Mittwoch, 2. Mai 2012

Vier Tage Genf

In der Schweiz regierte mal ein Landvogt,
mit dem die Tyrannei in das Land zog,
weil er die Schweizer munter unterjochte,
weswegen man ihn nicht besonders mochte.

Wann wird der Retter kommen diesem Lande?
Schon sehr bald, denn der Vogt und seine Bande
sind grade auf dem Weg nach Küßnacht, da liegt seine Burg,
doch auch eine hohle Gasse.
Da muß er durch!

Der Wilhelm Tell liegt hier schon auf der Lauer,
und der ist auf den Landvogt ziemlich sauer,
denn er wurde von ihm dazu gezwungen
zu schießen, und zwar auf seinen eig’nen Jungen!

Nun hingegen zielt er ganz bewußt
mit seinem Pfeil auf des Landvogts Brust.
Hier gilt es, Schütze, deine Kunst zu zeigen! Jetzt nur ruhig,
Tell, stell dir vor, es wär ein Apfel!
Da muß er durch!


Bodo Wartke:  Da muss er durch

Eigentlich habe ich die Schweiz durch einen Tagestrip nach Bern von der Liste der Länder, die ich noch nicht besucht habe, weggestrichen. Aber das war schon lange her und deswegen ausser dem Schild "In diesem Haus wohnte der sowjetische Diktator Lenin" habe ich nicht mehr viel in Erinnerung behalten. Die Klagen im Ohr, dass die Schweiz so teuer ist, buchte ich ein Viersterne-Hotel in Genf.

Die Ankunft: Schon am Gate merkt man, dass die Flughafenwerbung an den anspruchsvollen Besucher gerichtet ist. Jedes zweite Poster ist eine Uhrenwerbung für den Mann von heute, der unbedingt eine sündhaft teuere Uhr fürs Handgelenk braucht.



Die Flughafenuhren sind von Rolex. Schnell Gepäck vom Band abgeholt und raus in die Empfangshalle. Eine dünne rote leuchtende Linie im Boden trennt die Wartenden von den Abkommenden. Die Wartenden stehen dicht gedrängt an der Linie, als ob da ein Laser in den Boden eingelassen ist, der beim Überqueren was abschneiden könnte. Tapfer überschreiten wir die Linie und gehen zum Zug, der uns flott und kostenlos (da können noch viele Städte was lernen) zum Bahnhof bringt. Da ist das gleiche Bild, Leute stehen und warten auf die Ankömmlinge aus Frankreich, im Gesicht eine Vorfreude, dass ihre Lieben wieder in die gute, sichere Schweiz zurückkommen.

Wenn man die Statistiken, die in Yellowpress veröffentlicht werden, so liest (und glaubt), gewinnt man den Eindruck, dass man dem Sexualleben der Schweizer kein Blumentopf zu gewinnen ist. Deswegen hätte es mich keinen Augenblick gewundert, wenn man mir gesagt hätte, dass in der Schweiz die Prostitution komplett verboten ist.



Eines besseren wurden wir auf dem Weg zu dem verkehrstechnisch günstig gelegenem Hotel gelernt, wir sind nicht nur in der Neuköllner Entsprechung Genfs gelandet, direkt unter unserem Fenster war der Genfer Strich. Für einen Milieu-Beschreiber, der sich auf die Probleme der afrikanischen Community konzertiert hat, gäbe es keinen besseren Beobachtungsplatz als unser Hotelzimmer, doch wir bekamen das Nachtleben ungefiltert durch geschlossene Fenster präsentiert. Die lauwarme Heizung, die sich nicht abschalten liess, sorgte für afrikanische Temperaturen, die sich nur mit einer lautstarken Klimaanlage kurzzeitig runterbringen liessen. Habe ich schon erwähnt, dass wir für die Nacht 120 Franken ohne Frühstück gezahlt haben?

Wenigstens bekommt man eine Karte in die Hand gedrückt, mit der man den gesamten öffentlichen Nahverkehr kostenlos nutzen kann (da können andere Städte auch was lernen).

Tag 1: Der erste Punkt auf dem Programm ist der Besuch des Patek-Philippe Museums. Patek-Philippe ist ein berühmter Genfer Uhrenhersteller, viele Könige und andere Berühmtheiten bestellten ihre Uhren hier. Das Museum zeigt eine entsprechend ehrwürdige Kollektion der Uhren aus verschiedenen Jahrhunderten. Interessant ist, warum ausgerechnet Genf sich zum Weltzentrum der teueren Uhren entwickelt hat. Ein gewisser Herr Calvin über den wir am Tag 2 mehr erfahren werden, sah es nicht gerne, wenn seine Glaubensbrüder ihr Reichtum öffentlich vorgeführt haben. Deswegen haben die findigen Bürger dem Schmuck eine Funktion gegeben und zum Beispiel sich sündhaft teuere Uhren angeschafft, mit der sie immer noch protzen konnten. Aber nicht nur Calvinisten haben Vorliebe für edle Zeitanzeiger entwickelt. Auch der russische Patriarch Kirill zückt gerne den Ärmel seiner Kutte zurück, um seine 30.000 EUR Uhr zu zeigen, die dann aufwendig wegretuschiert werden müssen. Dumm ist nur, dass man die Spiegelung der Uhr am polierten Holztisch sehen kann, aber das ist eine andere Geschichte. Das Museum lässt einen etwas ratlos zurück, denn alle Uhren sind nicht aufgezogen, die Zeit hier ist also stehen geblieben, selbst die Swatch zieht in meiner Generation nicht mehr, die meisten lesen die Zeit vom Smartphone ab.

Der zweite Punkt auf dem Programm ist der Besuch des Museums für die Geschichte der Kunst mit vielen Gemälden der schweizer Künstler. Freier Eintritt, ganz nett, kann man ein paar Stunden darin verbringen. Danach gehen wir in die Stadt.


Das Beau-Rivage


Ein Sissi-Denkmal

Genf liegt am Genfer See, der sich mit dem Bodensee um die Ehre streitet das größte See Europas zu sein. Entlang der Uferpromenade reihen sich aneinander Hotels wie Beau Rivage, in dem solche Berühmtheiten wie Elizabeth die österreichische Kaiserin und Königin von Ungarn und Uwe Barschel der schleswig-hosteinsche Ministerpräsident ihre letzten Stunden verbracht haben (gerechtigkeitshalber muss man natürlich sagen, dass Sissi auch so berühmt war, Barschel wurde hingegen berühmt, weil er angezogen und ziemlich tot ein Bad im Hotel eingenommen hat). Auf den übrigen Häusern ist oben Uhrenreklame für Tissot, Rolex, Patek-Philippe, Cartier usw. angebracht, so dass wie es unser Mitreisender sich ausgedrückt hat, man sich wie in einem riesigen Duty-Free Laden vorkommt.



Im Hintergrund sieht man immer die Berge, Montblanc ist in der Nähe, viele Berge sind schneebedeckt. Kleine Schiffe bringen den Spaziergänger schnell auf den anderen Ufer des Sees.



Das Wahrzeichen der Stadt ist natürlich Jet d'eau, ein gigantischer Springbrunnen, der von überall zu sehen ist und dessen Spritzer bei starken Wind zum jeden Ufer rüberreichen.

Was mich recht überrascht hat ist die Tatsache, dass man von der Mehrsprachigkeit der Schweiz nicht viel mitbekommt. Falls man kein Französisch spricht, wird sofort ins schlechtes Englisch gewechselt, Deutsch sprechen die allerwenigsten.


UNO, Schweiz und Genfer Flaggen

Genf hat ca. 200.000 Einwohner davon 48% Migranten, wahrscheinlich arbeiten auch recht viele Franzosen im Dienstleistungssektor, auf der Strasse hört man mehr Russisch als Deutsch, doch auch die wenigsten Aushänge sind auf Deutsch beschriftet, im Museen sind die Überschriften alle auf Französisch, man bekommt ein deutsches Audio-Guide. Wer also mit Französisch seine Probleme hat, wird dieselben Schwierigkeiten haben, wie in Frankreich auch.


Genf und Helvetia vereinigt

Ich kann nicht sagen, ob die deutsch-sprachigen Schweizer gut französisch sprechen, aber wie die Geschichte zeigt, scheint es kein Problem zu sein. Wäre vielleicht ein Model für Estland für die Städte, wo 96% der Bevölkerung russisch-sprachig ist.

Abends gehen wir essen, die Hauptbestandteile der schweizer Küche ist der Appenzeller Käse und andere ähnlich schmeckende Käsesorten, Schinken und Kartoffeln. Man kann Kartoffeln reiben und sie zu einem Röstli machen, den mit Käse überbacken und Schinken drauflegen. Man kann alles auf eine Pizza drauftun. Man kann aus dem Käse einen Schnitzel machen mit Kartoffeln und Schinken als Beilage. Man kann Käse schmelzen und Kartoffeln reintunken, dann hat man ein Fondue. Dazu gibt es immer Silberzwiebeln als Beilage. Egal wie man es macht, unter 25 Franken ist man kaum dabei, plus 0,1 l Wein und Salat ist man sehr schnell über 35 Franken, der Umtauschkurs ist 1EUR = 1,16 Franken, d.h. am besten man denkt nicht nach, für wieviel Geld man gerade Essen gegangen ist. Wobei dabei sind wir auf dem unteren Ende der nach oben offenen Skala, ein 800 Franken Wein findet sich selbstverständlich auch auf der Speisekarte wieder.

Tag 2: Neben Wittenberg, wo Luther seine Thesen auf die Kirchentür heftete, ist Genf die Hauptstadt des Protestantismus. Calvin wirkte in der Stadt und mindestens zweimal haben verfolgte Hugenotten aus Frankreich in Genf eine Bleibe gefunden.


Calvin ist der zweite von links

Deswegen falls man was über die Geschichte des Protestantismus was erfahren möchte, ist der Besuch des Calvin-Museums eine Pflicht. Es zeigte sich mal wieder, dass in dem Religionsunterricht an den deutschen Schulen die Evangelen hauptsächlich über die Unterschiede zwischen Katholizismus und evangelischen Glaubensrichtungen aufgeklärt werden, während die Katholen die Geschichte und den Sinn des Protestantismus nicht mal ansatzweise behandeln. Mir war nicht bewusst, dass das Singen in den Gottesdiensten eine protestantische Erfindung war. Früher haben nur die Mönche gesungen und zwar lateinisch, so dass das einfache Volk keine Chance hatte mitsingen zu können. Erst Calvin und seine Nachfolger erfanden den Psalmengesang, der in jeweiligen Landessprache erfolgte. Sehr viel Kirchenmusik war von Protestanten geschrieben worden, ich gestehe, mir war es nicht bewusst, dass Bach ein glühender Protestant war. Ebenfalls waren viele karitativen Einrichtungen wie Waisenhaus, Invalidenhäuser, Armenschulen protestantische Erfindungen. Es wird interessant zu sehen wohin sich sowohl der Protestantismus, als auch der Katholizismus in den nächsten Jahren entwickeln werden, denn auf viele Fragen, die der technische Fortschritt demnächst stellen wird, werden die Weltreligionen keine Antwort geben können.

Die Kathedrale ist protestantisch-weiss gestrichen, man kann dort den schlichten Calvin-Stuhl sehen und auf die Türme steigen, um eine Sicht über die ganze Stadt zu haben.

Nachmittags sind wir in verschiedenen Gärten der Stadt, die an den Hängen rund um das See recht schön angelegt wurden. Die Natur ist etwas weiter als in Deutschland, trotzdem ist der Rosengarten noch recht leer.

Den Abend verbringen wir in einer Bar, wo wir für 15 Franken recht mittelmäßige Cocktails schlürfen.

Tag 3: In Genf ist auch der CERN beheimatet, die größte Wissenschaftsmaschine, die die Menschheit bisher konstruiert hat und es ist fraglich, ob in den nächsten Jahrzehnten die Staaten genügend Geld zusammenkratzen können, um CERN zu übertreffen. Wir fahren raus aus der Stadt, neben nüchternen Gebäuden steht eine grosse Holzkugel.



Sphärische Klänge ertönen beim Betreten der Kugel, im halbdunkeln huschen violette Lichtstrahlen durch den Raum, Projektoren werfen Bilder von den Partikelkollisionen auf runde Schirme. Alles sehr beeindruckend und komplett unverständlich. Nicht unbedingt ein Anreiz um Physik zu studieren. Auf der anderen Strassenseite im nüchternen Bürogebäude ist hingegen die Ausstellung Microkosmos untergebracht, in der recht anschaulich gezeigt wird, welche Geschichte CERN hat, welche Probleme es schon gelöst hat und was für Fragen durch den Large Haldron Collider evtl. beantwortet werden können.



Ein Teil der Ausstellung ist für angehende Physiker gedacht, da wird dann mit Myonen, Z-Bossomen und Up- und Downquarks um sich geworfen. Es ist zwar grundsätzlich möglich auch Kontrollzentrum von CERN sich anzuschauen, aber da muss man sich zwei Monate im voraus anmelden.
Genf ist auch die Stadt, in der folgende Organisationen ihren Sitz haben: UNO, UNESCO, ITU, WTO, UNHCR, das Rote Kreuz und viele andere. Entsprechend viele internationale Expats wohnen in der Stadt, so dass das Sprachengewirr in der Stadt sehr vielfältig ist. Leider hatte das Rote Kreuz Museum geschlossen, deswegen besuchten wir den kostenlosen Botanischen Garten, vorbei an den ständigen Vertretungen von Russland, USA und Italien.


Der zerbrochene Stuhl




Eine Erinnerung an das Versagen der UNO


Das recht abgeschabte WTO-Gebäude


Denkmal dem fleissigen Informatiker

Tag 4: Neben Calvin ist Jean-Jacques Rousseau ein berühmter Sohn der Stadt. 2012 ist zum Rousseau Jahr erklärt worden, deswegen wurde auf der Rousseau Insel ein Stand auf französisch hingestellt, wer verstehe, der lese. Es gibt aber auch das Rousseau-Haus in dem er geboren wurde. Mit einem Audio-Guide ausgerüstet, versteht man dann seine Hauptthesen, seine Antithesen zum Voltaire und seine Wirkung auf nachfolgenden Generationen der Schriftsteller und Philosophen.

1. Mai ist zwar kein Feiertag in der Schweiz, zumindest im Gegensatz zu Samstag, Sonntag und Montag scheinen die meisten Geschäfte offen zu haben. Doch auch hier gibt es noch Arbeiterschaft, die den Tag der Arbeit ernst nimmt und eine 1. Mai Demonstration in der Stadt veranstaltet. Auf dem Mai-Fest kostet dann auch eine Wurst + Kartoffelsalat 10 Franken, ein Schnäppchen quasi.





Ein Tipp: Auf dem Bahnhof kann man die günstigste Schokolade und Reiseproviant kaufen. Im Zug nach Basel sehe ich auf der Wand folgende Inschrift: Wenn man vier Jahre einen Weltkrieg mitgemacht hat und hinterher Schnaps konsumiert - das hält kein Mensch aus. Friedrich Gauser. Das lasse ich unkommentiert stehen.

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