schnauferl würde ein Bayer sagen, und eine feste Institution auf Rügen. Die Insel kann keine Wölfe haben, sie hätten alle haben das Pfeifen von Roland als Liebesgeheul interpretiert und sich unter die Räder geworfen. Das Schnauferl verbindet Putbus, wo der Malte der Erste zu Putbus regierte und Göhren, ein weiteres Badeort an der Ostküste. Malte hatte das Pech auf einer recht armen Insel zu regieren, aber als ein aufgeklärter Herrscher wollte er doch auch ein Schlösschen und ein klassizistisches Rondell und ein Marstall und eine Orangerie und einen englischen Garten und ein Jagdschloss haben. Das bekam er auch alles, nur halt nach Möglichkeiten, die nun einmal nicht besonders gross waren. Aber er hat sich bemüht und er ist der einzige Herrscher an den man sich bis heute auf Rügen erinnert, auch wenn die DDR-Apparatschiks sein Schloss in die Luft gejagt haben.


Das Schfauferl bei der Anfahrt nach Binz


Wenn man den Bildausschnitt richtig wählt, sieht Roland recht eindrucksvoll aus


Maltes Denkmal von der liebenden Ehefrau

6. Tag: Darf ich vorstellen, der Kreidefelsen. Doch bevor man den Königsstuhl betreten darf, zahlt man erstmal 8 EUR Eintritt, darf ein dämliches Werbevideo anschauen, Zitat "Oh, so viel Kreide!" und darf dann neben den leise vor sich hin zeternden Rentnern, Zitat "Letzte Woche hatten wir in Bremen halbe Stunde Hafenfahrt für 5 EUR" zu einer Absperrung gehen, um 10 Min die sogenannte Viktoria-Sicht zu geniessen und danach Erklärungen zu Casper David Friedrich-Bild durchlesen. Das wars. Wenn man das Gelände verlässt, kann man dann zum Meer runtergehen, Kreidestücke suchen, Steine mit zähneputzenden Krokodilen bemalen, das stürmische Meer geniessen und Mitleid mit den Passagieren des Ausflugschiffchens haben, die gerade vor dem Felsen halb untergehen.


Und endlich mal die Kreideküste


Soo viel Kreide

Rückfahrt: Nach einem kurzem Aufenthalt in Stralsund (kleine hanseatische Stadt mit einem riesigen Dom), geht es nach Berlin. Nach einer Woche Ruhe, Abgeschiedenheit, Baden bei Kerzenschein und Geigenspielerin, überzieht einen der hässlich-herbstliche Berlin mit einer Keule über den Schädel. Gewusel von armen-und-nicht-mal-sexy Menschenmassen, Regen-Kälte-Dunkelheit Gespann, Verkehr, all das was es auf Rügen nicht gibt. Man ergibt sich dem Schicksal und wartet auf bessere Zeiten.