Sonntag, 18. September 2011

Tropen für die Anfänger oder Frankreich für Fortgeschrittene

Zur Fahrt auf die Insel La Réunion kam ich wiedermal wie die Jungfrau zum Kinde, nachdem von der Kamtschatka-Reise vom Bundesministerium für Strahlenschutz persönlich abgeraten wurde (nicht wegen der Fukushima-Strahlung, sondern wegen der Panik, die dort ausbrechen könnte, so dass wir alleine mit Braunbären dort zurückgelassen werden könnten), kam meine Freundin auf die Idee ihren lang gehegten Traum zu erfüllen und ihre ehemalige Französischlehrerin auf La Réunion zu besuchen. Eigentlich war das immer als Hochzeitsreise geplant, aber mangels Hochzeitspläne in der nächsten Zukunft wurde das als Plan B in Angriff genommen. Gewusst von La Réunion habe ich nur, dass es französische Kolonie gewesen war, irgendwo in der Nähe von Seychellen und Madagaskar liegt und dass man dort mit Euros bezahlen kann. Ach ja, und man spricht dort Französisch-Kreol und kreolische Küche beinhaltet viel Gewürze, Bananen und Kokosraspeln, so dass ich ein Kokoshühnchen endlich im Original essen kann und nicht in einer polnischen Kantine. Ein bisschen abschreckend war die Tatsache, dass der Flug 11 Stunden dauert, also bis jetzt der längste Flug meines Lebens. Dafür las sich das Programm nach locker-flockigem Entspannungsurlaub an. Ich greife schon mal voraus, um zu sagen, dass wir uns da sehr getäuscht haben.

1. Tag: Kurz nach dem Verlassen des Hauses klingelt das Handy und die freundliche Mitarbeiterin des Reiseunternehmens teilt mir mit, dass der Flug nach La Réunion von Paris aus, erst am nächsten Tag am morgen startet, so dass wir einen ganzen Tag verlieren. Fängt ja gut an. Selbst der Anblick des Haribo-Fliegers konnte da kaum trösten.



In Paris angekommen, fuhren wir mit dem Bus von Charles de Gaulle Flughafen nach Orly, als wir wegen Kompensation wegen dem verlorenen Urlaubstag fragen wollten, verwies man uns an einen Ständer mit Hochglanz-Broschüren von Air France mit der www.airfrance.fr Webadresse auf der Rückseite, wohl die französische Art höflich Baise toi zu sagen. Angeblich streikt das Bodenpersonal, so dass die Maschine nicht abgefertigt werden kann, allerdings fliegt eine andere Maschine nach La Réunion, die allerdings schon ausgebucht ist. Nach dem Einchecken im Hotel machten wir bei strömenden Regen einen Kurzausflug nach Paris und kehrten nass und durchgefroren wieder ins Hotel zurück.

2. Tag: Es gibt viel mehr Flüge nach La Réunion, als wir dachten. Und die Flugzeuge mit denen man hinfliegt sind richtig gross. Also besteigen wir unsere Boeing und machen uns für den langen Flug bequem. Drei Sprachkurse(französisch zu einfach, niederländisch zu lustig, türkisch zu viele ü's) und 125.000 EUR bei englischen "Wer wird Millionär" später, wird es doch unbequem und langweilig, zum Glück kann man sich die Füße vertreten und es gibt schon erste kleine Punsch-Fläschchen zum Mittagessen, die ich anstatt Aquavit wegen der ersten Äquator-Überquerung trinke.

Das Flugzeug landet, wir gehen in die Abfertigungshalle, das erste was mir auffällt ist ein George Clooney-Poster, wie er sein Espresso geniesst. "Ein Land in dem man George Clooney toll findet, kann gar nicht so fremd sein" - denke ich, allerdings ist die Air France Werbung mit einer dunkelhäutigen Schönheit als Stewardess, das ist schon der erste Hinweis, dass man sich nicht mehr in der Region der weißhäutigen Menschen befindet. Das zweite, was beim Verlassen des Gebäudes auffällt, ist der Sternenhimmel. Er sieht einfach fremd aus, der Mond ist falsch herum abgeschnitten und obwohl ich die Sternbilder nicht alle kenne, sehe ich gleich, dass die Sterne komplett anders verteilt sind.


Koordinaten von La Réunion

Aber es bleibt nicht viel Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wir werden in ein Bus eingeladen und treffen dort auf unseren Reiseführer Jean-Paul über den ich noch sehr viel schreiben werde. Jean-Paul ist ein Franzose, wie es im Buch steht, seine Rede besteht zur Hälfte aus Alors, Voila, Op, Puff und er hat einen riesigen Schalk im Nacken. Andererseits ist er seit 18 Jahren Fremdenführer auf La Réunion und kennt alle Aspekte der Insel in- und auswendig, viele der deutschen Fachbegriffe, die er benutzt, kennen selbst die Muttersprachler nicht. Fürs erste teilt es uns mit, dass die Insel eine Fläche von 2512 km^2 hat, das entspricht ungefähr der Fläche von Saarland, zusammen mit Mauritius und Rodrigues zu der Inselgruppe der Maskarenen gehört, doch im Gegensatz zu diesen Inseln, ein untrennbarer Teil Frankreichs ist. La Réunion ist vulkanischen Ursprungs, 2/3 der Insel bestehen aus dem Vulkan Piton des Neiges, 1/3 aus dem Vulkan Piton de la Fournaise und 1/3 aus dem Plateau des Bébour, das die beiden Vulkane verbindet, somit ist La Réunion die einzige Insel der Welt, die aus 4/3 besteht. Ausserdem ist Piton des Neiges 3069m hoch, das ist die höchste Erhebung im ganzen Indischen Ozean. Originalzitat Jean-Paul: "Die höchste Erhebung von Mauritius ist 828 m hoch, das ist schon recht hoch, und die höchste Erhöhung von Madagaskar ist 2876 m hoch, das ist höher als in Mauritius, doch der französische Gipfel von Piton des Neiges ist der höchste von allen, höhö." Unterwegs durch die schwüle tropische Nacht fahren wir nach Hellbourg einem Dorf im Talkessel von Salazie. Unzählige scharfe Kurven später sind wir da, das Essen wartet schon.

Das Nationalgericht auf La Réunion heisst Carri und genau den bekamen wir vorgesetzt. In den nächsten Tagen (abgesehen von 1-2 Ausnahmen) bekamen wir nichts anderes, deswegen beschreibe ich gleich, was es aus sich darstellt. Als Grundlage von Carri nimmt man Reis, darauf kommt eine Sosse aus Hülsenfrüchten (Bohnen oder Linsen) und darauf Fleisch- oder Fischbeilage. Hier gibt es viele Unterschiede, es kann Schwertfisch sein, oder Schweinefüße, oder Ente mit Vanille, oder Hühnchen mit Kokos. Dazu gibt es noch eine scharfe Sosse, die aus Zitronen, Chili, Tomaten, Knoblauch usw. bestehen kann. Als Vorspeise ist der örtliche Kürbis, genannt Schu-schu beliebt. Den gibt es in Käse eingebacken. Und jedes Essen fängt mit einem Punsch an und hört mit einem Gläschen Rum auf.

Nach dem Essen stellt sich die Gruppe kurz gegenseitig vor und wir stellen fest, dass die Zusammensetzung komplett anders ist, als auf Island. Zum einen sind es viel mehr Männer, sogar mehr als Frauen, zum anderen sind wir das einzige Pärchen (erst viel später stellte sich heraus, dass es noch ein anderes Pärchen gab, aber wir wollen das Thema nicht zu sehr vertiefen). Ausserdem im Unterschied zu den schweigsamen und überpünktlichen schwäbischen Lehrerinnen auf Island, bestand die Gruppe zum grossen Teil aus Unter-, Ober-, Ex-, und Halbfranken, die sich mit Schweizerinnen (für die Multi-Kulti-Komponente) und Rheinländern kommunikationstechnisch sehr intensiv austauschte. Ausserdem dabei: ein Hängscht, ein Frischling, eine hippe Berlinerin, die mit schlichtem Brillenwechsel in eine schicke Münchenerin sich verwandeln konnte, ein Bankfilialleiter mit Vorliebe für Death Metal T-Shirts, ein sehr entscheidungsunfreudiger Vorstandsassistent, ein Arzt, der mit unverändertem Gesichtsausdruck über Menschenoperieren und Schafeausweiden sprechen konnte. Wir als Pärchen waren natürlich sofort als Spalter und Spielverderber tätig, gingen als erste zu Bett und brachen sogar die erste Fisch-sucht-Fahrrad-Veranstaltung ab, als um 12 Uhr nachts immer noch vor unserer Tür getratscht wurde.

3. Tag: Nach einem typisch französischen Frühstück mit Baguette, Pain du Chocolat und typisch kreolischen Konfitüren, z.B. aus Baumtomaten, Bananen oder Guaven wird unsere Wanderlust sofort auf die Probe gestellt. Wir laufen durchs Örtchen Hellbourg zu einem Herrenhaus und von dort aus zum Friedhof. Die Beerdigungskultur ist eine ganz andere als z.B. in Provence, die Gräber sind voll mit echten oder künstlichen Pflanzen.




Alles Kunstblumen

Danach wandern wir durch den Talkessel von Salazie. Dank der japanischen Fichte, die zur Errosionsvermeidung hier gepflanzt wurde, könnte diese Wanderung auch durch den Schwarzwald führen, man würde kaum den Unterschied merken.





Ich halte nach einem Chamäleon Ausschau, der anstatt eines Eichhörnchens den Baum runterklettern könnte, doch natürlich findet sich keiner (es findet sich aus später keiner, es ist Trockenzeit und da schlafen sie). Die Wanderung endet an vertrockneten Heilwasserquellen.



4. Tag: Unterwegs zu der Ostküste halten wir beim Ton-Ton an, was Onkelchen bedeutet. Ein 70-jähriger einäugiger Kreole erzählt auf breitestem Kreol über die verschiedenen Pflanzen auf der Insel, zeigt seine Hütte ohne Strom und Wasser, die Übersetzerin erzählt, dass er jeden Tag hier schuftet. Auf direkte Nachfrage gibt er auch zu, dass er ganz gerne bei sich in einer richtigen Wohnung Fernsehen schaut. Ansonsten erzählt er auch über die harte Arbeit auf der Insel zu der Zeit, als die Sklaverei zwar abgeschafft wurde, aber trotzdem er als Hafenarbeiter 120 kg Säcke schleppen musste, oder wie er beim Zuckerrohrschneiden sein Auge verloren hat. Allerdings macht er für einen 70-jährigen sehr fitten Eindruck.



An einigen Wasserfällen vorbei fahren wir nach Saint-André. Hier muss ich einiges über die Religionen auf der Insel erzählen. Im Laufe der Jahrhunderte kamen ganz unterschiedliche Menschen auf die Insel, die vor ihrer Entdeckung komplett menschenleer war. Zuerst herrschte eine Art Anarchie, die Franzosen und die Madagassen, die auf die Insel gebracht wurden, weigerten sich, einen Pfarrer auf der Insel zu haben, doch als der Wohlstand auf die Insel kam (dazu später mehr), kamen auch die katholischen Pfarrer. Irgendwann war Bedarf an Arbeitern aus Indien da, von denen verlangt wurde, dass sie Katholizismus annehmen, was sie bereitwillig getan haben, denn Katholizismus integriert sich wunderbar in Hinduismus, Jesus und Maria haben einfach unter den Abermillionen von hinduistischen Göttern ihren Platz gefunden und die Hindus haben sie als die Götter ausgewählt, die sie verehren.


Hinduistischer Tempel


Blumenschmuck für die Hindu-Priester


Buddhistischer Tempel


Moschee in St.Denis

Doch später erwarben sie einige Grundstücke, auf denen sie hinduistische Tempel erbaut haben. Dann kamen Chinesen mit buddhistischen Tempeln, danach die Moslems mit Minaretten. Ein Kinderbuch über La Réunion listet noch Juden, Orthodoxen und Protestanten als praktizierte Religionen auf. Laut Jean-Paul bemühen sich die Vertreter der Religionen sehr um friedliche Koexistenz, angeblich entschuldigt sich moslemischer Gemeindevertreter sich beim jüdischen Rabbi, wenn die Palästinenser im fernen Israel einen Anschlag verübt haben und umgekehrt. Ich bin mir nicht sicher, ob sich der Papst im meinem Namen sich z.B. bei Protestanten wegen Nord-Irland Konflikt entschuldigen sollte, die Mehrheit der Katholiken kann ja nichts dafür, wenn sich die beiden Gruppen die Köpfe einschlagen, aber es ist eine Geste auf La Réunion, um das Zusammenleben konfliktfrei zu gestalten. Die Religionen fangen an sich zu vermischen, so hat die katholische Religion Merkmale aus dem Hinduismus übernommen, so dass es heisst, dass nur ein Kreole Bischof auf La Réunion werden kann, nur er kann die Feinheiten der dortigen Religionsausübung verstehen.

Wir marschieren durch die Zuckerrohrfeldern zu einem weiteren Wasserfall. Zuckerrohr und Erzeugnisse daraus ist der Hauptexportartikel von La Réunion und das obwohl in der EU den Zucker kaum jemand braucht, denn Frankreich (oder wie man auf La Réunion sagt, die Metropole) ist bereits der größte Zuckerrüberproduzent der Welt. Doch zur Wirtschaft komme ich etwas später.


Zuckerrohr beim Wachsen


Zuckerrohr beim Abtransportieren


Zuckerrohr in einer Wiegeanlage

Wir spazieren durch den Markt von St.Denis, der Hauptstadt von La Réunion. Auf dem Markt gibt es billige Vanilleschoten zu kaufen, allerdings sind sie laut Jean-Paul von niedrigen Qualität, aus Madagaskar importiert, wo die hungrigen Leute sie aufsammeln bevor sie richtig reif sind und billig verkaufen. Echte La Réunionesische Schote kostet ca. 1 EUR, alles andere ist gut als Mitbringsel, aber nicht für den Eigenverbrauch.


Ananas auf dem Markt von St.Denis


Und die Fleischbeilage

Wie man aus dem Spiel Monkey Island kennt, hat jede ordentliche Provinzhauptstadt drei Gebäude: das Rathaus, die Kathedrale und das Haus des Gouverneurs, wo die schöne Elaine auf den tapferen Guybrush wartet. Und wer Pirates! gespielt hat, weiss auch, dass solche Städte normalerweise recht viele Kanonen haben, um sie gegen Angriffe vom Meer aus zu verteidigen. Ansonsten hat die Stadt nicht viel zu bieten.


Das Rathaus


Die Kathedrale


Das Haus des Gouverneurs


Die Kanonen

Wir fahren weiter und kommen in Ste.Rose, einem verschlafenen Fischerdorf an.

5. Tag: Ab in den Bus und losgeht´s die Küste entlang nach Süden. Hier fahren wir durch das Hufeisen-Gebiet von Piton de la Fournaise, der eigentlich bis zu fünf Mal im Jahr ausbricht und schon längst fällig wäre, doch er schweigt fürs erste.


Im Hufeisen von Piton de la Fournaise, wohin sich das Lava ergiesst

Selbst wenn er während unseres Aufenthaltes ausbrechen würde, wäre das keine Katastrophe wie bei Eyjafjallajökull 2010, denn Piton de la Fournaise ist ein roter Vulkan, der explodiert nicht (höchstens wenn das Wasser in die Magmakammer gelangt, wie bei Jules Verne gelernt), sondern spuckt nur Lava aus, das entweder sehr langsam (einige Meter / Stunde) oder sehr schnell (bis zu 60km/h) über ein bestimmtes Gebiet sich ins Meer ergiesst. Beim Auftreffen auf das Wasser gibt es Dampf und Staub, der das Atmen schwer macht, sonst ist das alles ungefährlich. Trotzdem gibt es ganz bekannte Kirche in Ste.Rose, wo das Lava kurz vor der Kirche stoppte und es gibt eine Madonna mit Sonnenschirm, die die Gläubiger vor dem Vulkan beschützen soll.





Wir machen eine Wanderung an der Küste entlang. Es ist wild-romantisch, Mangrovenbäume überall (später wird Jean-Paul erklären, dass es keine Mangroven sind, aber in dem Moment wissen wir das noch nicht).


Sind keine Mangroven





Unter einem schlägt der Ozean starke Wellen an die Küste, man fühlt sich wir in einem Abenteuer. Der Eindruck wird von vier grinsenden ABM-Réunionesen etwas gestört, die von dem Abenteuer-Wanderpfad die verfaulten Blätter wegräumen, damit die Touris durchgehen können. Nichtsdestotrotz endet die Wanderung wieder an einem tropischen Wasserfall.



Die zweite Hälfte des Tages verbringen wir in einem botanischen Garten, wo Jean-Paul uns Unmengen an Pflanzen zeigt, wie und wo sie Verwendung finden. Bei dem Baum mit Muskatnüssen, als seine Giftigkeit erwähnt wird, verschwinden einige Nüsse in den Hosentaschen. Vorsicht, Anton, Du bist mit gefährlichen Leuten unterwegs. Die Blätter der Coca-Pflanze bleiben hingegen unangetastet.







Danach kommen wir zu Cap Méchant, dem Bösen Kap. Warum der so genannt wird, sieht man sofort auf den Photos.







Was man auf den Photos nicht sieht, oder hört ist der Bass, die Erde brummt, wenn die nächste Welle auf den Felsen stürzt. Soviel Naturgewalt kann nicht jeder vertragen, ein fester Bestandteil des Schauspiels ist eine Frau, die jeden anspricht und behauptet dass Papst Ratzinger Sohn des Teufels wäre. Wenn ich mir die Anzahl der Kirchenaustritte anschaue, neige ich dazu ihr recht zu geben. Das Städtchen St.Joseph ist übrigens die südlichste Stadt der EU. Es gibt zwar einige englische und französische Inseln, die noch südlicher liegen, aber keine davon ist dauerhaft besiedelt.

6. Tag: Jean-Paul erzähl uns von einem verehrten Heiligen auf der Insel, dem St. Expeditus. St. Expeditus war ein römischer Legionär, der zu Christentum konvertierte. Warum er auf La Réunion verehrt wird, ist kaum bekannt, böse Zungen erzählen die Geschichte, dass eines Tages eine Sendung für eine Expedition auf die Insel kam, die eine Heiligenstatue enthielt. Da auf der Sendung Expidit stand, nahmen die einfältigen Einwohner der Insel an, das wäre der Name des Heiligen. Eine recht verbreitete (Un)sitte ist es, dem Heiligen, nachdem er einen Wunsch erfüllt hat, einfach den Kopf abzureissen, damit er es sich nicht anders überlegt. Deswegen sind viele Figuren ohne Köpfe. Die rote Farbe des Altars stammt aus dem Hinduismus.





Wir fahren an St. Joseph vorbei und steigen hoch auf die Hochebene Plaine des Cafres. Die letzten paar Kilometer gehen wir zu Fuss, obwohl die Strasse in ein paar hundert Metern parallel verläuft, aber wir sind ja nicht da, um mit dem Bus herumkutschiert zu werden.







Übernachtet wird auf einer Berghütte in einem Gemeinschaftszimmer, wir liegen zu zweit in einem 1,10 breitem Bett und wärmen uns gegenseitig, denn auf der Höhe ist es sch… kalt.

7. Tag: Aufstieg zum Piton de la Fournaise. Zuerst geht es aber gewaltig bergab, 525 Stufen, bevor wir zu dem Krater Formica Leo kommen, ein Ameisenbär-Krater, den Namen hat irgendein besonders lustiger Vulkanologe sich ausgedacht, weil die Kraterform ihn so an die Löcher, die von einem Ameisenbären ausgegraben werden, erinnern.



Danach geht es über recht unwegsames, aber gut ausgewiesenes Gelände das aus erstarrten Lava besteht hoch zu dem Krater von Piton de la Fournaise.



Unterwegs werden wir von zwei Läufern überholt. Berglauf ist ein beliebtes Sport hier, der härteste Wettlauf der Welt findet auf La Réunion statt. Dabei müssen die Teilnehmer 160km laufen und dabei 9000 Höhenmeter bewältigen. Dafür hat man drei Tage Zeit, man kann aber auch nachts laufen, nur sollte man immer rechtzeitig abbiegen. Der Sieger hat letztes Jahr für die gesamte Strecke 20 Stunden gebraucht.





Als wir endlich den Krater erklettern, schauen wir in eine gewaltige Caldera runter, von wo manchmal noch Dampfwolken aufsteigen. Sieht aber nicht nach baldigem Ausbruch aus. Beim Rückweg müssen die 525 Stufen wieder erklommen werden.


Caldera von Piton de la Fournage

8. Tag: Wir sind auf einer Berghütte in Foret de Belouve und ich bin versucht das Fenster zu schliessen, damit kein Tiger ins Zimmer reinspringen kann.



Wir sind mitten im tropischen Urwald. Armeen von Skorpionen lauern auf uns, um uns zu stechen, giftige Schlangen hängen von den Bäumen herunter, hinter jedem Baum sieht man grüne hungrige Augen…. STOP… Wir sind im falschen Film….









Auf La Réunion ist das größte Tier ein Igel, sonst gibt es kaum Fauna mehr auf der Insel. Wobei das berühmteste Tier ist schon längst ausgestorben. Das ist der Dodo, was auf spanisch verrückt heisst, denn dieser fette Vogel liess sich einfach fangen, indem man ein Geräusch machte und neugierig, wie ein Dodo ist, rennt er hin, um nachzuschauen, was da los ist. Das ist ihm zum Verhängnis geworden, als auch seine Art nur ein Ei pro Jahr zu legen. Warum ist der Dodo denn berühmt geworden? Nun, es war das erste Mal, dass die Menschen begriffen haben, dass sie eine Spezies komplett ausgerottet haben, denn Dodos gab es nur auf La Réunion und auf Mauritius. Zum ersten Mal verstand der Mensch, dass er direkten Einfluss auf die Natur haben kann, deswegen widmet er so viel Aufmerksamkeit dem Dodo, trinkt das Bier mit seinem Bild und schreibt viele Bücher über ihn.



Ansonsten gab es noch Landschildkröten, die ebenfalls ausgerottet wurden, denn um ein leckeres Süppchen zu kochen, musste ein Mensch bis zu fünf Schildkröten töten (Crack - macht der durchstochene Panzer, Ahh - macht die verwundete Schildkröte, Schlürf - steigt auf das Fett der toten Schildkröte), bis er ein besonders fettes Exemplar gefunden hat. Dabei haben die Schildkröten die Meerenge zwischen Madagaskar und La Réunion auf Baumstämmen überwunden, etwas, was der Mensch seinerzeit nicht schaffte.


Lokalfauna 1


Lokalfauna 2

Anyway, wilde Tiere gibt es auf La Réunion nicht, dafür recht verwilderte Wege, mit viel Schlamm, so dass die meisten sehr dreckig wieder in die Herberge ankamen.



Weiter geht's nach Cilaos, ein weiteres Talkessel von Piton des Neiges. Die Strasse der 400 Kurven ist noch extremer, als alles andere bisher, alleine bei den Tunnels ist es millimetergenaues Fahren vom Busfahrer verlangt, dass wir da heil durchkommen.

9. Tag: Wieder eine Wanderung, wieder eine komplett andere Landschaft, wieder zu einem Wasserfall.





Wir legen uns recht früh schlafen denn….

10. Tag: Wir stehen um 1:30 morgens auf, um Piton des Neiges zu besteigen. Wir, das sind vier Leute mit Jean-Paul, der uns vorher unterschreiben lässt, dass das Reiseunternehmen jegliche Verantwortung von sich nimmt, wir wollen zum Gipfel, also müssen wir alle Konsequenzen tragen. Zum Gipfel das bedeutet 2000 Höhenmeter hoch und wieder runter und das mitten in der Nacht, denn wir wollen den Sonnenaufgang möglichst nah an der Spitze erleben. Also Taschenlampen in die Hand, bzw. an die Stirn angeschnallt und los. Begleitet werden wir vom stürmischen Applaus unserer lieben Mitreisenden, bis ein anderer Hotelbewohner entnervt "Hört auf mit dieser Scheisse" von seinem Balkon brüllt. Wir lassen uns davon nicht beirren und stampfen weiter. Nach einer halben Stunde asphaltierten Strasse beginnt der Aufstieg und zwar auf unzähligen Stufen. Jean-Paul der alte Fremdenlegionär, der schon sechs Mal dieses Jahr auf dem Gipfel war und dessen persönliche Bestzeit bei 2:30 liegt, geht voran, Taschenlampe braucht er nicht, mit sich schleppt er immer Gaskocher und Wasser, um uns Städter mit Kaffee zu versorgen. Wir kriechen hinterher, schnaufen wie Dampflocks, doch niemand wird hinten gelassen, des Ausgemergeltste kommt direkt hinter Jean-Paul, was wohl hilft, dann kann er/sie das Tempo halten.



Die erste größere Rast ist auf der Berghütte 600 Höhenmeter unterhalb des Gipfels, normalerweise übernachtet man dort, bevor man früh morgens zu der letzten Etappe aufbricht, doch wir haben keine Zeit für solche Weicheiaktionen und laufen zum Gipfel. Mein Tiefpunkt ist ca. 50 Höhenmeter vor dem Gipfel erreicht. Ich schleppe mich nur noch, noch ein Schritt und noch einer. Endlich sind wir am Gipfel. Ich reisse die Arme hoch. Doch was finden wir dort?



Eine Art Wäscheleine mit buddhistischen Tüchern aus denen der Wind die Fäden rauszieht und sie in die Welt rausbläst. Eigentlich sind solche Gipfel viel zu überbewertet, es ist auch viel zu windig und zu kalt dort. Noch ein paar Photos gemacht und runter.


Wenn man möchte kann man auf dem Gipfel im Steinhaufen übernachten



Fünf Stunden später erreichen wir das Hotel, die Knie tun höllisch weh, ich falle ins Bett. Mein persönliches Rezept, um wieder fit zu werden, soll hier nicht verraten werden, auf jeden Fall bin ich bis zum Abend fähig wieder zum Pool zu gehen.

11. Tag: Wir fahren die kurvenreiche Strasse wieder runter. Jean-Paul erzählt uns von der Wirtschaft der Insel. Es ist ein erklärtes Ziel von der EU und Frankreich La Réunion auf den europäischen Lebensstandard zu bringen. Momentan ist La Réunion das ärmste Departement Frankreichs, doch es ist bereits jetzt die reichste Gegend im Indischen Ozean. Dazu waren gigantische Investitionen notwendig, sowohl in die Bildung, als auch in den Wohnungsbau, als auch in die Infrastruktur. In den 70-er Jahren wohnten viele Réunionesen in den Strohhütten, Frankreich baut jedes Jahr 10000 Sozialwohnungen, kommt aber nicht hinterher, weil die Bevölkerung mit einer Fertilität von 2,4 Kindern/Frau schneller wächst. Momentan leben ca. 800000 Menschen auf der Insel, die Bevölkerung verdoppelt sich momentan alle 30 Jahre. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei 30%, doch viele arbeiten schwarz auf den Zuckerrohrplantagen, auch gibt es viele Seasonarbeiter, die nur von Zeit zu Zeit arbeiten und die restliche Zeit in ihren unzugänglichen Dörfern leben. Der größte Arbeitgeber auf der Insel ist das Forstamt, überall sieht man Arbeiter, die die nächste Picknick-Hütte aufbauen oder mitten im Wald Gras mähen. Noch in den 50er Jahren wurden die Kinder mit freiem Essen in die Schule gelockt, Axel Gauvin beschreibt das in seinem Buch Kindheitshunger. In der Schule lernen die Kinder Französisch, so dass Kreol als Sprache immer weiter zurückgedrängt wird, obwohl es eine sehr schöne Sprache ist, vereinfachtes altes Französisch mit vielen Wörtern aus der Sprachen der Leute, die hierher eingewandert sind. Die Infrastruktur-Investitionen müssen riesig gewesen sein, alleine wegen der Vielzahl an Bergstrassen, Brücken, komplette Elektrizitätsversorgung selbst in entlegenen Gegenden. Und Frankreich und EU zahlen weiterhin. La Réunion exportiert jedes Jahr Waren im Wert von 500 Mio. EUR, importiert aber Waren im Wert von 7 Mlrd EUR. Das bedeutet der Aussenhandelsdefizit beträgt jedes Jahr 1400%! Die Wirtschaft der Insel ist wegen ihrer Größe nicht wirklich konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt, wer kauft schon 500 gr Linsen für 7 EUR, die von Hand geerntet wurden, weil das Feld zu klein oder zu unzugänglich ist? Der örtliche Kaffee ist derart teuer, dass selbst die Souveniergeschäfte ihn aus dem Sortiment rausgenommen haben. Rum ist billig, doch selbst die Pariser Flughafenshops bieten lieber Rum aus Martinique an, statt aus La Réunion. Auf der anderen Seite kurven viele neue Renauts, Peugeots durch die Berge, es gibt auch einen Porsche-Laden. In einem Supermarkt findet man alle französischen Marken, es werden also Yoghurts und Klopapier 10000 km weit transportiert, um zu zeigen, hier ist Frankreich. Was jedem umweltbewussten Deutschen komplett verrückt anmutet, ist für die Réunionesen komplett selbstverständlich. Immerhin gibt es ein Lebensmittellabel "Nou la fe" für Produkte, die lokal produziert wurden. Lokale Produkte sind aber grundsätzlich teurer als Importe. Klar, dass kein Réunionese jemals nach Unabhängigkeit verlangen wird, denn am nächsten Tag wäre die Insel pleite.


Eines der Hauptexporte der Insel und unser Mittagessen

Wir halten in Saint-Pierre an, bummeln durch die Stadt, entdecken einen Laden mit religiösem Krempel für alle Glaubensrichtungen. Ich kaufe mir Räucherstäbchen um das Böse auszutreiben.



Weiter geht's zu einem schwarzen Strand, endlich sind wir am Ozean in dem man auch baden kann! Sonne, Palmen, Badenwannen-warmes Wasser! Schwarz ist der Sand übrigens wegen Vulkanlava, die weisse Farbe kommt von den zermalmten Korallen.





Für die restliche Zeit bleiben wir in St.Gilles, einem sehr touristischen Ort mit weissen Stränden und Korallenriffen sobald man ins Wasser steigt. Einerseits kann man die Korallenfische und etwas wie Korallenschlangen aussieht (jetzt kann ich's ja sagen) beobachten ohne Tauchen zu müssen, andererseits muss man sehr aufpassen nicht auf Korallen zu treten oder durch die Strömung darüber geschliffen zu werden, Hautabschürfungen sind garantiert. Plötzlich sehen wir in der Ferne zwei Wale hochspringen und mit dem Schwanz schlagen. Danach romantischer Sonnenuntergang. Irgendwie sieht es zu sehr nach Bilderbuch aus, wenn es real sein soll.

12. Tag: Entspannung am Strand. Abends unternehmen wir einen Bootsausflug, um die Wale zu sehen, die pünktlich um 17.00 Uhr ankommen. Gerüchten zufolge sind es Pottwale, eine Mutter mit Kind, aber heute ziehen sie vor im Wasser zu bleiben, deswegen sieht man sie nicht so genau. Aber Riesenviecher sind es definitiv.





13. Tag: Jean-Paul nimmt uns in den letzten Talkessel mit, der Talkessel von Mofate.


Keine Strasse, also zu Fuss oder per Hubschrauber in den Kessel von Mofate



Unterwegs erzählt er uns von der Geschichte der Insel. Nach der Entdeckung durch Portugiesen 1512, blieb die Insel noch rund 100 Jahre unbesiedelt, sie lag zu weit abseits der Handelsrouten. 1642 wurde die Insel wurde von Frankreich beansprucht, Ile Bourbon getauft und die ersten Siedler fingen an, sich anzusiedeln. Die ersten Siedler waren hauptsächlich Madagassen. 1667 wurde das erste offizielle Kind geboren. Die Insel wurde der Ost-Indischen Kompanie verwaltet, die Interesse daran hatte, dort Schiffe anlaufen zu lassen, die Siedler sollten die Mannschaften mit Lebensmitteln versorgen und damit die Rechnung für die Überfahrt begleichen. Doch dies war kaum der Fall, die französischen Armen, ähnlich wie Amerikaner hatten die Nase voll von europäischen Zivilisation und Gebräuchen, sie hatten alles, um sich selbst zu versorgen und duldeten weder einen Gouverneur, noch einen Pfarrer auf der Insel. Also arm, aber glücklich, wobei arm ein relatives Begriff in einem Land ist, in dem man eh nichts kaufen kann. Sich selbst nannten die Übersiedler petit blancs. Doch es gab auch fleissigere unter ihnen, die doch einen Überschuss erwirtschafteten und es den Schiffsmannschaften verkauften. Dies wurde spätestens dann nützlich, als die sogenannte Kaffeezeit anbrach und es beschlossen wurde Plantagen anzulegen. Petit blancs mit Geld konnten sich die Kaffeepflanzen kaufen, auch kamen die ersten Sklaven auf die Insel. Wobei die Vorstellung von weissen Besitzern und schwarzen Sklaven eher falsch ist. Unter den ersten Frauen auf der Insel befanden sich 12 Inderinnen, die jeweils 10-12 Kinder auf die Welt brachten. Somit war die Bevölkerung von Anfang an gemischt. Es war auch nichts ungewöhnliches, dass entweder petit blancs eine Sklavin kauften, um Familie zu gründen, oder der Grundbesitzer ein Kind mit einer Sklavin zeugte und es dann als sein rechtmäßiges Kind anerkannte. Doch auch die nicht-so-weissen Sklavenbesitzer behandelten ihre Sklaven grausam, so dass viele von ihnen in die Berge flohen, wo sie Morronen genannt wurden (nicht wegen kastanienbraunen Haut, sondern von spanischen Wort für Strauch, wo sie sich versteckten). Viele der Gipfel sind nach berühmten Morronen genannt. Es gab auch die Morronenjäger, deren Motto war keine Gefangenen zu machen, als Beweis mussten sie die rechte Hand des von ihnen getöteten Morronen abhacken. Nach einem zerstörerischen Zyklonen waren die Kaffeeplantagen zerstört und Frankreich hat beschlossen aus der Insel eine Zuckerrohrplantage zu machen. Zuckerrohr ist widerstandsfähiger, ausserdem haben Franzosen Haiti verloren, so dass ihr Bedarf an Zucker von irgendwoher anders gedeckt werden musste. Mit der Französischen Revolution wurde zwar die Sklaverei abgeschafft, doch Napoleon führt die Sklaverei wieder ein. Die ehemaligen petit blanc mit Geld werden zu sogenannten grand-blancs. Sie heiraten verarmte Adlige aus Frankreich und bekommen selbst die Titel. Nach Napoleon wird in Frankreich konstitutionelle Monarchie eingeführt und viele der grand blancs aus den Kolonien werden zu Ministern im Mutterland ernannt, denn sie haben viel Geld und sind adlig. Erst 1848 wird die Sklaverei endgültig abgeschafft, die Plantagenbesitzer bekommen großzügige Kompensationen und heuern Vertragsarbeiter aus Indien an, die Hinduismus in La Réunion einführen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist La Réunion keine französische Kolonie mehr, sondern französisches Departement 974.

Noch ein paar Worte zu den Leuten, die auf La Réunion leben. Wie man schon sieht, es gab eine totale Durchmischung an Rassen, doch ich kann nicht behaupten, dass die Leute besonders schön aussehen, in Singapur soll es ja anders sein. Die meisten haben sich den französischen Lebensgewohnheiten angepasst, doch für viele war der Umstieg von der Strohhütte in Internetzeitalter zu schnell, Rum ist billig, Sozialhilfe hoch, deswegen saufen sich einige zu Tode oder ziehen beim Kartenspiel ihrem besten Kumpel eins mit der Machete über den Schädel und wundern sich, dass er nicht weiterspielen kann.

Wir halten beim Doudou an, einem Koch dessen Leidenschaft man an seiner Leibesfülle ansehen kann. Er füllt uns mit 49%-em Kokospunsch ab, erst danach kommt das deftige Carri.



Wir sind total hacke und schlafen im Bus ein. Jean-Paul schleift uns noch zu einem Herrenhaus, um zu zeigen, wie die Sklaven gelebt haben und zum Friedhof, wo Hindus und Christen nebeneinander beerdigt sind, was recht interessante Konstellationen an Kreuzen und Hinduzeichen auf den Gräben ergibt. Wieder an Strand und wieder hüpfen die Wale.








14.Tag: Tag der Abreise. Noch zum letzten Mal die Sonne tanken und rein ins Flugzeug. Diesmal kommt der Flug einem viel kürzer vor, es ist nacht, also versucht man zu schlafen, oder Lykke Li zu hören. In München pünktlich angekommen, bleibe ich eine Station vor Feldkirchen hängen, weil die S-Bahn nicht weiterfährt. Sigh!

Und zu guter letzt noch zwei Hymnen dieser zauberhaften Insel, die wir ständig gesungen haben: