Sonntag, 19. April 2009

Ein paar Notizen über Moskau

nach vier Jahren war ich 10 Tage geschäftlich in Moskau und obwohl ich zuerst gedacht habe, dass ich kaum was darüber schreiben kann (war recht stressige Zeit), kamen doch ein paar Fotos und Erlebnisse zusammen, die ich aufschreiben möchte.

1. Entgegen allen Befürchtungen hat ein Aeroflot-Flug durchaus seine Reize. Wenn man die geistige Reife hat, das Essen einfach abzulehnen, dann kann man sehr interessante Leute kennenlernen. Auf dem Hinflug sass ich neben einem 14-jährigen Jungen, dessen Eltern wohl reiche Russen waren, die auf Rubljowka hausen und in Moskwa-City ein Büro haben. Aus irgendeinem Grund wollte er wissen, ob ich katholisch wäre und erzählte mir über die Moskauer Metro wo Goths und Emos rumlaufen und Skins auf die Dagestaner eindreschen (habe nichts davon gesehen). Auf dem Rückflug flog ich mit der russischen Eishockeymannschaft, jeder von denen war in den Sportteil einer Zeitung vertieft, ich habe mich nicht getraut nach einem Autogram zu fragen. Vor der Einreise nach Russland, muss man ein Immigrationsschein ausfüllen. Den gibt es an einem grauen, durch nichts gekennzeichneten Tisch, der unscheinbar in der Ecke steht.

2. Moskau und St.Petersburg sind Antipode in jeder Hinsicht. Moskau als Stadt mit langer Geschichte, tief in Russland, chaotisch gewachsen, kaum als Aushängeschild für den Westen gedacht und St.Petersburg, am Reisbrett entworfen, an der Ostsee, also am Rand des russischen Imperiums gelegen, mit westlicher Architektur und kaum Traditionen. Sowenig die Einwohner der beiden Städte sich mögen, so unterschiedlich präsentieren sich die Städte für die Touristen. Während der gemeine Tourist in St.Petersburg Tage nur an dem Nevski Prospekt und der Neva verbringen kann und sich die Prachtbauten anschauen, ohne viel den Reiseführer durchlesen zu müssen, ist es in Moskau ganz anders. Die Tourizeitschrift listet genau vier Sehenswürdigkeiten auf: Kreml, Alexandergärten im Kreml, die Einkaufsmeile Arbat (wobei ich mich ernsthaft frage, was denn daran sehenswürdiges ist) und die Gemäldegalerie Tretjakowskaja. Das wars. Für alles andere braucht der gemeine Touri Spezialkenntnisse, die er in Spezialreiseführern nachlesen kann, ausserdem muss er sich darauf gefasst machen, viele Kilometer unter der Erde von einem Metrobahnhof zum anderen zurückzulegen, denn kaum etwas ist in Moskau in Fussmarschnähe.







Moskau, wie man es aus dem Fernsehen kennt.

3. Wenn man denkt, dass man Bekannte in Moskau hat, die einem was zeigen können, irrt man sich gewaltig. Bestenfalls zeigt man einem ein paar Kneipen mit solchen Namen wie Der letzte Tropfen oder Porutchnik Rzhevskij (der Held vieler nicht jugendfreien Witze), und eine Aussicht von den Vorobjevy-Hügeln auf Moskau. Ausserdem bekommt man gesagt, dass man im Sommer wiederkommen soll, im Winter ist es zu kalt für die Parks und für die Ausflüge ausserhalb der Stadt.

4. Doch mit einem Spezialreiseführer bekommt man Tips für interessante Museen, die man unbedingt besuchen sollte. Das GULAG-Museum in der Nähe des Innenministeriums und KGB-Gebäudes vermittelt viel besser den Schrecken der Stalin-Zeit, der Repressionen, der Erschiessungen und der Arbeitslager, als es das Okkupationsmuseum in Tallinn jemals vermochte. Am meisten begeisterte mich das Majakowski-Museum (für diejenigen, die es nicht wissen, Majakowski war ein Dichter, der sich ganz in den Dienst der Revolution gestellt hat und nebenbei als Erfinder der postmodernistischen Dichtung gilt). Noch nie habe ich gesehen, dass ein Museum so sehr die Gedankenwelt der Person abbildet, der es gewidmet ist. Das gesamte Museum ist ein postmodernistisches Kunstwerk an sich, es gibt keine gerade Wand, alles ist gebogen, steht in verschiedenen Winkeln zum Betrachter, überladene Symbolik, die man vermutlich auch nach vielen Besuchen nicht komplett erfassen und verstehen kann. Jeder Raum ist einem anderen Lebensabschnitt des Dichters gewidmet, ist in einer anderen Farbe gehalten und offenbart dem Betrachter viel mehr über die Denkweise und den Geist Majakowskis, als alle trockenen Fakten über sein Leben und sein Schaffen zusammen. Unbedingt hingehen und anschauen, auch wenn man Majakowski gar nicht kennt.

5. Eine Geschmacksache ist ein Museum (wobei ich es eher ein atomares Disneyland getauft habe), der sich in einem ehemaligen atomsicheren Bunker befindet, wo früher die Kommandozentrale der Streitkräfte sich befunden hat. In einer unscheinbaren Einfahrt wird man von einem uniformierten Führer begrüßt, bekommt ein Ausweis mit persönlichen Foto und darf 18 Stockwerke runtergehen. Dort bekommt man ein propagandistisches Film vorgeführt mit ein bisschen Geschichte über den Kalten Krieg, vielen Atompilzen unterlegt mit Vivaldi und der Feststellung, dass Gorbatschjev, der Mistkerl, den Kalten Krieg verloren hat (kurzer Blickaustausch mit paar Amis unter den Besuchern). Danach darf man sich mit Kalaschnikov und Gasmaske fotografieren lassen, den Platz des Kommandeurs einnehmen, am Kurbel des Feldtelefons drehen... Irgendwann geht das Licht aus, Sirenengeheule, rotes Blinklicht und eine ernste Stimme sagt, dass der Gegner atomaren Erstschlag ausgeführt hat, ganz Moskau ist radioaktiv verseucht und man bereitet eine entsprechende Antwort vor. Wer's mag.



Warten auf den Erstschlag



Wie die Reaktion wohl aussehen wird?

6. Sehr zu empfehlen sind Moskauer Buchläden. Es gibt den Dom Knigi (Haus des Buches) und viele andere sehr gut sortierte Geschäfte, für die man mehrere Stunden einplanen muss. Bevor man die Gesamtausgabe der Werke eines Schriftstellers kauft, sollte man sich vorher überlegen, wieviel Platz und Gewicht im Koffer noch übriggeblieben ist.

7. Wer sich für moderne Kunst interessiert, dem sind alte Fabrikhallen empfohlen, wo neue Galerien entstehen. In den ehemaligen Hallen der Konfektfabrik "Der Rote Oktober" gegenüber von Kreml auf der anderen Seite des Flusses findet man mehrere Galerien und auch in der ehemaligen Weinfabrik kocht das künstlerische Treiben mit Ausstellungen von ausländischen und russischen Künstlern. Die Qualität der Ausstellungen ist nicht überall hoch (selbst wenn dort Eintrittspreise verlangt werden), aber einige Perlen finden sich durchaus.



Kreativitätswerkstatt für Kinder auf dem Gelände von Weinfabrik



Ein Gebäude der Weinfabrik

8. Was Eintrittspreise und sonstige Kosten angeht, von dem Status der teuersten Stadt der Welt ist Moskau erheblich abgekommen. Moskau ist nicht billig, aber für einen Eurozoner durchaus zu leisten. Die Moskauer schimpfen natürlich, dass alles für sie teuerer geworden ist und interessieren sich sehr, wie Europa mit der Wirtschaftskrise zurechtkommt. Jubel kommt auf, wenn ich über die Abwrackprämie erzähle. Es wird auch über die eigene Regierung geschimpft, die nichts anderes tue, als kanninschen-vor-der-schlange-artig auf den Stabilitätsfond zu schauen, ob er bis zum Ende der Krise ausreicht oder nicht. Meine persönliche Meinung zu dem Thema ist, dass es durchaus gut war, den Rubel abzuwerten, damit eigene Produktion angekurbelt wird, denn es kann nicht sein, dass ein Land wie Russland sich nicht selbst versorgen kann und vieles importieren muss.

9. Eine der größten Zeitvertreibs eines Moskauers mit Auto ist es im Stau zu stehen. Inzwischen hat man sich mit der Lage abgefunden und versucht die verlorene Zeit möglichst angenehm zu gestalten. Nur in Moskau habe ich Fernseher für den Fahrer gesehen, mit eingebautem DVD-Player. Für eine Fahrt in die Stadtmitte muss man mindestens eineinhalb Stunden einplanen und am Ende bittet man doch den Fahrer zu der nächsten Metro-Station zu fahren. Eine eigene Geschichte sind die Parkplätze. Riesige 20-stöckige Plattenbauten, die in wenigen Monaten aus dem Boden gestampft werden, haben keine Parkplätze vorgesehen, weil der Grund so teuer ist. Selbst für den Business-Zenter Moskwa-City, wo Leute arbeiten, die eher ein grosses Auto haben, sind zu wenige Parkplätze vorgesehen. Habe meinem Taxi-Fahrer empfohlen auf Hubschrauberpilot umzuschulen, ein sicherer Job für die Zukunft.







Moskwa-City, das Business-Herz Moskaus

10. Russisches Fernsehen hat ein Niveau erreicht, wo selbst deutsches Unterschichtsfernsehen weit drüber steht. In einer Reality-TV Show werden in der Privatwohnung von Privatdetektiven Kameras installiert, um den Ehepartner in flagranti zu erwischen, anschliessend stürmt der/die Betrogene rein und verhaut den Ehebrecher/in. Alles wird gefilmt und gezeigt. In der anderen Sendung namens "Nackig und Lustig" wird in der Öffentlichkeit gestrippt und die Reaktion der meist männlichen Passanten gezeigt. Sehr lustig, gäähn. Andererseits werden schon Filme im Free-TV gezeigt, die im deutschen Kino gerade mal angelaufen sind.

11. Alle Russen sind Rassisten. Mehr ist dem wenig hinzuzufügen. Angefangen von einfachen Moskauer, der mich in Metro vollgeschwätzt hat, bis zu gebildeten Leuten in hohen Positionen, alle sprechen von Überfremdung, von Horden von Kaukasiern und Tataren, die Moskau überschwemmen, wie gefährlich es nachts auf der Strasse geworden ist, dass man was unternehmen müsse, dass die Fremden zu zehnt sich die Wohnung teilen und entweder am meisten Geld haben, oder mit so wenig Lohn sich zufriedengeben, dass ein angestammter Moskauer da nicht konkurrenzfähig ist, usw, usf. Die meisten Kaukasier habe ich auf der Baustelle von Moskwa-City gesehen, wie sie in Barracken hausen und sofort von der Polizei kontrolliert werden, sobald sie sich der Metro-Station nähern.



Ob ohne Ausländer das Hochhaus jemals fertiggestellt wird?

12. Eigentlich ist Moskau ein gewaltiger Moloch, den viele verlassen möchten, doch kaum jemand kann den Absprung schaffen und wieder in die russische Provinz zurückkehren. Ja, Moskauer Luft ist dreckig, Moskaus Strassen gefährlich, die Wohnungen teuer, viele Millionen (wieviele Millionen weiss keiner so genau) teilen sich recht wenig Platz, verstopfen die Strassen, drängen sich in die Metro. Doch nur in Moskau ist das grosse Geld, gibt es Niederlassungen aller ausländischen Firmen, die in Russland investieren, ist die Regierung am nächsten und alle wichtigsten Leute erreichbar. Moskau ist und bleibt das Herz Russlands.